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Kretzer, Max: Meister Timpe. Berlin, 1888.

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Johannes Timpe in einem geschäftlichen Verhältniß stand;
nicht in seiner Eigenschaft als Hüter der Nacht, sondern
als Fußbekleidungskünstler, dem das Aufbessern und
Neugestalten des Schuhwerks der ganzen Familie auvertraut
worden war. Und da er eine hübsche Tochter besaß, mit
welcher Thomas Beyer durch eine merkwürdige Verkettung
von Umständen bekannt geworden war, um schließlich sein
Herz an sie zu verlieren, so benutzte auch er mit andauernder
Zähigkeit den Donnerstag zu seinen Besuchen, um lebhaften
Antheil an der schwebenden Kardinalfrage des Tages zu nehmen.
Sein Hauptbestreben ging jedoch darauf hinaus, den auf¬
geklärten Thomas Beyer durch eingehende Beobachtung und
plötzlich angestelltes Kreuzverhör einer Prüfung zu unter¬
werfen, die es ihm ermöglichte, endlich den Tag zu
erfahren, an welchem der Altgeselle Fräulein Helene
Krusemeyer als getreue Gattin heimzuführen gedenke.
Drehte dagegen das Gespräch sich um Politik, so war es er¬
götzlich zu vernehmen, mit welcher Glaubensstärke Herr Kruse¬
meyer sich auf die Unfehlbarkeit seines Beamtenthums berief.
Seine ständige Redensart war dann: "Liebegott und ich ge¬
hören zur Polizei, und die weiß alles."

Johannes Timpe sah in der letzten Zeit den Besuchen
des Hausschusters und Nachtwächters mit einer gewissen Er¬
wartung entgegen, die ihre Erklärung in den Neuigkeiten fand,
mit denen Krusemeyer stets aufzuwarten pflegte; wußte dieser
doch mancherlei über den Bau von Urban's Fabrik zu be¬
richten, da er in einem der kleinen Häuser, welche den Bau¬
platz am anderen Ende der Straße umschlossen, wohnte und
tagtäglich die Vorgänge auf dem Terrain verfolgen konnte.
Den Drechslermeister interessirte nun einmal jede Kleinig¬

Johannes Timpe in einem geſchäftlichen Verhältniß ſtand;
nicht in ſeiner Eigenſchaft als Hüter der Nacht, ſondern
als Fußbekleidungskünſtler, dem das Aufbeſſern und
Neugeſtalten des Schuhwerks der ganzen Familie auvertraut
worden war. Und da er eine hübſche Tochter beſaß, mit
welcher Thomas Beyer durch eine merkwürdige Verkettung
von Umſtänden bekannt geworden war, um ſchließlich ſein
Herz an ſie zu verlieren, ſo benutzte auch er mit andauernder
Zähigkeit den Donnerſtag zu ſeinen Beſuchen, um lebhaften
Antheil an der ſchwebenden Kardinalfrage des Tages zu nehmen.
Sein Hauptbeſtreben ging jedoch darauf hinaus, den auf¬
geklärten Thomas Beyer durch eingehende Beobachtung und
plötzlich angeſtelltes Kreuzverhör einer Prüfung zu unter¬
werfen, die es ihm ermöglichte, endlich den Tag zu
erfahren, an welchem der Altgeſelle Fräulein Helene
Kruſemeyer als getreue Gattin heimzuführen gedenke.
Drehte dagegen das Geſpräch ſich um Politik, ſo war es er¬
götzlich zu vernehmen, mit welcher Glaubensſtärke Herr Kruſe¬
meyer ſich auf die Unfehlbarkeit ſeines Beamtenthums berief.
Seine ſtändige Redensart war dann: „Liebegott und ich ge¬
hören zur Polizei, und die weiß alles.“

Johannes Timpe ſah in der letzten Zeit den Beſuchen
des Hausſchuſters und Nachtwächters mit einer gewiſſen Er¬
wartung entgegen, die ihre Erklärung in den Neuigkeiten fand,
mit denen Kruſemeyer ſtets aufzuwarten pflegte; wußte dieſer
doch mancherlei über den Bau von Urban's Fabrik zu be¬
richten, da er in einem der kleinen Häuſer, welche den Bau¬
platz am anderen Ende der Straße umſchloſſen, wohnte und
tagtäglich die Vorgänge auf dem Terrain verfolgen konnte.
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[75/0087] Johannes Timpe in einem geſchäftlichen Verhältniß ſtand; nicht in ſeiner Eigenſchaft als Hüter der Nacht, ſondern als Fußbekleidungskünſtler, dem das Aufbeſſern und Neugeſtalten des Schuhwerks der ganzen Familie auvertraut worden war. Und da er eine hübſche Tochter beſaß, mit welcher Thomas Beyer durch eine merkwürdige Verkettung von Umſtänden bekannt geworden war, um ſchließlich ſein Herz an ſie zu verlieren, ſo benutzte auch er mit andauernder Zähigkeit den Donnerſtag zu ſeinen Beſuchen, um lebhaften Antheil an der ſchwebenden Kardinalfrage des Tages zu nehmen. Sein Hauptbeſtreben ging jedoch darauf hinaus, den auf¬ geklärten Thomas Beyer durch eingehende Beobachtung und plötzlich angeſtelltes Kreuzverhör einer Prüfung zu unter¬ werfen, die es ihm ermöglichte, endlich den Tag zu erfahren, an welchem der Altgeſelle Fräulein Helene Kruſemeyer als getreue Gattin heimzuführen gedenke. Drehte dagegen das Geſpräch ſich um Politik, ſo war es er¬ götzlich zu vernehmen, mit welcher Glaubensſtärke Herr Kruſe¬ meyer ſich auf die Unfehlbarkeit ſeines Beamtenthums berief. Seine ſtändige Redensart war dann: „Liebegott und ich ge¬ hören zur Polizei, und die weiß alles.“ Johannes Timpe ſah in der letzten Zeit den Beſuchen des Hausſchuſters und Nachtwächters mit einer gewiſſen Er¬ wartung entgegen, die ihre Erklärung in den Neuigkeiten fand, mit denen Kruſemeyer ſtets aufzuwarten pflegte; wußte dieſer doch mancherlei über den Bau von Urban's Fabrik zu be¬ richten, da er in einem der kleinen Häuſer, welche den Bau¬ platz am anderen Ende der Straße umſchloſſen, wohnte und tagtäglich die Vorgänge auf dem Terrain verfolgen konnte. Den Drechslermeiſter intereſſirte nun einmal jede Kleinig¬

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Zitationshilfe: Kretzer, Max: Meister Timpe. Berlin, 1888, S. 75. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kretzer_timpe_1888/87>, abgerufen am 21.11.2024.