Krieger, Ernst: [Lebenserinnerungen des Ernst Krieger]. Um 1907.Dass die finanziellen Verhältnisse der Gemeinde höchst mangelhaft waren, hatte ich bald merken müssen. Die Kirchenkasse wurde aus freiwilligen Beiträgen gefüllt, was für die Dauer nicht bleiben konnte. Der Kirchenrechner hatte noch nie Rechnung gestellt, schaltete frei ohne Kontrolle des Presbyteriums und Vikars über die ihm anvertrauten Beträge und weigerte sich, etwas daran zu ändern. Zweifellos war er treu und gewissenhaft und die Gemeinde war ihm zu Dank für die unentgeltliche Führung seines Amtes verpflichtet. Aber das ganze Gebahren war unzulässig und ungesetzlich. Als auf mein Betreiben von der zuständigen Verwaltungsbehörde Rechnungsstellung verlangt wurde, legte der Rechner sein Amt nieder und überliess mir die Stellung der Rechnung. Da galt es, in die Verordnungen über das Kirchenrechnungswesen und in dessen Formen sich einzuarbeiten. Es gelang auch und hat mir mein Leben lang viel genützt. Der neu aufgestellte Rechner, ein einfacher Bergmann, der mir durch seine Unwissenheit - er konnte nicht einmal ordentlich addieren -, sein Misstrauen und seine Starrköpfigkeit viel Mühe und Noth machte, nötigte mich dadurch aber auch das Rechnungswesen erst recht gründlich zu studieren und zu praktizieren, und als er endlich abtrat, war es leicht aus seinem Nachfolger, ebenfalls einem einfachen Bergmanne, aber mit verständigem Kopf und lenkbarem Sinn, bald einen ganz brauchbaren Kirchenrechner heranzubilden. Im Herbste 1854 musste ich mich zur Anstellungsprüfung stellen. Die Prüfungskommission war aus denselben Konsistorielräten und Kommissionären gebildet, wie bei meiner Aufnahmeprüfung. Die Kommissäre waren sehr wohlwollend. Aus ihrem Munde wurde den Mitprüflingen und durch sie mir kund, dass meine Predigt über Offenb. Joh. 3,20 Aufsehen machte. Aber beim Predigtvortrag liess mich der Dirigent in der Mitte der Predigt beginnen und nach 2 Sätzen blieb ich stecken - das einzige Mal, dass ich in einer Predigt richtig stecken blieb. Ich meldete meinen Unfall von der Kanzel, worauf im Manuskripte eifrig nach der Unglücksstelle gesucht wurde; ehe es gelungen war, wurde ich wieder flott und fuhr ohne Erregung fort. Bei der kirchengeschichtlichen Arbeit erlaubte ich mir die Frage, ob die Formulierung der Aufgabe über Dass die finanziellen Verhältnisse der Gemeinde höchst mangelhaft waren, hatte ich bald merken müssen. Die Kirchenkasse wurde aus freiwilligen Beiträgen gefüllt, was für die Dauer nicht bleiben konnte. Der Kirchenrechner hatte noch nie Rechnung gestellt, schaltete frei ohne Kontrolle des Presbyteriums und Vikars über die ihm anvertrauten Beträge und weigerte sich, etwas daran zu ändern. Zweifellos war er treu und gewissenhaft und die Gemeinde war ihm zu Dank für die unentgeltliche Führung seines Amtes verpflichtet. Aber das ganze Gebahren war unzulässig und ungesetzlich. Als auf mein Betreiben von der zuständigen Verwaltungsbehörde Rechnungsstellung verlangt wurde, legte der Rechner sein Amt nieder und überliess mir die Stellung der Rechnung. Da galt es, in die Verordnungen über das Kirchenrechnungswesen und in dessen Formen sich einzuarbeiten. Es gelang auch und hat mir mein Leben lang viel genützt. Der neu aufgestellte Rechner, ein einfacher Bergmann, der mir durch seine Unwissenheit – er konnte nicht einmal ordentlich addieren –, sein Misstrauen und seine Starrköpfigkeit viel Mühe und Noth machte, nötigte mich dadurch aber auch das Rechnungswesen erst recht gründlich zu studieren und zu praktizieren, und als er endlich abtrat, war es leicht aus seinem Nachfolger, ebenfalls einem einfachen Bergmanne, aber mit verständigem Kopf und lenkbarem Sinn, bald einen ganz brauchbaren Kirchenrechner heranzubilden. Im Herbste 1854 musste ich mich zur Anstellungsprüfung stellen. Die Prüfungskommission war aus denselben Konsistorielräten und Kommissionären gebildet, wie bei meiner Aufnahmeprüfung. Die Kommissäre waren sehr wohlwollend. Aus ihrem Munde wurde den Mitprüflingen und durch sie mir kund, dass meine Predigt über Offenb. Joh. 3,20 Aufsehen machte. Aber beim Predigtvortrag liess mich der Dirigent in der Mitte der Predigt beginnen und nach 2 Sätzen blieb ich stecken – das einzige Mal, dass ich in einer Predigt richtig stecken blieb. Ich meldete meinen Unfall von der Kanzel, worauf im Manuskripte eifrig nach der Unglücksstelle gesucht wurde; ehe es gelungen war, wurde ich wieder flott und fuhr ohne Erregung fort. Bei der kirchengeschichtlichen Arbeit erlaubte ich mir die Frage, ob die Formulierung der Aufgabe über <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0051" n="51"/> Dass die finanziellen Verhältnisse der Gemeinde höchst mangelhaft waren, hatte ich bald merken müssen. Die Kirchenkasse wurde aus freiwilligen Beiträgen gefüllt, was für die Dauer nicht bleiben konnte. Der Kirchenrechner hatte noch nie Rechnung gestellt, schaltete frei ohne Kontrolle des Presbyteriums und Vikars über die ihm anvertrauten Beträge und weigerte sich, etwas daran zu ändern. Zweifellos war er treu und gewissenhaft und die Gemeinde war ihm zu Dank für die unentgeltliche Führung seines Amtes verpflichtet. Aber das ganze Gebahren war unzulässig und ungesetzlich. Als auf mein Betreiben von der zuständigen Verwaltungsbehörde Rechnungsstellung verlangt wurde, legte der Rechner sein Amt nieder und überliess mir die Stellung der Rechnung. Da galt es, in die Verordnungen über das Kirchenrechnungswesen und in dessen Formen sich einzuarbeiten. Es gelang auch und hat mir mein Leben lang viel genützt. Der neu aufgestellte Rechner, ein einfacher Bergmann, der mir durch seine Unwissenheit – er konnte nicht einmal ordentlich addieren –, sein Misstrauen und seine Starrköpfigkeit viel Mühe und Noth machte, nötigte mich dadurch aber auch das Rechnungswesen erst recht gründlich zu studieren und zu praktizieren, und als er endlich abtrat, war es leicht aus seinem Nachfolger, ebenfalls einem einfachen Bergmanne, aber mit verständigem Kopf und lenkbarem Sinn, bald einen ganz brauchbaren Kirchenrechner heranzubilden.</p> <p>Im Herbste 1854 musste ich mich zur Anstellungsprüfung stellen. Die Prüfungskommission war aus denselben Konsistorielräten und Kommissionären gebildet, wie bei meiner Aufnahmeprüfung. Die Kommissäre waren sehr wohlwollend. Aus ihrem Munde wurde den Mitprüflingen und durch sie mir kund, dass meine Predigt über Offenb. Joh. 3,20 Aufsehen machte. Aber beim Predigtvortrag liess mich der Dirigent in der Mitte der Predigt beginnen und nach 2 Sätzen blieb ich stecken – das einzige Mal, dass ich in einer Predigt richtig stecken blieb. Ich meldete meinen Unfall von der Kanzel, worauf im Manuskripte eifrig nach der Unglücksstelle gesucht wurde; ehe es gelungen war, wurde ich wieder flott und fuhr ohne Erregung fort. Bei der kirchengeschichtlichen Arbeit erlaubte ich mir die Frage, ob die Formulierung der Aufgabe über </p> </div> </body> </text> </TEI> [51/0051]
Dass die finanziellen Verhältnisse der Gemeinde höchst mangelhaft waren, hatte ich bald merken müssen. Die Kirchenkasse wurde aus freiwilligen Beiträgen gefüllt, was für die Dauer nicht bleiben konnte. Der Kirchenrechner hatte noch nie Rechnung gestellt, schaltete frei ohne Kontrolle des Presbyteriums und Vikars über die ihm anvertrauten Beträge und weigerte sich, etwas daran zu ändern. Zweifellos war er treu und gewissenhaft und die Gemeinde war ihm zu Dank für die unentgeltliche Führung seines Amtes verpflichtet. Aber das ganze Gebahren war unzulässig und ungesetzlich. Als auf mein Betreiben von der zuständigen Verwaltungsbehörde Rechnungsstellung verlangt wurde, legte der Rechner sein Amt nieder und überliess mir die Stellung der Rechnung. Da galt es, in die Verordnungen über das Kirchenrechnungswesen und in dessen Formen sich einzuarbeiten. Es gelang auch und hat mir mein Leben lang viel genützt. Der neu aufgestellte Rechner, ein einfacher Bergmann, der mir durch seine Unwissenheit – er konnte nicht einmal ordentlich addieren –, sein Misstrauen und seine Starrköpfigkeit viel Mühe und Noth machte, nötigte mich dadurch aber auch das Rechnungswesen erst recht gründlich zu studieren und zu praktizieren, und als er endlich abtrat, war es leicht aus seinem Nachfolger, ebenfalls einem einfachen Bergmanne, aber mit verständigem Kopf und lenkbarem Sinn, bald einen ganz brauchbaren Kirchenrechner heranzubilden.
Im Herbste 1854 musste ich mich zur Anstellungsprüfung stellen. Die Prüfungskommission war aus denselben Konsistorielräten und Kommissionären gebildet, wie bei meiner Aufnahmeprüfung. Die Kommissäre waren sehr wohlwollend. Aus ihrem Munde wurde den Mitprüflingen und durch sie mir kund, dass meine Predigt über Offenb. Joh. 3,20 Aufsehen machte. Aber beim Predigtvortrag liess mich der Dirigent in der Mitte der Predigt beginnen und nach 2 Sätzen blieb ich stecken – das einzige Mal, dass ich in einer Predigt richtig stecken blieb. Ich meldete meinen Unfall von der Kanzel, worauf im Manuskripte eifrig nach der Unglücksstelle gesucht wurde; ehe es gelungen war, wurde ich wieder flott und fuhr ohne Erregung fort. Bei der kirchengeschichtlichen Arbeit erlaubte ich mir die Frage, ob die Formulierung der Aufgabe über
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