daß er vor einer Bühne sitzt. Ein Stucker hundert Menschen, wie Percy sagen würde, sind hier im Handgemenge und Alles prügelt sich wirklich. Es ist ein Hochgenuß. Die Parterre-Jugend strampelt vor Wonne, Hoby der Newsboy wirft seine Mütze gegen den Kron¬ leuchter, das übrige Publikum bleibt aber doch verhältnißmäßig ruhiger als bei der Schiffbruchs-Scene. Es ist zwar warm und befriedigt, der Europäer sieht aber, daß es nichts Geringeres erwartet, und daß diese Monstre-Darstellungen des Volkslebens die gewohnten Bühnen¬ genüsse des Amerikaners sind.
Der Prügel- und Walkmühlen-Prozeß endet zwar mit dem Siege der Unschuld, aber der Sieg ist kein vollständiger. Der Sclavenhändler ist vertrieben, aber er schnaubt Rache. Jane Norwood ist gerettet, aber während der Kapitän sie ehrlich nach Hause führen will, ge¬ denkt sie sein Schiffscadett nun erst auf eigene Rechnung zu entführen. So wechselt sinniger Weise mit der Prügel- eine neue Intriguen- Scene. Der liebenswürdige Benjamin macht sich nicht das geringste Gewissen daraus, seinen Herrn der Hafen-Polizei zu verrathen und ihn am Auslaufen nach Halifax zu verhindern, was ihm auch vor¬ trefflich gelingt, da ganz New-Orleans sclavenhändlerisch gesinnt und auf den Kapitän erbittert ist. Dieser hat Noth, sich mit Jane Nor¬ wood auf den Landweg durchzuschlagen. Das eben sucht der Cadett zu erreichen, denn der Landweg verspricht ihm ungleich günstigere Chancen für seine Jagd auf das Mädchen. Ja, so wenig scrupulös ist der holde Jüngling in seinen Mitteln, daß er unterwegs nahe daran ist, sogar mit dem Sclavenhändler sich wieder zu verbinden; denn, cal¬ culirt er, es wäre doch besser, daß sie in New-Orleans verkauft würde, er könnte sie ihrer Herrschaft dann jedenfalls mit besserer Muße ent¬ führen, als so. Moorfeld erwartete an dieser Stelle nichts Anderes, als ein neues Eier- oder vielmehr Orangenschalen-Bombardement, aber er verzichtete sogleich auf jedes Urtheil über die sittlichen Anschauungen des Hauses, denn das Publikum applaudirt vielmehr und ruft theil¬ nehmend: a smart fellow! Also keine gene einer moralischen Volks¬ meinung, nur die höhere Rücksicht auf eine ergiebige Prügelernte schien den Dichter geleitet zu haben, daß er die schmähliche Allianz nicht doch verwirklichte. Denn während Benjamin Ridge und der Sclavenhändler, der inzwischen durch einen Bund mit den Indianern
daß er vor einer Bühne ſitzt. Ein Stucker hundert Menſchen, wie Percy ſagen würde, ſind hier im Handgemenge und Alles prügelt ſich wirklich. Es iſt ein Hochgenuß. Die Parterre-Jugend ſtrampelt vor Wonne, Hoby der Newsboy wirft ſeine Mütze gegen den Kron¬ leuchter, das übrige Publikum bleibt aber doch verhältnißmäßig ruhiger als bei der Schiffbruchs-Scene. Es iſt zwar warm und befriedigt, der Europäer ſieht aber, daß es nichts Geringeres erwartet, und daß dieſe Monſtre-Darſtellungen des Volkslebens die gewohnten Bühnen¬ genüſſe des Amerikaners ſind.
Der Prügel- und Walkmühlen-Prozeß endet zwar mit dem Siege der Unſchuld, aber der Sieg iſt kein vollſtändiger. Der Sclavenhändler iſt vertrieben, aber er ſchnaubt Rache. Jane Norwood iſt gerettet, aber während der Kapitän ſie ehrlich nach Hauſe führen will, ge¬ denkt ſie ſein Schiffscadett nun erſt auf eigene Rechnung zu entführen. So wechſelt ſinniger Weiſe mit der Prügel- eine neue Intriguen- Scene. Der liebenswürdige Benjamin macht ſich nicht das geringſte Gewiſſen daraus, ſeinen Herrn der Hafen-Polizei zu verrathen und ihn am Auslaufen nach Halifax zu verhindern, was ihm auch vor¬ trefflich gelingt, da ganz New-Orleans ſclavenhändleriſch geſinnt und auf den Kapitän erbittert iſt. Dieſer hat Noth, ſich mit Jane Nor¬ wood auf den Landweg durchzuſchlagen. Das eben ſucht der Cadett zu erreichen, denn der Landweg verſpricht ihm ungleich günſtigere Chancen für ſeine Jagd auf das Mädchen. Ja, ſo wenig ſcrupulös iſt der holde Jüngling in ſeinen Mitteln, daß er unterwegs nahe daran iſt, ſogar mit dem Sclavenhändler ſich wieder zu verbinden; denn, cal¬ culirt er, es wäre doch beſſer, daß ſie in New-Orleans verkauft würde, er könnte ſie ihrer Herrſchaft dann jedenfalls mit beſſerer Muße ent¬ führen, als ſo. Moorfeld erwartete an dieſer Stelle nichts Anderes, als ein neues Eier- oder vielmehr Orangenſchalen-Bombardement, aber er verzichtete ſogleich auf jedes Urtheil über die ſittlichen Anſchauungen des Hauſes, denn das Publikum applaudirt vielmehr und ruft theil¬ nehmend: a smart fellow! Alſo keine gêne einer moraliſchen Volks¬ meinung, nur die höhere Rückſicht auf eine ergiebige Prügelernte ſchien den Dichter geleitet zu haben, daß er die ſchmähliche Allianz nicht doch verwirklichte. Denn während Benjamin Ridge und der Sclavenhändler, der inzwiſchen durch einen Bund mit den Indianern
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daß er vor einer Bühne ſitzt. Ein Stucker hundert Menſchen, wie
Percy ſagen würde, ſind hier im Handgemenge und Alles prügelt ſich
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vor Wonne, Hoby der Newsboy wirft ſeine Mütze gegen den Kron¬
leuchter, das übrige Publikum bleibt aber doch verhältnißmäßig ruhiger
als bei der Schiffbruchs-Scene. Es iſt zwar warm und befriedigt,
der Europäer ſieht aber, daß es nichts Geringeres erwartet, und daß
dieſe Monſtre-Darſtellungen des Volkslebens die gewohnten Bühnen¬
genüſſe des Amerikaners ſind.
Der Prügel- und Walkmühlen-Prozeß endet zwar mit dem Siege
der Unſchuld, aber der Sieg iſt kein vollſtändiger. Der Sclavenhändler
iſt vertrieben, aber er ſchnaubt Rache. Jane Norwood iſt gerettet,
aber während der Kapitän ſie ehrlich nach Hauſe führen will, ge¬
denkt ſie ſein Schiffscadett nun erſt auf eigene Rechnung zu entführen.
So wechſelt ſinniger Weiſe mit der Prügel- eine neue Intriguen-
Scene. Der liebenswürdige Benjamin macht ſich nicht das geringſte
Gewiſſen daraus, ſeinen Herrn der Hafen-Polizei zu verrathen und
ihn am Auslaufen nach Halifax zu verhindern, was ihm auch vor¬
trefflich gelingt, da ganz New-Orleans ſclavenhändleriſch geſinnt und
auf den Kapitän erbittert iſt. Dieſer hat Noth, ſich mit Jane Nor¬
wood auf den Landweg durchzuſchlagen. Das eben ſucht der Cadett
zu erreichen, denn der Landweg verſpricht ihm ungleich günſtigere
Chancen für ſeine Jagd auf das Mädchen. Ja, ſo wenig ſcrupulös
iſt der holde Jüngling in ſeinen Mitteln, daß er unterwegs nahe daran
iſt, ſogar mit dem Sclavenhändler ſich wieder zu verbinden; denn, cal¬
culirt er, es wäre doch beſſer, daß ſie in New-Orleans verkauft würde,
er könnte ſie ihrer Herrſchaft dann jedenfalls mit beſſerer Muße ent¬
führen, als ſo. Moorfeld erwartete an dieſer Stelle nichts Anderes, als
ein neues Eier- oder vielmehr Orangenſchalen-Bombardement, aber er
verzichtete ſogleich auf jedes Urtheil über die ſittlichen Anſchauungen
des Hauſes, denn das Publikum applaudirt vielmehr und ruft theil¬
nehmend: a smart fellow! Alſo keine gêne einer moraliſchen Volks¬
meinung, nur die höhere Rückſicht auf eine ergiebige Prügelernte
ſchien den Dichter geleitet zu haben, daß er die ſchmähliche Allianz
nicht doch verwirklichte. Denn während Benjamin Ridge und der
Sclavenhändler, der inzwiſchen durch einen Bund mit den Indianern
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Kürnberger, Ferdinand: Der Amerika-Müde. Frankfurt (Main), 1855, S. 90. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kuernberger_amerikamuede_1855/108>, abgerufen am 24.11.2024.
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