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Kuczynski, Jürgen: Tagebuch. Berlin, 1987.

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22.1.198^

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Ein merkwürdiges Erlebnis mit Harald Wessel, der mich gestern N002
besuchte. Da ich weiter wundervolle Briefe zum "Urenkel" bekomme - N003
Briefe von Genossen, die sich nach der Lektüre als bessere Genos- N004
sen fühlen, ja auch einen Brief von einem Pastor, der sich wundert, N005
daß ein Marxist ihn, den Christen, zu besserer und glücklicherer N006
Arbeit in unserer Gesellschaft ermutigt hat -

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und da ich fürohtete, daß irgendwo in der bürgerlichen Presse N002
der BED eine positive Besprechung erscheinen könnte, mit entspre- N003
chend ungünstigen Folgen hier, hatte ich Achim Herrmann einige N004
Auszüge aus Briefen gesandt.

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Folget 2 Tage später ein Anruf von Achim - er hätte meinen N002
Brief bekommen und hätte "schon vorher" Günter Schabowski veran- N003
laßt, Harald Wessel aufzufordern, eine Besprechung im ND zu schrei- N004
ben. Er fände das Kapitel über Stalin ganz ausgezeichnet, aber N005
natürlich nicht meine Bemerkungen über unsere Presse und Propaganda.

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Harald erzählte mir nun, daß vor etwa 1 Woche er, da er auf- N002
gegeben hatte, im HD darüber zu schreiben, wenigstens im "Magazin" N003
sich dazu äußern wollte, G.Sch. ihm gesagt hättet laß Deine Hände N004
von dem Buch! Ein Politbüromitglied hätte bemerkt, es sei das re- N005
publikfeindlichste Buch, das je bei uns erschienen wäre.

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Jetzt hat offenbar Achim dem Erich das Echo, das ich ihm N002
sandte, natürlich aus ganz anderen Gründen, gezeigt, und "alles N003
ist in Ordnung", soweit ein solches Buch bei uns überhaupt in Ord- N004
nung sein kann.

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Unten aber ist der Respons ganz rührend. So viele, auch sol- N002
che, die ich gar nicht kenne, reden mich auf das Buch hin an und N003
sagen mir, wie froh sie mit ihm sind. Täglich habe ich mindestens N004
einen guten Brief.

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Ein merkwürdiges Erlebnis mit Harald Wessel, der mich gestern N002
besuchte. Da ich weiter wundervolle Briefe zum "Urenkel" bekomme - N003
Briefe von Genossen, die sich nach der Lektüre als bessere Genos- N004
sen fühlen, ja auch einen Brief von einem Pastor, der sich wundert, N005
daß ein Marxist ihn, den Christen, zu besserer und glücklicherer N006
Arbeit in unserer Gesellschaft ermutigt hat -

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und da ich fürohtete, daß irgendwo in der bürgerlichen Presse N002
der BED eine positive Besprechung erscheinen könnte, mit entspre- N003
chend ungünstigen Folgen hier, hatte ich Achim Herrmann einige N004
Auszüge aus Briefen gesandt.

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Folget 2 Tage später ein Anruf von Achim - er hätte meinen N002
Brief bekommen und hätte "schon vorher" Günter Schabowski veran- N003
laßt, Harald Wessel aufzufordern, eine Besprechung im ND zu schrei- N004
ben. Er fände das Kapitel über Stalin ganz ausgezeichnet, aber N005
natürlich nicht meine Bemerkungen über unsere Presse und Propaganda.

N001
Harald erzählte mir nun, daß vor etwa 1 Woche er, da er auf- N002
gegeben hatte, im HD darüber zu schreiben, wenigstens im "Magazin" N003
sich dazu äußern wollte, G.Sch. ihm gesagt hättet laß Deine Hände N004
von dem Buch! Ein Politbüromitglied hätte bemerkt, es sei das re- N005
publikfeindlichste Buch, das je bei uns erschienen wäre.

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Jetzt hat offenbar Achim dem Erich das Echo, das ich ihm N002
sandte, natürlich aus ganz anderen Gründen, gezeigt, und "alles N003
ist in Ordnung", soweit ein solches Buch bei uns überhaupt in Ord- N004
nung sein kann.

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Unten aber ist der Respons ganz rührend. So viele, auch sol- N002
che, die ich gar nicht kenne, reden mich auf das Buch hin an und N003
sagen mir, wie froh sie mit ihm sind. Täglich habe ich mindestens N004
einen guten Brief.

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Zitationshilfe: Kuczynski, Jürgen: Tagebuch. Berlin, 1987, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kuczynski_tagebuch_1987/831>, abgerufen am 02.06.2024.