Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Krieger, Ernst: [Lebenserinnerungen des Ernst Krieger]. Um 1907.

Bild:
<< vorherige Seite

und anderen Kinderinstrumenten, sogar auch einmal Blechmusik auf Instrumenten, die kunstvoll aus Pappdeckel fabriziert waren. Der grosse Tag im Jahre war der 1. des Narrenmonats, der 1. Februar, an welchem allerley Ulk getrieben auch ein Frühschoppen nicht nur erlaubt, sondern befohlen war. Wir haben in der fesst geschlossenen aber durchaus demokratischen Bav.-Caffaria (deren Präsident allwöchentlich durch Wahl bestätigt wurde) viel frohe Stunden erlebt; sie bestand aber nicht lange über meinen Abgang von der Universität hinaus, verwandelte sich dann in eine farbentragende Rheno-Palatia und verschied alsdann nach wenigen Semestern.

Jeder bayer. Student musste zu meiner Zeit behufs Aneignung allgemeiner Bildung (!) 6 vorgeschriebene Kollegien der philosophischen Fakultät, die sogen. Fuchskollegien hören und sich einer Prüfung in den betreffenden Fächern unterziehen. Demnach hörte ich in den 2 ersten Semestern folgende: 1) Logik und Metaphysik bei Prof. Schiller aus Schellings Schule und langweilte mich stark darin; 2) Allgemeine Geschichte bei Bötticher, der alljährlich dieselben Witze wiederholte aber immerhin nach dem unfruchtbaren Geschichtsunterricht in den letzten Gymnasialjahren einigermassen fesselte; 3) Naturgeschichte bei Karl Raumer, der nicht mehr bieten konnte als allgemeine Begriffe und Klassifikationen; 4) Mathematik bei Staudte, hier wich ich bald gründlich aus, denn ich fand, dass meine Gymnasial-Mathematik für meinen Bedarf ausreichte; 5) Physik bei Kastner, der verständigerweise uns viele Experimente vorführte; 6) Tacitus Annalen, bei Döderlein, auf welches Kolleg ich mich wegen des Stoffes und des Vortragenden gefreut hatte, allein die ewige Textkritik nebst Konjekturen Döderleins liess den Geist und Stil des Tacitus nicht voll zu Recht kommen. Die Examina rigorosa aus den genannten 6 Fächern wurden von den Studenten und Professoren verständigerweise nicht sehr ernst genommen und fast regelmässig bestanden, wenn auch nicht cum laude. Neben diesen sogen. philosophischen Muss-Fächern genoss ich noch ein Privatissimum bei dem Pfälzer und berühmten Botaniker Jos. Koch, an welchen ich Empfehlungen hatte.

und anderen Kinderinstrumenten, sogar auch einmal Blechmusik auf Instrumenten, die kunstvoll aus Pappdeckel fabriziert waren. Der grosse Tag im Jahre war der 1. des Narrenmonats, der 1. Februar, an welchem allerley Ulk getrieben auch ein Frühschoppen nicht nur erlaubt, sondern befohlen war. Wir haben in der fesst geschlossenen aber durchaus demokratischen Bav.-Caffaria (deren Präsident allwöchentlich durch Wahl bestätigt wurde) viel frohe Stunden erlebt; sie bestand aber nicht lange über meinen Abgang von der Universität hinaus, verwandelte sich dann in eine farbentragende Rheno-Palatia und verschied alsdann nach wenigen Semestern.

Jeder bayer. Student musste zu meiner Zeit behufs Aneignung allgemeiner Bildung (!) 6 vorgeschriebene Kollegien der philosophischen Fakultät, die sogen. Fuchskollegien hören und sich einer Prüfung in den betreffenden Fächern unterziehen. Demnach hörte ich in den 2 ersten Semestern folgende: 1) Logik und Metaphysik bei Prof. Schiller aus Schellings Schule und langweilte mich stark darin; 2) Allgemeine Geschichte bei Bötticher, der alljährlich dieselben Witze wiederholte aber immerhin nach dem unfruchtbaren Geschichtsunterricht in den letzten Gymnasialjahren einigermassen fesselte; 3) Naturgeschichte bei Karl Raumer, der nicht mehr bieten konnte als allgemeine Begriffe und Klassifikationen; 4) Mathematik bei Staudte, hier wich ich bald gründlich aus, denn ich fand, dass meine Gymnasial-Mathematik für meinen Bedarf ausreichte; 5) Physik bei Kastner, der verständigerweise uns viele Experimente vorführte; 6) Tacitus Annalen, bei Döderlein, auf welches Kolleg ich mich wegen des Stoffes und des Vortragenden gefreut hatte, allein die ewige Textkritik nebst Konjekturen Döderleins liess den Geist und Stil des Tacitus nicht voll zu Recht kommen. Die Examina rigorosa aus den genannten 6 Fächern wurden von den Studenten und Professoren verständigerweise nicht sehr ernst genommen und fast regelmässig bestanden, wenn auch nicht cum laude. Neben diesen sogen. philosophischen Muss-Fächern genoss ich noch ein Privatissimum bei dem Pfälzer und berühmten Botaniker Jos. Koch, an welchen ich Empfehlungen hatte.

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0029" n="29"/>
und anderen Kinderinstrumenten, sogar auch einmal Blechmusik auf Instrumenten, die kunstvoll aus Pappdeckel fabriziert waren. Der grosse Tag im Jahre war der 1. des Narrenmonats, der 1. Februar, an welchem allerley Ulk getrieben auch ein Frühschoppen nicht nur erlaubt, sondern befohlen war. Wir haben in der fesst geschlossenen aber durchaus demokratischen Bav.-Caffaria (deren Präsident allwöchentlich durch Wahl bestätigt wurde) viel frohe Stunden erlebt; sie bestand aber nicht lange über meinen Abgang von der Universität hinaus, verwandelte sich dann in eine farbentragende Rheno-Palatia und verschied alsdann nach wenigen Semestern.</p>
        <p>Jeder bayer. Student musste zu meiner Zeit behufs Aneignung allgemeiner Bildung (!) 6 vorgeschriebene Kollegien der philosophischen Fakultät, die sogen. Fuchskollegien hören und sich einer Prüfung in den betreffenden Fächern unterziehen. Demnach hörte ich in den 2 ersten Semestern folgende: 1) Logik und Metaphysik bei Prof. Schiller aus Schellings Schule und langweilte mich stark darin; 2) Allgemeine Geschichte bei Bötticher, der alljährlich dieselben Witze wiederholte aber immerhin nach dem unfruchtbaren Geschichtsunterricht in den letzten Gymnasialjahren einigermassen fesselte; 3) Naturgeschichte bei Karl Raumer, der nicht mehr bieten konnte als allgemeine Begriffe und Klassifikationen; 4) Mathematik bei Staudte, hier wich ich bald gründlich aus, denn ich fand, dass meine Gymnasial-Mathematik für meinen Bedarf ausreichte; 5) Physik bei Kastner, der verständigerweise uns viele Experimente vorführte; 6) Tacitus Annalen, bei Döderlein, auf welches Kolleg ich mich wegen des Stoffes und des Vortragenden gefreut hatte, allein die ewige Textkritik nebst Konjekturen Döderleins liess den Geist und Stil des Tacitus nicht voll zu Recht kommen. Die Examina rigorosa aus den genannten 6 Fächern wurden von den Studenten und Professoren verständigerweise nicht sehr ernst genommen und fast regelmässig bestanden, wenn auch nicht cum laude. Neben diesen sogen. philosophischen Muss-Fächern genoss ich noch ein Privatissimum bei dem Pfälzer und berühmten Botaniker Jos. Koch, an welchen ich Empfehlungen hatte.
</p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[29/0029] und anderen Kinderinstrumenten, sogar auch einmal Blechmusik auf Instrumenten, die kunstvoll aus Pappdeckel fabriziert waren. Der grosse Tag im Jahre war der 1. des Narrenmonats, der 1. Februar, an welchem allerley Ulk getrieben auch ein Frühschoppen nicht nur erlaubt, sondern befohlen war. Wir haben in der fesst geschlossenen aber durchaus demokratischen Bav.-Caffaria (deren Präsident allwöchentlich durch Wahl bestätigt wurde) viel frohe Stunden erlebt; sie bestand aber nicht lange über meinen Abgang von der Universität hinaus, verwandelte sich dann in eine farbentragende Rheno-Palatia und verschied alsdann nach wenigen Semestern. Jeder bayer. Student musste zu meiner Zeit behufs Aneignung allgemeiner Bildung (!) 6 vorgeschriebene Kollegien der philosophischen Fakultät, die sogen. Fuchskollegien hören und sich einer Prüfung in den betreffenden Fächern unterziehen. Demnach hörte ich in den 2 ersten Semestern folgende: 1) Logik und Metaphysik bei Prof. Schiller aus Schellings Schule und langweilte mich stark darin; 2) Allgemeine Geschichte bei Bötticher, der alljährlich dieselben Witze wiederholte aber immerhin nach dem unfruchtbaren Geschichtsunterricht in den letzten Gymnasialjahren einigermassen fesselte; 3) Naturgeschichte bei Karl Raumer, der nicht mehr bieten konnte als allgemeine Begriffe und Klassifikationen; 4) Mathematik bei Staudte, hier wich ich bald gründlich aus, denn ich fand, dass meine Gymnasial-Mathematik für meinen Bedarf ausreichte; 5) Physik bei Kastner, der verständigerweise uns viele Experimente vorführte; 6) Tacitus Annalen, bei Döderlein, auf welches Kolleg ich mich wegen des Stoffes und des Vortragenden gefreut hatte, allein die ewige Textkritik nebst Konjekturen Döderleins liess den Geist und Stil des Tacitus nicht voll zu Recht kommen. Die Examina rigorosa aus den genannten 6 Fächern wurden von den Studenten und Professoren verständigerweise nicht sehr ernst genommen und fast regelmässig bestanden, wenn auch nicht cum laude. Neben diesen sogen. philosophischen Muss-Fächern genoss ich noch ein Privatissimum bei dem Pfälzer und berühmten Botaniker Jos. Koch, an welchen ich Empfehlungen hatte.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Wikisource: Bereitstellung der Texttranskription und Auszeichnung in Wikisource-Syntax. (2013-01-14T12:32:31Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme aus Wikisource entsprechen muss.
Wikimedia Commons: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2013-01-14T12:32:31Z)
Frank Wiegand: Konvertierung von Wikisource-Markup nach XML/TEI gemäß DTA-Basisformat. (2013-01-14T12:32:31Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:

  • Als Grundlage dienen die Wikisource:Editionsrichtlinien
  • Die handschriftlichen Korrekturen in der Vorlage werden stillschweigend eingearbeitet, offensichtliche Verschreibungen ohne Kennzeichnung korrigiert.



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/krieger_lebenserinnerungen_1907
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/krieger_lebenserinnerungen_1907/29
Zitationshilfe: Krieger, Ernst: [Lebenserinnerungen des Ernst Krieger]. Um 1907, S. 29. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/krieger_lebenserinnerungen_1907/29>, abgerufen am 25.11.2024.