Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Kuczynski, Jürgen: Tagebuch. Berlin, 1987.

Bild:
<< vorherige Seite

N001
Arbeite aß eißer Paul ValÄry-Studie ... seine Goethevor- N002
lesung und der Briefwechsel mit Gide. Werde wohl Dienstag damit N003
fertig seia.

N001
Gestern war einer unserer Minister bei mir* der nichts mit N002
Wirtaohaftsfragen zu tun hat. Er sagte, er habe jedoch genug N003
Einbliok in die Wirtschaft, um zu wissen, daß wenn nichts Ernstes N004
geschähe, es nächstes Jahr sehr ernst werden würde. Sollte er N005
nicht die Parteiführung warnen* Ich sagte ihm, die Zeiten seien N006
lange vorbei. Man würde ihn als Defaitisten verurteilen, und er N007
würde aus seinem Amt entfernt werden, statt dort, wie bisher, N008
Ausgezeichnetes zu leisten. Die Aufgabe eines Genossen unter den N009
heutigen Umständen sei, auf seinem ureigenen Arbeitsgebiet das N010
Beste zu leisten, dort auch zu kämpfen, unter Umständen bis zum N011
Krach und Herausgeworfenwerden. Aber die Zeiten, wo ein Genosse N012
half und kämpfte, woimmer er etwas Faules entdeckte, seien seit N013
einem Vierteljahrhundert in der Sozialistischen Welt vorbei. Das N014
sei auoh die Auffassung zahlreicher anderer alter Genossen über- N015
all ln der sozialistischen Welt. Er meinte, er hätte es sich N016
eigentlich auoh so überlegt, aber gemeint, es sei vielleicht felge N017
so zu handeln. Ich sagte ihm, daß ich und andere alte Genossen N018
die gleichen inneren Kämpfe gehabt hätten. Aber was sei unsere N019
Aufgabe* Wirksam (!) bei der Verwirklichung des Sozialismus zu N020
helfen und nicht leichtsinnig zum Märtyrer zu werden. Wirksam N021
an der Stelle zu arbeiten, an die die Partei uns gestellt hat*

N001
Die Lage unserer Wissenschaft wird immer schlimmer. Seit N002
Jahren sinkt die Zahl der Studenten pro Zehntausend, sinkt der N003
Prozentsatz der Gesamtausgaben für die Wissenschaft am Staats- N004
haushalt und Nationaleinkommen, nährend in Westdeutschland und

N001
Arbeite aß eißer Paul ValÄry-Studie ... seine Goethevor- N002
lesung und der Briefwechsel mit Gide. Werde wohl Dienstag damit N003
fertig seia.

N001
Gestern war einer unserer Minister bei mir* der nichts mit N002
Wirtaohaftsfragen zu tun hat. Er sagte, er habe jedoch genug N003
Einbliok in die Wirtschaft, um zu wissen, daß wenn nichts Ernstes N004
geschähe, es nächstes Jahr sehr ernst werden würde. Sollte er N005
nicht die Parteiführung warnen* Ich sagte ihm, die Zeiten seien N006
lange vorbei. Man würde ihn als Defaitisten verurteilen, und er N007
würde aus seinem Amt entfernt werden, statt dort, wie bisher, N008
Ausgezeichnetes zu leisten. Die Aufgabe eines Genossen unter den N009
heutigen Umständen sei, auf seinem ureigenen Arbeitsgebiet das N010
Beste zu leisten, dort auch zu kämpfen, unter Umständen bis zum N011
Krach und Herausgeworfenwerden. Aber die Zeiten, wo ein Genosse N012
half und kämpfte, woimmer er etwas Faules entdeckte, seien seit N013
einem Vierteljahrhundert in der Sozialistischen Welt vorbei. Das N014
sei auoh die Auffassung zahlreicher anderer alter Genossen über- N015
all ln der sozialistischen Welt. Er meinte, er hätte es sich N016
eigentlich auoh so überlegt, aber gemeint, es sei vielleicht felge N017
so zu handeln. Ich sagte ihm, daß ich und andere alte Genossen N018
die gleichen inneren Kämpfe gehabt hätten. Aber was sei unsere N019
Aufgabe* Wirksam (!) bei der Verwirklichung des Sozialismus zu N020
helfen und nicht leichtsinnig zum Märtyrer zu werden. Wirksam N021
an der Stelle zu arbeiten, an die die Partei uns gestellt hat*

N001
Die Lage unserer Wissenschaft wird immer schlimmer. Seit N002
Jahren sinkt die Zahl der Studenten pro Zehntausend, sinkt der N003
Prozentsatz der Gesamtausgaben für die Wissenschaft am Staats- N004
haushalt und Nationaleinkommen, nährend in Westdeutschland und

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div type="chapter">
        <pb facs="#f0264"/>
        <p><lb n="N001"/>
Arbeite aß eißer Paul ValÄry-Studie ... seine Goethevor-     <lb n="N002"/>
lesung und der Briefwechsel mit Gide. Werde wohl Dienstag damit     <lb n="N003"/>
fertig seia.</p>
        <p><lb n="N001"/>
Gestern war einer unserer Minister bei mir* der nichts mit     <lb n="N002"/>
Wirtaohaftsfragen zu tun hat. Er sagte, er habe jedoch genug     <lb n="N003"/>
Einbliok in die Wirtschaft, um zu wissen, daß wenn nichts Ernstes     <lb n="N004"/>
geschähe, es nächstes Jahr sehr ernst werden würde. Sollte er     <lb n="N005"/>
nicht die Parteiführung warnen* Ich sagte ihm, die Zeiten seien     <lb n="N006"/>
lange vorbei. Man würde ihn als Defaitisten verurteilen, und er     <lb n="N007"/>
würde aus seinem Amt entfernt werden, statt dort, wie bisher,     <lb n="N008"/>
Ausgezeichnetes zu leisten. Die Aufgabe eines Genossen unter den     <lb n="N009"/>
heutigen Umständen sei, auf seinem ureigenen Arbeitsgebiet das     <lb n="N010"/>
Beste zu leisten, dort auch zu kämpfen, unter Umständen bis zum     <lb n="N011"/>
Krach und Herausgeworfenwerden. Aber die Zeiten, wo ein Genosse     <lb n="N012"/>
half und kämpfte, woimmer er etwas Faules entdeckte, seien seit     <lb n="N013"/>
einem Vierteljahrhundert in der Sozialistischen Welt vorbei. Das     <lb n="N014"/>
sei auoh die Auffassung zahlreicher anderer alter Genossen über-     <lb n="N015"/>
all ln der sozialistischen Welt. Er meinte, er hätte es sich     <lb n="N016"/>
eigentlich auoh so überlegt, aber gemeint, es sei vielleicht felge     <lb n="N017"/>
so zu handeln. Ich sagte ihm, daß ich und andere alte Genossen     <lb n="N018"/>
die gleichen inneren Kämpfe gehabt hätten. Aber was sei unsere     <lb n="N019"/>
Aufgabe* Wirksam (!) bei der Verwirklichung des Sozialismus zu     <lb n="N020"/>
helfen und nicht leichtsinnig zum Märtyrer zu werden. Wirksam     <lb n="N021"/>
an der Stelle zu arbeiten, an die die Partei uns gestellt hat*</p>
        <p><lb n="N001"/>
Die Lage unserer Wissenschaft wird immer schlimmer. Seit     <lb n="N002"/>
Jahren sinkt die Zahl der Studenten pro Zehntausend, sinkt der     <lb n="N003"/>
Prozentsatz der Gesamtausgaben für die Wissenschaft am Staats-     <lb n="N004"/>
haushalt und Nationaleinkommen, nährend in Westdeutschland und</p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0264] N001 Arbeite aß eißer Paul ValÄry-Studie ... seine Goethevor- N002 lesung und der Briefwechsel mit Gide. Werde wohl Dienstag damit N003 fertig seia. N001 Gestern war einer unserer Minister bei mir* der nichts mit N002 Wirtaohaftsfragen zu tun hat. Er sagte, er habe jedoch genug N003 Einbliok in die Wirtschaft, um zu wissen, daß wenn nichts Ernstes N004 geschähe, es nächstes Jahr sehr ernst werden würde. Sollte er N005 nicht die Parteiführung warnen* Ich sagte ihm, die Zeiten seien N006 lange vorbei. Man würde ihn als Defaitisten verurteilen, und er N007 würde aus seinem Amt entfernt werden, statt dort, wie bisher, N008 Ausgezeichnetes zu leisten. Die Aufgabe eines Genossen unter den N009 heutigen Umständen sei, auf seinem ureigenen Arbeitsgebiet das N010 Beste zu leisten, dort auch zu kämpfen, unter Umständen bis zum N011 Krach und Herausgeworfenwerden. Aber die Zeiten, wo ein Genosse N012 half und kämpfte, woimmer er etwas Faules entdeckte, seien seit N013 einem Vierteljahrhundert in der Sozialistischen Welt vorbei. Das N014 sei auoh die Auffassung zahlreicher anderer alter Genossen über- N015 all ln der sozialistischen Welt. Er meinte, er hätte es sich N016 eigentlich auoh so überlegt, aber gemeint, es sei vielleicht felge N017 so zu handeln. Ich sagte ihm, daß ich und andere alte Genossen N018 die gleichen inneren Kämpfe gehabt hätten. Aber was sei unsere N019 Aufgabe* Wirksam (!) bei der Verwirklichung des Sozialismus zu N020 helfen und nicht leichtsinnig zum Märtyrer zu werden. Wirksam N021 an der Stelle zu arbeiten, an die die Partei uns gestellt hat* N001 Die Lage unserer Wissenschaft wird immer schlimmer. Seit N002 Jahren sinkt die Zahl der Studenten pro Zehntausend, sinkt der N003 Prozentsatz der Gesamtausgaben für die Wissenschaft am Staats- N004 haushalt und Nationaleinkommen, nährend in Westdeutschland und

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Archiv der Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften: Bereitstellung der Texttranskription. (2020-01-09T11:07:09Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition. (2020-01-09T11:07:09Z)

Weitere Informationen:

Bogensignaturen: keine Angabe; Druckfehler: dokumentiert; fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: wie Vorlage; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: ja;




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/kuczynski_tagebuch_1987
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/kuczynski_tagebuch_1987/264
Zitationshilfe: Kuczynski, Jürgen: Tagebuch. Berlin, 1987, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kuczynski_tagebuch_1987/264>, abgerufen am 17.06.2024.