Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Kretzer, Max: Meister Timpe. Berlin, 1888.

Bild:
<< vorherige Seite

So ist es auch mit dem Handwerk. Wenn die Meister ihre
Söhne zu guten Handwerkern machten und die Söhne diesem
Prinzipe ihren dereinstigen Kindern gegenüber treu blieben,
so würden immer wieder aufs Neue kräftige Generationen
entstehen, die ein gutes Fundament unter den Füßen hätten.
Und wo das ist, da ist bekanntlich gut bauen."

Er machte eine Pause, während welcher Timpe zustim¬
mend nickte. Dann begann er aufs Neue:

"Meister, Sie sind einer der besten Menschen, die ich
kennen gelernt habe. Sie haben Niemandem etwas zu Leide
gethan, haben von früh bis spät fleißig gearbeitet, sind gerecht
gegen Jedermann gewesen, und doch hat es den Anschein, als
wären Sie auf der Welt überflüssig, als würde die Gro߬
industrie eines Tages siegreich über Sie hinwegschreiten. Meister,
Sie müßten blind sein, wenn Sie nicht einsähen, daß das
Heil nur in der Sozialdemokratie liegt. Treten Sie zu uns
über, besuchen Sie unsere Versammlungen -- heute Abend
schon! Geben Sie Ihre Stimme bei der nächsten Reichstags¬
wahl einem Manne aus dem werkthätigen Volke, der die
Leiden der Kleinmeister kennt, der mit beredten Worten Ihre
Rechte vertreten wird. Dann wird auch für Sie der Tag der
Vergeltung kommen -- gegen den da drüben, der einen einzigen
Treibriemen höher schätzt, als die Existenz von hundert Familien;
der Ihnen das letzte Stück Brod aus dem Munde wegnehmen
wird, so wahr ich Thomas Beyer heiße. Die Welt läuft
nicht rückwärts, denn sie muß vorwärts gehen. Ich weiß, Sie
sind ein gottesfürchtiger Mann, aber Gott will nicht, daß ein
Gerechter leide um hundert Ungerechter willen. Und selbst die
Könige sind doch demüthig vor Gott . . . Schlagen Sie ein
Meister -- solche Leute können wir gebrauchen."

So iſt es auch mit dem Handwerk. Wenn die Meiſter ihre
Söhne zu guten Handwerkern machten und die Söhne dieſem
Prinzipe ihren dereinſtigen Kindern gegenüber treu blieben,
ſo würden immer wieder aufs Neue kräftige Generationen
entſtehen, die ein gutes Fundament unter den Füßen hätten.
Und wo das iſt, da iſt bekanntlich gut bauen.“

Er machte eine Pauſe, während welcher Timpe zuſtim¬
mend nickte. Dann begann er aufs Neue:

„Meiſter, Sie ſind einer der beſten Menſchen, die ich
kennen gelernt habe. Sie haben Niemandem etwas zu Leide
gethan, haben von früh bis ſpät fleißig gearbeitet, ſind gerecht
gegen Jedermann geweſen, und doch hat es den Anſchein, als
wären Sie auf der Welt überflüſſig, als würde die Gro߬
induſtrie eines Tages ſiegreich über Sie hinwegſchreiten. Meiſter,
Sie müßten blind ſein, wenn Sie nicht einſähen, daß das
Heil nur in der Sozialdemokratie liegt. Treten Sie zu uns
über, beſuchen Sie unſere Verſammlungen — heute Abend
ſchon! Geben Sie Ihre Stimme bei der nächſten Reichstags¬
wahl einem Manne aus dem werkthätigen Volke, der die
Leiden der Kleinmeiſter kennt, der mit beredten Worten Ihre
Rechte vertreten wird. Dann wird auch für Sie der Tag der
Vergeltung kommen — gegen den da drüben, der einen einzigen
Treibriemen höher ſchätzt, als die Exiſtenz von hundert Familien;
der Ihnen das letzte Stück Brod aus dem Munde wegnehmen
wird, ſo wahr ich Thomas Beyer heiße. Die Welt läuft
nicht rückwärts, denn ſie muß vorwärts gehen. Ich weiß, Sie
ſind ein gottesfürchtiger Mann, aber Gott will nicht, daß ein
Gerechter leide um hundert Ungerechter willen. Und ſelbſt die
Könige ſind doch demüthig vor Gott . . . Schlagen Sie ein
Meiſter — ſolche Leute können wir gebrauchen.“

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0219" n="207"/>
So i&#x017F;t es auch mit dem Handwerk. Wenn die Mei&#x017F;ter ihre<lb/>
Söhne zu guten Handwerkern machten und die Söhne die&#x017F;em<lb/>
Prinzipe ihren derein&#x017F;tigen Kindern gegenüber treu blieben,<lb/>
&#x017F;o würden immer wieder aufs Neue kräftige Generationen<lb/>
ent&#x017F;tehen, die ein gutes Fundament unter den Füßen hätten.<lb/>
Und wo das i&#x017F;t, da i&#x017F;t bekanntlich gut bauen.&#x201C;</p><lb/>
        <p>Er machte eine Pau&#x017F;e, während welcher Timpe zu&#x017F;tim¬<lb/>
mend nickte. Dann begann er aufs Neue:</p><lb/>
        <p>&#x201E;Mei&#x017F;ter, Sie &#x017F;ind einer der be&#x017F;ten Men&#x017F;chen, die ich<lb/>
kennen gelernt habe. Sie haben Niemandem etwas zu Leide<lb/>
gethan, haben von früh bis &#x017F;pät fleißig gearbeitet, &#x017F;ind gerecht<lb/>
gegen Jedermann gewe&#x017F;en, und doch hat es den An&#x017F;chein, als<lb/>
wären Sie auf der Welt überflü&#x017F;&#x017F;ig, als würde die Gro߬<lb/>
indu&#x017F;trie eines Tages &#x017F;iegreich über Sie hinweg&#x017F;chreiten. Mei&#x017F;ter,<lb/>
Sie müßten blind &#x017F;ein, wenn Sie nicht ein&#x017F;ähen, daß das<lb/>
Heil nur in der Sozialdemokratie liegt. Treten Sie zu uns<lb/>
über, be&#x017F;uchen Sie un&#x017F;ere Ver&#x017F;ammlungen &#x2014; heute Abend<lb/>
&#x017F;chon! Geben Sie Ihre Stimme bei der näch&#x017F;ten Reichstags¬<lb/>
wahl einem Manne aus dem werkthätigen Volke, der die<lb/>
Leiden der Kleinmei&#x017F;ter kennt, der mit beredten Worten Ihre<lb/>
Rechte vertreten wird. Dann wird auch für Sie der Tag der<lb/>
Vergeltung kommen &#x2014; gegen den da drüben, der einen einzigen<lb/>
Treibriemen höher &#x017F;chätzt, als die Exi&#x017F;tenz von hundert Familien;<lb/>
der Ihnen das letzte Stück Brod aus dem Munde wegnehmen<lb/>
wird, &#x017F;o wahr ich Thomas Beyer heiße. Die Welt läuft<lb/>
nicht rückwärts, denn &#x017F;ie muß vorwärts gehen. Ich weiß, Sie<lb/>
&#x017F;ind ein gottesfürchtiger Mann, aber Gott will nicht, daß ein<lb/>
Gerechter leide um hundert Ungerechter willen. Und &#x017F;elb&#x017F;t die<lb/>
Könige &#x017F;ind doch demüthig vor Gott . . . Schlagen Sie ein<lb/>
Mei&#x017F;ter &#x2014; &#x017F;olche Leute können wir gebrauchen.&#x201C;</p><lb/>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[207/0219] So iſt es auch mit dem Handwerk. Wenn die Meiſter ihre Söhne zu guten Handwerkern machten und die Söhne dieſem Prinzipe ihren dereinſtigen Kindern gegenüber treu blieben, ſo würden immer wieder aufs Neue kräftige Generationen entſtehen, die ein gutes Fundament unter den Füßen hätten. Und wo das iſt, da iſt bekanntlich gut bauen.“ Er machte eine Pauſe, während welcher Timpe zuſtim¬ mend nickte. Dann begann er aufs Neue: „Meiſter, Sie ſind einer der beſten Menſchen, die ich kennen gelernt habe. Sie haben Niemandem etwas zu Leide gethan, haben von früh bis ſpät fleißig gearbeitet, ſind gerecht gegen Jedermann geweſen, und doch hat es den Anſchein, als wären Sie auf der Welt überflüſſig, als würde die Gro߬ induſtrie eines Tages ſiegreich über Sie hinwegſchreiten. Meiſter, Sie müßten blind ſein, wenn Sie nicht einſähen, daß das Heil nur in der Sozialdemokratie liegt. Treten Sie zu uns über, beſuchen Sie unſere Verſammlungen — heute Abend ſchon! Geben Sie Ihre Stimme bei der nächſten Reichstags¬ wahl einem Manne aus dem werkthätigen Volke, der die Leiden der Kleinmeiſter kennt, der mit beredten Worten Ihre Rechte vertreten wird. Dann wird auch für Sie der Tag der Vergeltung kommen — gegen den da drüben, der einen einzigen Treibriemen höher ſchätzt, als die Exiſtenz von hundert Familien; der Ihnen das letzte Stück Brod aus dem Munde wegnehmen wird, ſo wahr ich Thomas Beyer heiße. Die Welt läuft nicht rückwärts, denn ſie muß vorwärts gehen. Ich weiß, Sie ſind ein gottesfürchtiger Mann, aber Gott will nicht, daß ein Gerechter leide um hundert Ungerechter willen. Und ſelbſt die Könige ſind doch demüthig vor Gott . . . Schlagen Sie ein Meiſter — ſolche Leute können wir gebrauchen.“

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/kretzer_timpe_1888
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/kretzer_timpe_1888/219
Zitationshilfe: Kretzer, Max: Meister Timpe. Berlin, 1888, S. 207. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kretzer_timpe_1888/219>, abgerufen am 21.11.2024.