Kosten zahlreicher Theaterproben mit so zahlreichen Comparsen? Moor¬ feld konnte kaum das Austoben des ärgsten Lärmes erwarten, um sich mit diesem Bedenken an seinen Nachbar zu wenden. Die Bedenken, die er gegen denselben selbst hatte, mußten momentan verstummen davor. Zu lösenswerth schien ihm das Räthsel.
Der Engländer fuhr wie aus dem Traume empor und fragte den Frager naiv: Sind Sie dem Stücke gefolgt? Moorfeld erstaunte. War das aristokratische Gleichgiltigkeit, oder -- die Zerstreutheit eines Irren? Betreten antwortete er: daß ihm der Verfolg eines Theaterstücks aller¬ dings der Zweck des Theaterbesuches sei. Wahrscheinlich sind Sie selbst Dichter? gab der Engländer zurück. Wir wissen nicht, ob wir das Er¬ staunen Moorfeld's in diesem Augenblicke Bewunderung nennen dürfen, aber mit einem Ausdrucke, der sonst viel zusammengesetzter zu beschrei¬ ben wäre, antwortete er: Ich bin nicht dramatischer Dichter. -- Also doch, erwiederte der Engländer ohne Umstände. Damit war der Dialog zu Ende. Der Engländer schien Moorfeld's erste Anrede vollständig vergessen zu haben. Aber vor dem Spektakel war inzwischen seine Dogge erwacht, sie sprang mit den Vorderfüßen gegen die Brüstung und fing unter dem Gelächter des Hauses laut nach der Bühne zu bellen an. Der Engländer brachte das Thier zur Ruhe -- nicht wahr, das appellirt an die bestialische Natur? sagte er im Tone eines freundschaftlichen Vorwurfes. Moorfeld schüttelte den Kopf. Auf ein¬ mal wandte sich Jener wieder an ihn: -- Von den Comparsen spra¬ chen Sie? Es sind lauter Volontairs. Die Newyorker Rowdies wirken aus Liebhaberei mit, auch kommen Wunden und Tod wohl im Ernste dabei vor. Ich bin nicht mehr fremd genug hier und habe dergleichen selbst schon erlebt. -- In der That, das war die einzig mög¬ liche Erklärung einer solchen mise en scene. Mit einer ironischen Form dieser Anerkennung sagte Moorfeld, er hätte es allerdings den¬ ken sollen, daß nur die aufopferndste Theilnahme des Publikums solche Kunstblüthen zeitige. Der Engländer nickte lächelnd.
Staub, Pulverdampf, Geschrei und Getrampel hatte endlich aus¬ gespielt; das Schlachtfeld wurde leerer. Zurück blieb zuletzt nur der Sclavenhändler Andrew Jackson Dewis. Er war in der "Affaire" tödtlich getroffen worden, und hatte jetzt sein großes Spiel. Er hatte zu sterben. Sollte das ein Glanzpunkt in der Kunstleistung des
Koſten zahlreicher Theaterproben mit ſo zahlreichen Comparſen? Moor¬ feld konnte kaum das Austoben des ärgſten Lärmes erwarten, um ſich mit dieſem Bedenken an ſeinen Nachbar zu wenden. Die Bedenken, die er gegen denſelben ſelbſt hatte, mußten momentan verſtummen davor. Zu löſenswerth ſchien ihm das Räthſel.
Der Engländer fuhr wie aus dem Traume empor und fragte den Frager naiv: Sind Sie dem Stücke gefolgt? Moorfeld erſtaunte. War das ariſtokratiſche Gleichgiltigkeit, oder — die Zerſtreutheit eines Irren? Betreten antwortete er: daß ihm der Verfolg eines Theaterſtücks aller¬ dings der Zweck des Theaterbeſuches ſei. Wahrſcheinlich ſind Sie ſelbſt Dichter? gab der Engländer zurück. Wir wiſſen nicht, ob wir das Er¬ ſtaunen Moorfeld's in dieſem Augenblicke Bewunderung nennen dürfen, aber mit einem Ausdrucke, der ſonſt viel zuſammengeſetzter zu beſchrei¬ ben wäre, antwortete er: Ich bin nicht dramatiſcher Dichter. — Alſo doch, erwiederte der Engländer ohne Umſtände. Damit war der Dialog zu Ende. Der Engländer ſchien Moorfeld's erſte Anrede vollſtändig vergeſſen zu haben. Aber vor dem Spektakel war inzwiſchen ſeine Dogge erwacht, ſie ſprang mit den Vorderfüßen gegen die Brüſtung und fing unter dem Gelächter des Hauſes laut nach der Bühne zu bellen an. Der Engländer brachte das Thier zur Ruhe — nicht wahr, das appellirt an die beſtialiſche Natur? ſagte er im Tone eines freundſchaftlichen Vorwurfes. Moorfeld ſchüttelte den Kopf. Auf ein¬ mal wandte ſich Jener wieder an ihn: — Von den Comparſen ſpra¬ chen Sie? Es ſind lauter Volontairs. Die Newyorker Rowdies wirken aus Liebhaberei mit, auch kommen Wunden und Tod wohl im Ernſte dabei vor. Ich bin nicht mehr fremd genug hier und habe dergleichen ſelbſt ſchon erlebt. — In der That, das war die einzig mög¬ liche Erklärung einer ſolchen mise en scene. Mit einer ironiſchen Form dieſer Anerkennung ſagte Moorfeld, er hätte es allerdings den¬ ken ſollen, daß nur die aufopferndſte Theilnahme des Publikums ſolche Kunſtblüthen zeitige. Der Engländer nickte lächelnd.
Staub, Pulverdampf, Geſchrei und Getrampel hatte endlich aus¬ geſpielt; das Schlachtfeld wurde leerer. Zurück blieb zuletzt nur der Sclavenhändler Andrew Jackſon Dewis. Er war in der „Affaire” tödtlich getroffen worden, und hatte jetzt ſein großes Spiel. Er hatte zu ſterben. Sollte das ein Glanzpunkt in der Kunſtleiſtung des
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Koſten zahlreicher Theaterproben mit ſo zahlreichen Comparſen? Moor¬
feld konnte kaum das Austoben des ärgſten Lärmes erwarten, um ſich
mit dieſem Bedenken an ſeinen Nachbar zu wenden. Die Bedenken,
die er gegen denſelben ſelbſt hatte, mußten momentan verſtummen davor.
Zu löſenswerth ſchien ihm das Räthſel.
Der Engländer fuhr wie aus dem Traume empor und fragte den
Frager naiv: Sind Sie dem Stücke gefolgt? Moorfeld erſtaunte. War
das ariſtokratiſche Gleichgiltigkeit, oder — die Zerſtreutheit eines Irren?
Betreten antwortete er: daß ihm der Verfolg eines Theaterſtücks aller¬
dings der Zweck des Theaterbeſuches ſei. Wahrſcheinlich ſind Sie ſelbſt
Dichter? gab der Engländer zurück. Wir wiſſen nicht, ob wir das Er¬
ſtaunen Moorfeld's in dieſem Augenblicke Bewunderung nennen dürfen,
aber mit einem Ausdrucke, der ſonſt viel zuſammengeſetzter zu beſchrei¬
ben wäre, antwortete er: Ich bin nicht dramatiſcher Dichter. — Alſo
doch, erwiederte der Engländer ohne Umſtände. Damit war der Dialog
zu Ende. Der Engländer ſchien Moorfeld's erſte Anrede vollſtändig
vergeſſen zu haben. Aber vor dem Spektakel war inzwiſchen ſeine
Dogge erwacht, ſie ſprang mit den Vorderfüßen gegen die Brüſtung
und fing unter dem Gelächter des Hauſes laut nach der Bühne zu
bellen an. Der Engländer brachte das Thier zur Ruhe — nicht
wahr, das appellirt an die beſtialiſche Natur? ſagte er im Tone eines
freundſchaftlichen Vorwurfes. Moorfeld ſchüttelte den Kopf. Auf ein¬
mal wandte ſich Jener wieder an ihn: — Von den Comparſen ſpra¬
chen Sie? Es ſind lauter Volontairs. Die Newyorker Rowdies
wirken aus Liebhaberei mit, auch kommen Wunden und Tod wohl
im Ernſte dabei vor. Ich bin nicht mehr fremd genug hier und habe
dergleichen ſelbſt ſchon erlebt. — In der That, das war die einzig mög¬
liche Erklärung einer ſolchen mise en scene. Mit einer ironiſchen
Form dieſer Anerkennung ſagte Moorfeld, er hätte es allerdings den¬
ken ſollen, daß nur die aufopferndſte Theilnahme des Publikums
ſolche Kunſtblüthen zeitige. Der Engländer nickte lächelnd.
Staub, Pulverdampf, Geſchrei und Getrampel hatte endlich aus¬
geſpielt; das Schlachtfeld wurde leerer. Zurück blieb zuletzt nur der
Sclavenhändler Andrew Jackſon Dewis. Er war in der „Affaire”
tödtlich getroffen worden, und hatte jetzt ſein großes Spiel. Er hatte
zu ſterben. Sollte das ein Glanzpunkt in der Kunſtleiſtung des
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Kürnberger, Ferdinand: Der Amerika-Müde. Frankfurt (Main), 1855, S. 92. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kuernberger_amerikamuede_1855/110>, abgerufen am 24.11.2024.
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