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Kretzer, Max: Meister Timpe. Berlin, 1888.

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Du ihn noch, den Obstdieb? . . . Na, schadet nichts, alles
vergessen! Er gehört zu unserem Geschäft."

Frau Kirchberg, eine stattliche Dame mit sehr ausdrucks¬
vollen Zügen, die sehr langsam zu sprechen pflegte und jedes
Wort, das sie sprach, mit der Lorgnette in der Hand beglei¬
tete, lächelte gnädig und erkundigte sich in ihrer monotonen
Weise nach den Eltern des jungen Mannes. Und da sie inne
ward, daß Franz, der nach diesem unerwarteten Empfang sofort
den Kopf wieder in die Höhe streckte, sich überstürzte, äußerst
aufmerksam gegen sie zu sein (er hatte sofort ihr nieder¬
gefallenes Spitzentuch aufgehoben und es
beugung zurückerstattet), so verschwand allmählich ihre alte
Antipathie gegen ihn, verstieg sie sich nach fünf Minuten be¬
reits, während welchen sie neben einander dahin geschritten
waren, zu der ihrem Manne zugeraunten Aeußerung, daß
man es anscheinend mit einem sehr wohl erzogenen jungen
Manne zu thun habe, der durchaus nicht den Eindruck mache,
als stamme er aus einer einfachen Handwerkerfamilie.

Und Urban, der wie immer, seitdem er das junge Ehe¬
glück genoß, äußerst gut gelaunt war, und der schon längst
seine besonderen Pläne mit dem einzigen Sohne Meister Timpe's
hatte, fühlte sich durch diese unerwartete Gnade seiner Frau
so erfreut, daß er sich sofort an die Seite seines ihn um
Haupteslänge überragenden Lehrlings begab, und, fortwährend
mit schiefem Kopfe zu Franz aufblickend, ein Gespräch be¬
gann, das sich um die neue Fabrik drehte. Er vergaß dabei
nicht, hin und wieder auf die geschäftliche Thätigkeit seines
Nachbarn zu kommen, über die er jedenfalls von dem Sohne
die beste Auskunft empfangen mußte.

Dann, wenn Franz, geehrt durch diese Würdigung seiner

Du ihn noch, den Obſtdieb? . . . Na, ſchadet nichts, alles
vergeſſen! Er gehört zu unſerem Geſchäft.“

Frau Kirchberg, eine ſtattliche Dame mit ſehr ausdrucks¬
vollen Zügen, die ſehr langſam zu ſprechen pflegte und jedes
Wort, das ſie ſprach, mit der Lorgnette in der Hand beglei¬
tete, lächelte gnädig und erkundigte ſich in ihrer monotonen
Weiſe nach den Eltern des jungen Mannes. Und da ſie inne
ward, daß Franz, der nach dieſem unerwarteten Empfang ſofort
den Kopf wieder in die Höhe ſtreckte, ſich überſtürzte, äußerſt
aufmerkſam gegen ſie zu ſein (er hatte ſofort ihr nieder¬
gefallenes Spitzentuch aufgehoben und es
beugung zurückerſtattet), ſo verſchwand allmählich ihre alte
Antipathie gegen ihn, verſtieg ſie ſich nach fünf Minuten be¬
reits, während welchen ſie neben einander dahin geſchritten
waren, zu der ihrem Manne zugeraunten Aeußerung, daß
man es anſcheinend mit einem ſehr wohl erzogenen jungen
Manne zu thun habe, der durchaus nicht den Eindruck mache,
als ſtamme er aus einer einfachen Handwerkerfamilie.

Und Urban, der wie immer, ſeitdem er das junge Ehe¬
glück genoß, äußerſt gut gelaunt war, und der ſchon längſt
ſeine beſonderen Pläne mit dem einzigen Sohne Meiſter Timpe's
hatte, fühlte ſich durch dieſe unerwartete Gnade ſeiner Frau
ſo erfreut, daß er ſich ſofort an die Seite ſeines ihn um
Haupteslänge überragenden Lehrlings begab, und, fortwährend
mit ſchiefem Kopfe zu Franz aufblickend, ein Geſpräch be¬
gann, das ſich um die neue Fabrik drehte. Er vergaß dabei
nicht, hin und wieder auf die geſchäftliche Thätigkeit ſeines
Nachbarn zu kommen, über die er jedenfalls von dem Sohne
die beſte Auskunft empfangen mußte.

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[61/0073] Du ihn noch, den Obſtdieb? . . . Na, ſchadet nichts, alles vergeſſen! Er gehört zu unſerem Geſchäft.“ Frau Kirchberg, eine ſtattliche Dame mit ſehr ausdrucks¬ vollen Zügen, die ſehr langſam zu ſprechen pflegte und jedes Wort, das ſie ſprach, mit der Lorgnette in der Hand beglei¬ tete, lächelte gnädig und erkundigte ſich in ihrer monotonen Weiſe nach den Eltern des jungen Mannes. Und da ſie inne ward, daß Franz, der nach dieſem unerwarteten Empfang ſofort den Kopf wieder in die Höhe ſtreckte, ſich überſtürzte, äußerſt aufmerkſam gegen ſie zu ſein (er hatte ſofort ihr nieder¬ gefallenes Spitzentuch aufgehoben und es beugung zurückerſtattet), ſo verſchwand allmählich ihre alte Antipathie gegen ihn, verſtieg ſie ſich nach fünf Minuten be¬ reits, während welchen ſie neben einander dahin geſchritten waren, zu der ihrem Manne zugeraunten Aeußerung, daß man es anſcheinend mit einem ſehr wohl erzogenen jungen Manne zu thun habe, der durchaus nicht den Eindruck mache, als ſtamme er aus einer einfachen Handwerkerfamilie. Und Urban, der wie immer, ſeitdem er das junge Ehe¬ glück genoß, äußerſt gut gelaunt war, und der ſchon längſt ſeine beſonderen Pläne mit dem einzigen Sohne Meiſter Timpe's hatte, fühlte ſich durch dieſe unerwartete Gnade ſeiner Frau ſo erfreut, daß er ſich ſofort an die Seite ſeines ihn um Haupteslänge überragenden Lehrlings begab, und, fortwährend mit ſchiefem Kopfe zu Franz aufblickend, ein Geſpräch be¬ gann, das ſich um die neue Fabrik drehte. Er vergaß dabei nicht, hin und wieder auf die geſchäftliche Thätigkeit ſeines Nachbarn zu kommen, über die er jedenfalls von dem Sohne die beſte Auskunft empfangen mußte. Dann, wenn Franz, geehrt durch dieſe Würdigung ſeiner

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Zitationshilfe: Kretzer, Max: Meister Timpe. Berlin, 1888, S. 61. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kretzer_timpe_1888/73>, abgerufen am 24.11.2024.