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Krieger, Ernst: [Lebenserinnerungen des Ernst Krieger]. Um 1907.

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Fast noch besser als in Jaxthausen amüsierten wir uns in Schillinsstadt, wo die 2 uns ziemlich gleichaltrigen Töchter des Pfarrhauses liebe Spielkameraden und die Zwetschen des Pfarrgartens theils roh, theils als Kuchen und Compote leckere Kost abgaben. Ein Ausflug nach Tauberbischhofsheim führte uns einen Jahrmarktstrubel und überraschende Volkstrachten vor Augen, Alles für mich völlig neu. Die 14tägige Fusstour fand ihren Schluss in Wimpfen a/Berg, hochoben am Neckar gelegen, wo im Kurhotel den verspätet und sehr hungrig eintreffenden 2 Jungen die Reste des Diners serviert wurden mit dem Schliesstück eines ganzen Kuchens, den wir frohgemuth noch völlig vertilgten, worauf der Wirth uns lustig lachend entliess, nachdem er uns pro Kopf 24 Kreuzer aufgerechnet hatte.

Nach Kirchhardt zurückgekehrt machten wir eine Kirchenvisitation mit, die für uns mehr als Kuchenvisitation angesehen wurde, und griffen dann bei der Einbringung des Obstzehntens mit an. Ein Berg von Äpfeln thürmte sich im Pfarrhofe auf, den wir fröhlich keltern halfen. Dann holte uns der Vater ab. Auf die Freuden der Ferienreise folgte die Freude der Heimkehr und ich fühle heute noch den Jubel, womit ich die Strassen und Häuser der Vaterstadt bei der Einfahrt begrüsste. Im Vaterhause aber fand ich das Brüderchen Fritz in der Wiege. Wahrscheinlich verdankte ich seiner bevorstehenden Ankunft die Abschiebung auf die Ferienreise.

Noch nicht 14jährig kam ich in die 5. Klasse, die erste eigentliche Gymnasialklasse, (Untersekunda) zu Professor Friedr. Butters, einem tüchtigen Lehrer und Gelehrten, dabei positiv-evang. Christ. Er war ruhig und mild, anregend im Unterrichte, erfahren im Kampf mit Schwächen und Unarten. Wir lasen bei ihm Livius und Ovid, Xenophons Anabasis und Homer, sein Unterricht in der Geschichte und im Deutschen fesselte uns. Die ganze Klasse hing an ihm mit viel Achtung, viele mit Liebe. Wir freuten uns, als er in die folgende sechste Klasse mit hinüberging. Es sollte damals jeder Gymnasiallehrer seine Klasse 2 Jahre führen. Dr. Vogels, der mit Butters in der führung der

Fast noch besser als in Jaxthausen amüsierten wir uns in Schillinsstadt, wo die 2 uns ziemlich gleichaltrigen Töchter des Pfarrhauses liebe Spielkameraden und die Zwetschen des Pfarrgartens theils roh, theils als Kuchen und Compote leckere Kost abgaben. Ein Ausflug nach Tauberbischhofsheim führte uns einen Jahrmarktstrubel und überraschende Volkstrachten vor Augen, Alles für mich völlig neu. Die 14tägige Fusstour fand ihren Schluss in Wimpfen a/Berg, hochoben am Neckar gelegen, wo im Kurhotel den verspätet und sehr hungrig eintreffenden 2 Jungen die Reste des Diners serviert wurden mit dem Schliesstück eines ganzen Kuchens, den wir frohgemuth noch völlig vertilgten, worauf der Wirth uns lustig lachend entliess, nachdem er uns pro Kopf 24 Kreuzer aufgerechnet hatte.

Nach Kirchhardt zurückgekehrt machten wir eine Kirchenvisitation mit, die für uns mehr als Kuchenvisitation angesehen wurde, und griffen dann bei der Einbringung des Obstzehntens mit an. Ein Berg von Äpfeln thürmte sich im Pfarrhofe auf, den wir fröhlich keltern halfen. Dann holte uns der Vater ab. Auf die Freuden der Ferienreise folgte die Freude der Heimkehr und ich fühle heute noch den Jubel, womit ich die Strassen und Häuser der Vaterstadt bei der Einfahrt begrüsste. Im Vaterhause aber fand ich das Brüderchen Fritz in der Wiege. Wahrscheinlich verdankte ich seiner bevorstehenden Ankunft die Abschiebung auf die Ferienreise.

Noch nicht 14jährig kam ich in die 5. Klasse, die erste eigentliche Gymnasialklasse, (Untersekunda) zu Professor Friedr. Butters, einem tüchtigen Lehrer und Gelehrten, dabei positiv-evang. Christ. Er war ruhig und mild, anregend im Unterrichte, erfahren im Kampf mit Schwächen und Unarten. Wir lasen bei ihm Livius und Ovid, Xenophons Anabasis und Homer, sein Unterricht in der Geschichte und im Deutschen fesselte uns. Die ganze Klasse hing an ihm mit viel Achtung, viele mit Liebe. Wir freuten uns, als er in die folgende sechste Klasse mit hinüberging. Es sollte damals jeder Gymnasiallehrer seine Klasse 2 Jahre führen. Dr. Vogels, der mit Butters in der führung der

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Fast noch besser als in Jaxthausen amüsierten wir uns in Schillinsstadt, wo die 2 uns ziemlich gleichaltrigen Töchter des Pfarrhauses liebe Spielkameraden und die Zwetschen des Pfarrgartens theils roh, theils als Kuchen und Compote leckere Kost abgaben. Ein Ausflug nach Tauberbischhofsheim führte uns einen Jahrmarktstrubel und überraschende Volkstrachten vor Augen, Alles für mich völlig neu. Die 14tägige Fusstour fand ihren Schluss in Wimpfen a/Berg, hochoben am Neckar gelegen, wo im Kurhotel den verspätet und sehr hungrig eintreffenden 2 Jungen die Reste des Diners serviert wurden mit dem Schliesstück eines <hi rendition="#u">ganzen</hi> Kuchens, den wir frohgemuth noch völlig vertilgten, worauf der Wirth uns lustig lachend entliess, nachdem er uns pro Kopf 24 Kreuzer aufgerechnet hatte.</p>
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[21/0021] Fast noch besser als in Jaxthausen amüsierten wir uns in Schillinsstadt, wo die 2 uns ziemlich gleichaltrigen Töchter des Pfarrhauses liebe Spielkameraden und die Zwetschen des Pfarrgartens theils roh, theils als Kuchen und Compote leckere Kost abgaben. Ein Ausflug nach Tauberbischhofsheim führte uns einen Jahrmarktstrubel und überraschende Volkstrachten vor Augen, Alles für mich völlig neu. Die 14tägige Fusstour fand ihren Schluss in Wimpfen a/Berg, hochoben am Neckar gelegen, wo im Kurhotel den verspätet und sehr hungrig eintreffenden 2 Jungen die Reste des Diners serviert wurden mit dem Schliesstück eines ganzen Kuchens, den wir frohgemuth noch völlig vertilgten, worauf der Wirth uns lustig lachend entliess, nachdem er uns pro Kopf 24 Kreuzer aufgerechnet hatte. Nach Kirchhardt zurückgekehrt machten wir eine Kirchenvisitation mit, die für uns mehr als Kuchenvisitation angesehen wurde, und griffen dann bei der Einbringung des Obstzehntens mit an. Ein Berg von Äpfeln thürmte sich im Pfarrhofe auf, den wir fröhlich keltern halfen. Dann holte uns der Vater ab. Auf die Freuden der Ferienreise folgte die Freude der Heimkehr und ich fühle heute noch den Jubel, womit ich die Strassen und Häuser der Vaterstadt bei der Einfahrt begrüsste. Im Vaterhause aber fand ich das Brüderchen Fritz in der Wiege. Wahrscheinlich verdankte ich seiner bevorstehenden Ankunft die Abschiebung auf die Ferienreise. Noch nicht 14jährig kam ich in die 5. Klasse, die erste eigentliche Gymnasialklasse, (Untersekunda) zu Professor Friedr. Butters, einem tüchtigen Lehrer und Gelehrten, dabei positiv-evang. Christ. Er war ruhig und mild, anregend im Unterrichte, erfahren im Kampf mit Schwächen und Unarten. Wir lasen bei ihm Livius und Ovid, Xenophons Anabasis und Homer, sein Unterricht in der Geschichte und im Deutschen fesselte uns. Die ganze Klasse hing an ihm mit viel Achtung, viele mit Liebe. Wir freuten uns, als er in die folgende sechste Klasse mit hinüberging. Es sollte damals jeder Gymnasiallehrer seine Klasse 2 Jahre führen. Dr. Vogels, der mit Butters in der führung der

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Zitationshilfe: Krieger, Ernst: [Lebenserinnerungen des Ernst Krieger]. Um 1907, S. 21. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/krieger_lebenserinnerungen_1907/21>, abgerufen am 24.11.2024.