Kretzer, Max: Meister Timpe. Berlin, 1888."Es ist eine Schande und eine Sünde, daß wir dem Sie wollte zu Franz gehen, um ihm ohne Umschweife Sie hatte bereits den Hut aufgesetzt und das Tuch um¬ "Mutter, das thust Du nicht, oder es ist mein Tod . . . "Es ist seine Pflicht und Schuldigkeit, uns zu helfen," "Und ich sage Dir nochmals, es ist mein Tod. . . Ent¬ Karoline legte stillschweigend ihre Garderobe wieder ab An einem Sonntag Vormittag, die Meisterin saß mit „Es iſt eine Schande und eine Sünde, daß wir dem Sie wollte zu Franz gehen, um ihm ohne Umſchweife Sie hatte bereits den Hut aufgeſetzt und das Tuch um¬ „Mutter, das thuſt Du nicht, oder es iſt mein Tod . . . „Es iſt ſeine Pflicht und Schuldigkeit, uns zu helfen,“ „Und ich ſage Dir nochmals, es iſt mein Tod. . . Ent¬ Karoline legte ſtillſchweigend ihre Garderobe wieder ab An einem Sonntag Vormittag, die Meiſterin ſaß mit <TEI> <text> <body> <div n="1"> <pb facs="#f0247" n="235"/> <p>„Es iſt eine Schande und eine Sünde, daß wir dem<lb/> Bettelſtab entgegen gehen müſſen, während unſer Sohn im<lb/> Honig ſitzt“, ſagte ſie eines Tages. „I, das müßte mit dem<lb/> Wetter zugehen, wenn ſo ein Junge, den ich mit Schmerzen<lb/> zur Welt gebracht habe, nicht wiſſen ſollte, was ſeine<lb/> Pflicht iſt.“</p><lb/> <p>Sie wollte zu Franz gehen, um ihm ohne Umſchweife<lb/> zu ſagen, daß es im Elternhauſe „Matthäi am letzten“ ſei.</p><lb/> <p>Sie hatte bereits den Hut aufgeſetzt und das Tuch um¬<lb/> gebunden, als ſie zu ihrem Manne davon ſprach. Er gerieth<lb/> in große Erregung und hielt ſie an der Hand zurück.</p><lb/> <p>„Mutter, das thuſt Du nicht, oder es iſt mein Tod . . .<lb/> Willſt Du bei Deinem Kinde betteln gehen?“</p><lb/> <p>„Es iſt ſeine Pflicht und Schuldigkeit, uns zu helfen,“<lb/> erwiderte die Meiſterin.</p><lb/> <p>„Und ich ſage Dir nochmals, es iſt mein Tod. . . Ent¬<lb/> ſcheide zwiſchen mir und ihm. . . Willſt Du mir auf meine<lb/> alten Tage die Schmach anthun, daß ich vor meinem Sohne<lb/> zu Kreuze kriechen ſoll? . . . Eher will ich verhungern, als<lb/><hi rendition="#g">das</hi> thun.“</p><lb/> <p>Karoline legte ſtillſchweigend ihre Garderobe wieder ab<lb/> und wagte nicht mehr darauf zurückzukommen. Nicht um<lb/> zehn Jahre ihres Lebens wollte ſie noch einmal das Ge¬<lb/> ſicht ſehen, das ihr Mann bei ſeinen letzten Worten ge¬<lb/> macht hatte.</p><lb/> <p>An einem Sonntag Vormittag, die Meiſterin ſaß mit<lb/> ihrem Geſangbuch am Fenſter, fuhr ein Wagen vor, aus dem<lb/> Frau Timpe junior ſtieg. Karoline lief dem Beſuch ent¬<lb/> gegen und nöthigte ihn dann voller Freude in die gute Stube<lb/> hinein. Johannes hatte das Rollen und Halten des Wagens<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [235/0247]
„Es iſt eine Schande und eine Sünde, daß wir dem
Bettelſtab entgegen gehen müſſen, während unſer Sohn im
Honig ſitzt“, ſagte ſie eines Tages. „I, das müßte mit dem
Wetter zugehen, wenn ſo ein Junge, den ich mit Schmerzen
zur Welt gebracht habe, nicht wiſſen ſollte, was ſeine
Pflicht iſt.“
Sie wollte zu Franz gehen, um ihm ohne Umſchweife
zu ſagen, daß es im Elternhauſe „Matthäi am letzten“ ſei.
Sie hatte bereits den Hut aufgeſetzt und das Tuch um¬
gebunden, als ſie zu ihrem Manne davon ſprach. Er gerieth
in große Erregung und hielt ſie an der Hand zurück.
„Mutter, das thuſt Du nicht, oder es iſt mein Tod . . .
Willſt Du bei Deinem Kinde betteln gehen?“
„Es iſt ſeine Pflicht und Schuldigkeit, uns zu helfen,“
erwiderte die Meiſterin.
„Und ich ſage Dir nochmals, es iſt mein Tod. . . Ent¬
ſcheide zwiſchen mir und ihm. . . Willſt Du mir auf meine
alten Tage die Schmach anthun, daß ich vor meinem Sohne
zu Kreuze kriechen ſoll? . . . Eher will ich verhungern, als
das thun.“
Karoline legte ſtillſchweigend ihre Garderobe wieder ab
und wagte nicht mehr darauf zurückzukommen. Nicht um
zehn Jahre ihres Lebens wollte ſie noch einmal das Ge¬
ſicht ſehen, das ihr Mann bei ſeinen letzten Worten ge¬
macht hatte.
An einem Sonntag Vormittag, die Meiſterin ſaß mit
ihrem Geſangbuch am Fenſter, fuhr ein Wagen vor, aus dem
Frau Timpe junior ſtieg. Karoline lief dem Beſuch ent¬
gegen und nöthigte ihn dann voller Freude in die gute Stube
hinein. Johannes hatte das Rollen und Halten des Wagens
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