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Kretzer, Max: Meister Timpe. Berlin, 1888.

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Er hatte noch keine Ahnung von dem Tode seiner
Mutter und selbst Urban und dessen Frau erfuhren erst von
ihm davon. Zum ersten Male in seinem Leben empfand er
Gewissensbisse, die ihn krank machten. Dazu kam der Aerger
über die Blamage, der er durch die Hartnäckigkeit seines
Vaters ausgesetzt war. Er habe noch niemals gehört, daß
einem Sohne der Tod seiner Mutter grundsätzlich verschwiegen
worden sei, sagte er zu Emma, die vor sechs Tagen einem
Knaben das Leben gegeben hatte, von dem ihr sehnlichster
Wunsch war, daß er den Namen seines Großvaters tragen
sollte. Mit dem Alten scheine es in der letzten Zeit nicht
richtig zu sein, wie man sich erzähle, fuhr er fort. Habe
man ihm nicht vor Jahren einen vierfachen Preis für sein
Grundstück geboten, ihm nicht noch vor kurzer Zeit ein an¬
ständiges Angebot gemacht? Einen derartigen Trotz könne er
nicht begreifen. Nun machten die Leute ihn, den Sohn, für
Alles verantwortlich und würden schließlich mit dem Finger
auf ihn deuten.

Er war so aufgeregt, daß er das Essen nicht anrührte,
einen Boten nach der Fabrik schickte, sich für unpäßlich er¬
klärte und um regelmäßigen Rapport bat.

Emma rief ihn mit schwacher Stimme zu sich heran,
deutete auf das Kind, das seine Züge trug und flehte ihn an,
sich zu seinem Vater zu begeben, um Alles wieder gut zu
machen. Sie habe Recht, es müsse irgend etwas geschehen,
sonst leide sein ganzes Renommee darunter, meinte er zu¬
stimmend.

Als Frau Urban gerade ins Zimmer trat, um sich wie
alltäglich nach dem Befinden der Wöchnerin zu erkundigen,
zog man sie ins Geheimniß. Sie sollte erst allein zum Meister

17 *

Er hatte noch keine Ahnung von dem Tode ſeiner
Mutter und ſelbſt Urban und deſſen Frau erfuhren erſt von
ihm davon. Zum erſten Male in ſeinem Leben empfand er
Gewiſſensbiſſe, die ihn krank machten. Dazu kam der Aerger
über die Blamage, der er durch die Hartnäckigkeit ſeines
Vaters ausgeſetzt war. Er habe noch niemals gehört, daß
einem Sohne der Tod ſeiner Mutter grundſätzlich verſchwiegen
worden ſei, ſagte er zu Emma, die vor ſechs Tagen einem
Knaben das Leben gegeben hatte, von dem ihr ſehnlichſter
Wunſch war, daß er den Namen ſeines Großvaters tragen
ſollte. Mit dem Alten ſcheine es in der letzten Zeit nicht
richtig zu ſein, wie man ſich erzähle, fuhr er fort. Habe
man ihm nicht vor Jahren einen vierfachen Preis für ſein
Grundſtück geboten, ihm nicht noch vor kurzer Zeit ein an¬
ſtändiges Angebot gemacht? Einen derartigen Trotz könne er
nicht begreifen. Nun machten die Leute ihn, den Sohn, für
Alles verantwortlich und würden ſchließlich mit dem Finger
auf ihn deuten.

Er war ſo aufgeregt, daß er das Eſſen nicht anrührte,
einen Boten nach der Fabrik ſchickte, ſich für unpäßlich er¬
klärte und um regelmäßigen Rapport bat.

Emma rief ihn mit ſchwacher Stimme zu ſich heran,
deutete auf das Kind, das ſeine Züge trug und flehte ihn an,
ſich zu ſeinem Vater zu begeben, um Alles wieder gut zu
machen. Sie habe Recht, es müſſe irgend etwas geſchehen,
ſonſt leide ſein ganzes Renommee darunter, meinte er zu¬
ſtimmend.

Als Frau Urban gerade ins Zimmer trat, um ſich wie
alltäglich nach dem Befinden der Wöchnerin zu erkundigen,
zog man ſie ins Geheimniß. Sie ſollte erſt allein zum Meiſter

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[259/0271] Er hatte noch keine Ahnung von dem Tode ſeiner Mutter und ſelbſt Urban und deſſen Frau erfuhren erſt von ihm davon. Zum erſten Male in ſeinem Leben empfand er Gewiſſensbiſſe, die ihn krank machten. Dazu kam der Aerger über die Blamage, der er durch die Hartnäckigkeit ſeines Vaters ausgeſetzt war. Er habe noch niemals gehört, daß einem Sohne der Tod ſeiner Mutter grundſätzlich verſchwiegen worden ſei, ſagte er zu Emma, die vor ſechs Tagen einem Knaben das Leben gegeben hatte, von dem ihr ſehnlichſter Wunſch war, daß er den Namen ſeines Großvaters tragen ſollte. Mit dem Alten ſcheine es in der letzten Zeit nicht richtig zu ſein, wie man ſich erzähle, fuhr er fort. Habe man ihm nicht vor Jahren einen vierfachen Preis für ſein Grundſtück geboten, ihm nicht noch vor kurzer Zeit ein an¬ ſtändiges Angebot gemacht? Einen derartigen Trotz könne er nicht begreifen. Nun machten die Leute ihn, den Sohn, für Alles verantwortlich und würden ſchließlich mit dem Finger auf ihn deuten. Er war ſo aufgeregt, daß er das Eſſen nicht anrührte, einen Boten nach der Fabrik ſchickte, ſich für unpäßlich er¬ klärte und um regelmäßigen Rapport bat. Emma rief ihn mit ſchwacher Stimme zu ſich heran, deutete auf das Kind, das ſeine Züge trug und flehte ihn an, ſich zu ſeinem Vater zu begeben, um Alles wieder gut zu machen. Sie habe Recht, es müſſe irgend etwas geſchehen, ſonſt leide ſein ganzes Renommee darunter, meinte er zu¬ ſtimmend. Als Frau Urban gerade ins Zimmer trat, um ſich wie alltäglich nach dem Befinden der Wöchnerin zu erkundigen, zog man ſie ins Geheimniß. Sie ſollte erſt allein zum Meiſter 17 *

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Zitationshilfe: Kretzer, Max: Meister Timpe. Berlin, 1888, S. 259. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kretzer_timpe_1888/271>, abgerufen am 22.11.2024.