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Krieger, Ernst: [Lebenserinnerungen des Ernst Krieger]. Um 1907.

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''''Herbeischaffung von Lebensmitteln, die auf Stelzen herbeigeholt werden durften, weshalb das Stelzenlaufen fleissig geübt wurde.

Grosse Aufregung brachten die Kämpfe zwischen den Unterstädtern und den Oberstädtern vulgo Ratzgässern. Aus kleinen Plänkeleien und Prügeleien im ganzen Jahre entwickelten sich im Herbste nach der ?-Ernte und in der Ferienzeit wahre Feldzüge und Schlachten, die kaum nach dem Eintreten der Polizei und anderer Autoritäten aufhörten. Ein besonderes Vergnügen war die alljährlich vom Hausarzte verordnete Purganz. Das Erbrechen war ja ekelig, aber 3-4 Tage Schulfreiheit, behagliches Bettliegen und Gepflegtwerden, dazu Genüsse wie Himbeerwasser, Mandelmilch und dergl. wogen die ersten Unannehmlichkeiten weit auf.

Unterdessen kam die Zeit, mich dem Gymnasium bezw. der Lateinschule zu übergeben. Ich war 9 Jahre alt und wurde in der 1. Klasse vom Studienlehrer Krafft in Empfang genommen, der vom geistlichen ins Lehramt übergesprungen war. Vom Unterrichte ist mir keine Erinnerung geblieben, doch kam ich gut voran. Weniger gut ging es in der 2. Klasse bei Studienlehrer Sauber, wenigstens musste ich in den Ferien viel lateinische Grammatik nachstudieren. Der Studienlehrer der 3. Klasse, Görringer, galt als tüchtiger und strenger Lehrer, aber von seinem Unterrichte ist mir keine Erinnerung geblieben. Dagegen fasste mich der Schriftlehrer Sauber, der Ordinarius der 2. Klasse, scharf aufs Korn und sperrte mich einmal nach drei aufeinanderfolgenden Stunden über Tisch wegen ungenügender Leistung ein, so dass sogar der Pedell Mitleid mit mir hatte. Wenn meine spätere leserliche Schrift die Folge der Sauterschen Gewaltkur war, - ich sage "wenn", - dann bin ich dem wunderlichen Schreiblehrer rechten Dank schuldig.

In der 4. Klasse war Onkel Helfreich, der Mann von Tante Lili, Ordinarius. Er war ein feiner, guthmüthiger, wohlunterrichteter

’‘’‘Herbeischaffung von Lebensmitteln, die auf Stelzen herbeigeholt werden durften, weshalb das Stelzenlaufen fleissig geübt wurde.

Grosse Aufregung brachten die Kämpfe zwischen den Unterstädtern und den Oberstädtern vulgo Ratzgässern. Aus kleinen Plänkeleien und Prügeleien im ganzen Jahre entwickelten sich im Herbste nach der ?-Ernte und in der Ferienzeit wahre Feldzüge und Schlachten, die kaum nach dem Eintreten der Polizei und anderer Autoritäten aufhörten. Ein besonderes Vergnügen war die alljährlich vom Hausarzte verordnete Purganz. Das Erbrechen war ja ekelig, aber 3-4 Tage Schulfreiheit, behagliches Bettliegen und Gepflegtwerden, dazu Genüsse wie Himbeerwasser, Mandelmilch und dergl. wogen die ersten Unannehmlichkeiten weit auf.

Unterdessen kam die Zeit, mich dem Gymnasium bezw. der Lateinschule zu übergeben. Ich war 9 Jahre alt und wurde in der 1. Klasse vom Studienlehrer Krafft in Empfang genommen, der vom geistlichen ins Lehramt übergesprungen war. Vom Unterrichte ist mir keine Erinnerung geblieben, doch kam ich gut voran. Weniger gut ging es in der 2. Klasse bei Studienlehrer Sauber, wenigstens musste ich in den Ferien viel lateinische Grammatik nachstudieren. Der Studienlehrer der 3. Klasse, Görringer, galt als tüchtiger und strenger Lehrer, aber von seinem Unterrichte ist mir keine Erinnerung geblieben. Dagegen fasste mich der Schriftlehrer Sauber, der Ordinarius der 2. Klasse, scharf aufs Korn und sperrte mich einmal nach drei aufeinanderfolgenden Stunden über Tisch wegen ungenügender Leistung ein, so dass sogar der Pedell Mitleid mit mir hatte. Wenn meine spätere leserliche Schrift die Folge der Sauterschen Gewaltkur war, – ich sage ”wenn“, – dann bin ich dem wunderlichen Schreiblehrer rechten Dank schuldig.

In der 4. Klasse war Onkel Helfreich, der Mann von Tante Lili, Ordinarius. Er war ein feiner, guthmüthiger, wohlunterrichteter

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        <p>Unterdessen kam die Zeit, mich dem Gymnasium bezw. der Lateinschule zu übergeben. Ich war 9 Jahre alt und wurde in der 1. Klasse vom Studienlehrer Krafft in Empfang genommen, der vom geistlichen ins Lehramt übergesprungen war. Vom Unterrichte ist mir keine Erinnerung geblieben, doch kam ich gut voran. Weniger gut ging es in der 2. Klasse bei Studienlehrer Sauber, wenigstens musste ich in den Ferien viel lateinische Grammatik nachstudieren. Der Studienlehrer der 3. Klasse, Görringer, galt als tüchtiger und strenger Lehrer, aber von seinem Unterrichte ist mir keine Erinnerung geblieben. Dagegen fasste mich der Schriftlehrer Sauber, der Ordinarius der 2. Klasse, scharf aufs Korn und sperrte mich einmal nach drei aufeinanderfolgenden Stunden über Tisch wegen ungenügender Leistung ein, so dass sogar der Pedell Mitleid mit mir hatte. Wenn meine spätere leserliche Schrift die Folge der Sauterschen Gewaltkur war, &#x2013; ich sage &#x201D;wenn&#x201C;, &#x2013; dann bin ich dem wunderlichen Schreiblehrer rechten Dank schuldig.</p>
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[16/0016] ’‘’‘Herbeischaffung von Lebensmitteln, die auf Stelzen herbeigeholt werden durften, weshalb das Stelzenlaufen fleissig geübt wurde. Grosse Aufregung brachten die Kämpfe zwischen den Unterstädtern und den Oberstädtern vulgo Ratzgässern. Aus kleinen Plänkeleien und Prügeleien im ganzen Jahre entwickelten sich im Herbste nach der ?-Ernte und in der Ferienzeit wahre Feldzüge und Schlachten, die kaum nach dem Eintreten der Polizei und anderer Autoritäten aufhörten. Ein besonderes Vergnügen war die alljährlich vom Hausarzte verordnete Purganz. Das Erbrechen war ja ekelig, aber 3-4 Tage Schulfreiheit, behagliches Bettliegen und Gepflegtwerden, dazu Genüsse wie Himbeerwasser, Mandelmilch und dergl. wogen die ersten Unannehmlichkeiten weit auf. Unterdessen kam die Zeit, mich dem Gymnasium bezw. der Lateinschule zu übergeben. Ich war 9 Jahre alt und wurde in der 1. Klasse vom Studienlehrer Krafft in Empfang genommen, der vom geistlichen ins Lehramt übergesprungen war. Vom Unterrichte ist mir keine Erinnerung geblieben, doch kam ich gut voran. Weniger gut ging es in der 2. Klasse bei Studienlehrer Sauber, wenigstens musste ich in den Ferien viel lateinische Grammatik nachstudieren. Der Studienlehrer der 3. Klasse, Görringer, galt als tüchtiger und strenger Lehrer, aber von seinem Unterrichte ist mir keine Erinnerung geblieben. Dagegen fasste mich der Schriftlehrer Sauber, der Ordinarius der 2. Klasse, scharf aufs Korn und sperrte mich einmal nach drei aufeinanderfolgenden Stunden über Tisch wegen ungenügender Leistung ein, so dass sogar der Pedell Mitleid mit mir hatte. Wenn meine spätere leserliche Schrift die Folge der Sauterschen Gewaltkur war, – ich sage ”wenn“, – dann bin ich dem wunderlichen Schreiblehrer rechten Dank schuldig. In der 4. Klasse war Onkel Helfreich, der Mann von Tante Lili, Ordinarius. Er war ein feiner, guthmüthiger, wohlunterrichteter

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Zitationshilfe: Krieger, Ernst: [Lebenserinnerungen des Ernst Krieger]. Um 1907, S. 16. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/krieger_lebenserinnerungen_1907/16>, abgerufen am 24.11.2024.