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Kretzer, Max: Meister Timpe. Berlin, 1888.

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"Aber man begießt sie einfach, dann weichen sie auf", erwiderte
Klatt, griff in seine Tasche, holte ein Fläschchen hervor und
nahm einen herzhaften Schluck. "Hier, Meister Timpe, das
ist der wahre Sorgenbrecher -- kosten Sie einmal . . . Na,
Sie werden mir doch keinen Korb geben . . ."

Das Anerbieten kam Johannes so plötzlich, der Maurer
lachte ihn so lustig an, daß er mechanisch die Hand ausstreckte.
Er warf einen Blick in die Runde, griff nach der Flasche,
bückte sich und setzte sie an den Mund. Während er dann
weiter plauderte, empfand er, wie es ihm heiß nach dem Kopfe
stieg und eine Belebung durch seinen Körper ging, als wäre
er um zehn Jahre jünger geworden. So kam es denn, daß
er auch zum zweiten Male die Flasche nicht abschlug, als der
Mann im weißen Kittel sie ihm mit den Worten hinreichte:
"Na Meister, noch einen zum Abgewöhnen!"

Als er dann wieder herabgestiegen und zu Frau Karo¬
line in die Stube getreten war, erlaubte er sich mit der ge¬
treuen Ehehälfte allerlei Scherze, so daß sie sich aufrichtig
freute, ihn seit langer Zeit wieder einmal frohen Muthes zu
sehen. Als er sie aber wie ein verliebter Bräutigam umfing
und küssen wollte, wich sie plötzlich zurück und starrte ihn
als hätte sie plötzlich etwas Abschreckendes an ihm bemerkt.

"Vater, Du riechst nach Schnaps -- mein Gott, Du
trinkst! Auch das noch!" rief sie aus.

Diese Entdeckung wirkte wie erschlaffend auf sie. Un¬
willkürlich faltete sie die Hände und betrachtete ihn mit einem
Blick unsäglichen Mitleids, -- ihn, der durch diese fürchter¬
liche Anklage halb ernüchtert, sich weggewandt und dem
Fenster zugekehrt hatte. Minutenlang stand er schweigend

„Aber man begießt ſie einfach, dann weichen ſie auf“, erwiderte
Klatt, griff in ſeine Taſche, holte ein Fläſchchen hervor und
nahm einen herzhaften Schluck. „Hier, Meiſter Timpe, das
iſt der wahre Sorgenbrecher — koſten Sie einmal . . . Na,
Sie werden mir doch keinen Korb geben . . .“

Das Anerbieten kam Johannes ſo plötzlich, der Maurer
lachte ihn ſo luſtig an, daß er mechaniſch die Hand ausſtreckte.
Er warf einen Blick in die Runde, griff nach der Flaſche,
bückte ſich und ſetzte ſie an den Mund. Während er dann
weiter plauderte, empfand er, wie es ihm heiß nach dem Kopfe
ſtieg und eine Belebung durch ſeinen Körper ging, als wäre
er um zehn Jahre jünger geworden. So kam es denn, daß
er auch zum zweiten Male die Flaſche nicht abſchlug, als der
Mann im weißen Kittel ſie ihm mit den Worten hinreichte:
„Na Meiſter, noch einen zum Abgewöhnen!“

Als er dann wieder herabgeſtiegen und zu Frau Karo¬
line in die Stube getreten war, erlaubte er ſich mit der ge¬
treuen Ehehälfte allerlei Scherze, ſo daß ſie ſich aufrichtig
freute, ihn ſeit langer Zeit wieder einmal frohen Muthes zu
ſehen. Als er ſie aber wie ein verliebter Bräutigam umfing
und küſſen wollte, wich ſie plötzlich zurück und ſtarrte ihn
als hätte ſie plötzlich etwas Abſchreckendes an ihm bemerkt.

„Vater, Du riechſt nach Schnaps — mein Gott, Du
trinkſt! Auch das noch!“ rief ſie aus.

Dieſe Entdeckung wirkte wie erſchlaffend auf ſie. Un¬
willkürlich faltete ſie die Hände und betrachtete ihn mit einem
Blick unſäglichen Mitleids, — ihn, der durch dieſe fürchter¬
liche Anklage halb ernüchtert, ſich weggewandt und dem
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[240/0252] „Aber man begießt ſie einfach, dann weichen ſie auf“, erwiderte Klatt, griff in ſeine Taſche, holte ein Fläſchchen hervor und nahm einen herzhaften Schluck. „Hier, Meiſter Timpe, das iſt der wahre Sorgenbrecher — koſten Sie einmal . . . Na, Sie werden mir doch keinen Korb geben . . .“ Das Anerbieten kam Johannes ſo plötzlich, der Maurer lachte ihn ſo luſtig an, daß er mechaniſch die Hand ausſtreckte. Er warf einen Blick in die Runde, griff nach der Flaſche, bückte ſich und ſetzte ſie an den Mund. Während er dann weiter plauderte, empfand er, wie es ihm heiß nach dem Kopfe ſtieg und eine Belebung durch ſeinen Körper ging, als wäre er um zehn Jahre jünger geworden. So kam es denn, daß er auch zum zweiten Male die Flaſche nicht abſchlug, als der Mann im weißen Kittel ſie ihm mit den Worten hinreichte: „Na Meiſter, noch einen zum Abgewöhnen!“ Als er dann wieder herabgeſtiegen und zu Frau Karo¬ line in die Stube getreten war, erlaubte er ſich mit der ge¬ treuen Ehehälfte allerlei Scherze, ſo daß ſie ſich aufrichtig freute, ihn ſeit langer Zeit wieder einmal frohen Muthes zu ſehen. Als er ſie aber wie ein verliebter Bräutigam umfing und küſſen wollte, wich ſie plötzlich zurück und ſtarrte ihn als hätte ſie plötzlich etwas Abſchreckendes an ihm bemerkt. „Vater, Du riechſt nach Schnaps — mein Gott, Du trinkſt! Auch das noch!“ rief ſie aus. Dieſe Entdeckung wirkte wie erſchlaffend auf ſie. Un¬ willkürlich faltete ſie die Hände und betrachtete ihn mit einem Blick unſäglichen Mitleids, — ihn, der durch dieſe fürchter¬ liche Anklage halb ernüchtert, ſich weggewandt und dem Fenſter zugekehrt hatte. Minutenlang ſtand er ſchweigend

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Zitationshilfe: Kretzer, Max: Meister Timpe. Berlin, 1888, S. 240. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kretzer_timpe_1888/252>, abgerufen am 22.11.2024.