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Krukenberg, Elsbeth: Die Frauenbewegung, ihre Ziele und ihre Bedeutung. Tübingen, 1905.

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nähren und warten."

"Dasselbe Bild" - so fügt R. Wilbrandt im Handbuch
der Frauenbewegung hinzu, "heute bei uns: in Bremen kommt
bei den Zigarrenarbeiterinnen in Fabriken schon auf 6,5,
bei denen in der so viel elenderen Heimarbeit erst auf
11,2 lebende Kinder ein verstorbenes. So viel mehr vermag
selbst die ungebildete Mutter als die Anverwandten, Nach-
barinnen oder gar die nicht selten als "Engelmacherinnen"
berüchtigten Kostfrauen, denen die Kinder, während die Mutter
in der Fabrik ist, anvertraut sind. Dem Kind der Fabrik-
arbeiterin fehlt vor allem die Mutterbrust; was das bedeutet,
zeigt folgende Berliner Statistik: es starben im 1. Lebensjahr
von tausend der im gleichen Alter lebenden ehelichen Kinder
mit Muttermilch ernährte 7,4; mit Tiermilch ernährte 42,1;
mit Tiermilch und Milchsurrogaten ernährte 125,7. - - - Auch
weiterhin sind die Kinder gefährdet. Die Kindersterblichkeit
beträgt bei den unter der Doppellast von Hausfrauenpflichten
und Fabrikarbeit gebeugten verheirateten Frauen 49 %, und
gar bei den verwitweten, eheverlassenen oder geschiedenen
Frauen, die durch ihre Fabrikarbeit für sich und die Kinder
allein zu sorgen haben, 61 %.

"Mit der Zunahme der Fabrikarbeit der Mütter ist das
Anwachsen der Säuglingssterblichkeit in Fabrikorten, zugleich
auch die allgemeine Zunahme der im jugendlichen Alter be-
gangenen Verbrechen parallel gegangen. Die Kinder, zuweilen
von der Mutter in die Fabrik mitgenommen, nicht selten ohne
alle Aussicht, oft unter der Obhut von halbwüchsigen Ge-
schwistern oder abgestumpften Alten zu Hause gelassen, Frem-
den in gewerbsmäßige "Pflege" übergeben und nur selten des
"Ersatzes" der Eltern durch eine Kinderbewahranstalt teil-
haftig, sind zwar weniger als die Kinder der Heimarbeiterin

nähren und warten.“

„Dasselbe Bild“ – so fügt R. Wilbrandt im Handbuch
der Frauenbewegung hinzu, „heute bei uns: in Bremen kommt
bei den Zigarrenarbeiterinnen in Fabriken schon auf 6,5,
bei denen in der so viel elenderen Heimarbeit erst auf
11,2 lebende Kinder ein verstorbenes. So viel mehr vermag
selbst die ungebildete Mutter als die Anverwandten, Nach-
barinnen oder gar die nicht selten als „Engelmacherinnen“
berüchtigten Kostfrauen, denen die Kinder, während die Mutter
in der Fabrik ist, anvertraut sind. Dem Kind der Fabrik-
arbeiterin fehlt vor allem die Mutterbrust; was das bedeutet,
zeigt folgende Berliner Statistik: es starben im 1. Lebensjahr
von tausend der im gleichen Alter lebenden ehelichen Kinder
mit Muttermilch ernährte 7,4; mit Tiermilch ernährte 42,1;
mit Tiermilch und Milchsurrogaten ernährte 125,7. – – – Auch
weiterhin sind die Kinder gefährdet. Die Kindersterblichkeit
beträgt bei den unter der Doppellast von Hausfrauenpflichten
und Fabrikarbeit gebeugten verheirateten Frauen 49 %, und
gar bei den verwitweten, eheverlassenen oder geschiedenen
Frauen, die durch ihre Fabrikarbeit für sich und die Kinder
allein zu sorgen haben, 61 %.

„Mit der Zunahme der Fabrikarbeit der Mütter ist das
Anwachsen der Säuglingssterblichkeit in Fabrikorten, zugleich
auch die allgemeine Zunahme der im jugendlichen Alter be-
gangenen Verbrechen parallel gegangen. Die Kinder, zuweilen
von der Mutter in die Fabrik mitgenommen, nicht selten ohne
alle Aussicht, oft unter der Obhut von halbwüchsigen Ge-
schwistern oder abgestumpften Alten zu Hause gelassen, Frem-
den in gewerbsmäßige „Pflege“ übergeben und nur selten des
„Ersatzes“ der Eltern durch eine Kinderbewahranstalt teil-
haftig, sind zwar weniger als die Kinder der Heimarbeiterin

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[217/0227] nähren und warten.“ „Dasselbe Bild“ – so fügt R. Wilbrandt im Handbuch der Frauenbewegung hinzu, „heute bei uns: in Bremen kommt bei den Zigarrenarbeiterinnen in Fabriken schon auf 6,5, bei denen in der so viel elenderen Heimarbeit erst auf 11,2 lebende Kinder ein verstorbenes. So viel mehr vermag selbst die ungebildete Mutter als die Anverwandten, Nach- barinnen oder gar die nicht selten als „Engelmacherinnen“ berüchtigten Kostfrauen, denen die Kinder, während die Mutter in der Fabrik ist, anvertraut sind. Dem Kind der Fabrik- arbeiterin fehlt vor allem die Mutterbrust; was das bedeutet, zeigt folgende Berliner Statistik: es starben im 1. Lebensjahr von tausend der im gleichen Alter lebenden ehelichen Kinder mit Muttermilch ernährte 7,4; mit Tiermilch ernährte 42,1; mit Tiermilch und Milchsurrogaten ernährte 125,7. – – – Auch weiterhin sind die Kinder gefährdet. Die Kindersterblichkeit beträgt bei den unter der Doppellast von Hausfrauenpflichten und Fabrikarbeit gebeugten verheirateten Frauen 49 %, und gar bei den verwitweten, eheverlassenen oder geschiedenen Frauen, die durch ihre Fabrikarbeit für sich und die Kinder allein zu sorgen haben, 61 %. „Mit der Zunahme der Fabrikarbeit der Mütter ist das Anwachsen der Säuglingssterblichkeit in Fabrikorten, zugleich auch die allgemeine Zunahme der im jugendlichen Alter be- gangenen Verbrechen parallel gegangen. Die Kinder, zuweilen von der Mutter in die Fabrik mitgenommen, nicht selten ohne alle Aussicht, oft unter der Obhut von halbwüchsigen Ge- schwistern oder abgestumpften Alten zu Hause gelassen, Frem- den in gewerbsmäßige „Pflege“ übergeben und nur selten des „Ersatzes“ der Eltern durch eine Kinderbewahranstalt teil- haftig, sind zwar weniger als die Kinder der Heimarbeiterin

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Anna Pfundt: Bearbeitung der digitalen Edition. (2015-08-20T13:59:15Z)
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Zitationshilfe: Krukenberg, Elsbeth: Die Frauenbewegung, ihre Ziele und ihre Bedeutung. Tübingen, 1905, S. 217. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/krukenberg_frauenbewegung_1905/227>, abgerufen am 25.11.2024.