Krüger, Johann Christian: Die Geistlichen auf dem Lande. Frankfurt (Main) u. a., 1743.Lassen sie uns viel lieber so lange verziehen, bis es die Gelegenheit giebt, meiner Schwe- ster alles auf eine so in die Augen leuchtende Art zu entdecken, daß sie der Wahrheit nicht länger widerstehen kan. Kein Jrr- thum, kein Vorurtheil, ist gefährlicher aus- zurotten, als welches blöde Gemüther für das Ansehen der Geistlichen gefaßt haben. Jch kan mich überdem noch nicht des Nach- denkens über die Aufführung dieser beyden Männer entschlagen. Es erweckt in mir eine gewisse Untersuchung der Gründe, war- um doch in dem geistlichen Stande, wel- chem von dem Pöbel die gröste Ehre erwie- sen wird, die meiste Unwissenheit, und die grösten Laster herrschen. Niederträchtig- keit, Stolz, und Betrug scheinen am ruhig- sten bey den Geistlichen zu wohnen. Wahrm. Vielleicht kan ich ihrer Neubegierde genug thun, mein Herr von Roseneck, weil ich Schulen und Academien, als die Pflanzgärten dieser Leute, mehr, als sie, be- sucht habe. Wir dürfen nur die Art un- tersuchen, wie auf Schulen die sogenann- te Brodstudia gewählt werden. Diese Wahl kommt entweder auf die Eltern, oder auf die Lehrer, oder auf den Schüler, doch auf diesen am allerseltensten, an. Die Eltern wählen allezeit für ihr Kind nach ihrer Einsicht, und nach ihrem Ei- gennutze. Ein einfältiger Bürger hat viel- leicht einen Beichtvater, der reich und ge- ehrt G 2
Laſſen ſie uns viel lieber ſo lange verziehen, bis es die Gelegenheit giebt, meiner Schwe- ſter alles auf eine ſo in die Augen leuchtende Art zu entdecken, daß ſie der Wahrheit nicht laͤnger widerſtehen kan. Kein Jrr- thum, kein Vorurtheil, iſt gefaͤhrlicher aus- zurotten, als welches bloͤde Gemuͤther fuͤr das Anſehen der Geiſtlichen gefaßt haben. Jch kan mich uͤberdem noch nicht des Nach- denkens uͤber die Auffuͤhrung dieſer beyden Maͤnner entſchlagen. Es erweckt in mir eine gewiſſe Unterſuchung der Gruͤnde, war- um doch in dem geiſtlichen Stande, wel- chem von dem Poͤbel die groͤſte Ehre erwie- ſen wird, die meiſte Unwiſſenheit, und die groͤſten Laſter herrſchen. Niedertraͤchtig- keit, Stolz, und Betrug ſcheinen am ruhig- ſten bey den Geiſtlichen zu wohnen. Wahrm. Vielleicht kan ich ihrer Neubegierde genug thun, mein Herr von Roſeneck, weil ich Schulen und Academien, als die Pflanzgaͤrten dieſer Leute, mehr, als ſie, be- ſucht habe. Wir duͤrfen nur die Art un- terſuchen, wie auf Schulen die ſogenann- te Brodſtudia gewaͤhlt werden. Dieſe Wahl kommt entweder auf die Eltern, oder auf die Lehrer, oder auf den Schuͤler, doch auf dieſen am allerſeltenſten, an. Die Eltern waͤhlen allezeit fuͤr ihr Kind nach ihrer Einſicht, und nach ihrem Ei- gennutze. Ein einfaͤltiger Buͤrger hat viel- leicht einen Beichtvater, der reich und ge- ehrt G 2
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Laſſen ſie uns viel lieber ſo lange verziehen,
bis es die Gelegenheit giebt, meiner Schwe-
ſter alles auf eine ſo in die Augen leuchtende
Art zu entdecken, daß ſie der Wahrheit
nicht laͤnger widerſtehen kan. Kein Jrr-
thum, kein Vorurtheil, iſt gefaͤhrlicher aus-
zurotten, als welches bloͤde Gemuͤther fuͤr
das Anſehen der Geiſtlichen gefaßt haben.
Jch kan mich uͤberdem noch nicht des Nach-
denkens uͤber die Auffuͤhrung dieſer beyden
Maͤnner entſchlagen. Es erweckt in mir
eine gewiſſe Unterſuchung der Gruͤnde, war-
um doch in dem geiſtlichen Stande, wel-
chem von dem Poͤbel die groͤſte Ehre erwie-
ſen wird, die meiſte Unwiſſenheit, und die
groͤſten Laſter herrſchen. Niedertraͤchtig-
keit, Stolz, und Betrug ſcheinen am ruhig-
ſten bey den Geiſtlichen zu wohnen.
Wahrm. Vielleicht kan ich ihrer Neubegierde
genug thun, mein Herr von Roſeneck,
weil ich Schulen und Academien, als die
Pflanzgaͤrten dieſer Leute, mehr, als ſie, be-
ſucht habe. Wir duͤrfen nur die Art un-
terſuchen, wie auf Schulen die ſogenann-
te Brodſtudia gewaͤhlt werden. Dieſe
Wahl kommt entweder auf die Eltern,
oder auf die Lehrer, oder auf den Schuͤler,
doch auf dieſen am allerſeltenſten, an.
Die Eltern waͤhlen allezeit fuͤr ihr Kind
nach ihrer Einſicht, und nach ihrem Ei-
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