vermuthlich aufgenommen hatte. Das Wirthsschild trug, wie beim Dämmer des Tages und eines rothen Lämpchens überraschend zu lesen war, die Aufschrift: Gasthaus zum grünen Baum. Bei diesem An¬ blicke zweifelte Moorfeld keinen Augenblick, daß er sich in jenem nord¬ östlichen Ende der Stadt befinde, welches er, wie er sich erinnerte, Kleindeutschland hatte nennen hören. Nur an einem Punkte, wo er sich in einem Lager von Landsleuten fühlte, konnte ein deutscher Wirth es gewagt haben, diese erzdeutsche Firma zu führen. Er kannte also das unbekannte Stadtviertel jetzt wenigstens dem Namen nach.
Er trat in den grünen Baum ein. Ja hier war Deutschland! Die Gesellschaft deutsche Physiognomien, die Schenkeinrichtung deutsch, die mäßig-große, längliche Gaststube von einer Durchzugswand in zwei gleiche Hälften getheilt, augenscheinlich um der deutschen Sonde¬ rungssucht das beliebte "Extrazimmer" zu bieten. Und doch nahm das Publikum dieses Locales eben so augenscheinlich eine ziemlich gleiche Glücksstufe ein: gleicher, als Manchen vielleicht lieb sein mochte. Die Meisten der Anwesenden waren in diesem Augenblicke mit ihrem Abendbrode beschäftigt, welches sie auf deutsche Art einnahmen, d. h. nach der Karte und an gesonderten Tischen, anstatt daß die ameri¬ kanische Sitte selbst zum Frühstück und Thee Table d'hote hält. Auch ihre Mienen waren mit ganzer Andacht und Bedächtigkeit bei dem Genusse; hier wurde nicht amerikanisch gejagt und geschluckt, jeder Bissen ging in's Bewußtsein über, man speiste im Geiste wie in der Form deutsch. Ja, manch ernste Stirn, manch sprechender Blick schien zu verrathen, wie viel dem Manne die Mahlzeit werth sei, die er vor sich hatte, wie viel seines eigenen Arbeiterwerthes er darangesetzt, sie zu erringen. -- Der Ankömmling dachte vornehmer, als daß er mit einem Geldstück in der Hand sich zum Herrn über die Tafelmuße ei¬ nes dieser Hungrigen aufgeworfen hätte. Mit jener Menschenachtung, die des Gebildeten echtestes Merkmal ist, sah er auf den anwesenden Nährstand, der hier den angenehmeren Theil seiner Standesehre er¬ füllte, und wollte ihm keinerlei Abbruch thun. Vielmehr nahm er selbst Platz in dem Gastzimmer, bestellte sich ein Souper gleich den Uebrigen und engagirte sich im Verlaufe desselben den benöthigten Wegweiser gelegentlich.
Da er sich der deutschen Sprache bediente, so konnte er mit Ver¬
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vermuthlich aufgenommen hatte. Das Wirthsſchild trug, wie beim Dämmer des Tages und eines rothen Lämpchens überraſchend zu leſen war, die Aufſchrift: Gaſthaus zum grünen Baum. Bei dieſem An¬ blicke zweifelte Moorfeld keinen Augenblick, daß er ſich in jenem nord¬ öſtlichen Ende der Stadt befinde, welches er, wie er ſich erinnerte, Kleindeutſchland hatte nennen hören. Nur an einem Punkte, wo er ſich in einem Lager von Landsleuten fühlte, konnte ein deutſcher Wirth es gewagt haben, dieſe erzdeutſche Firma zu führen. Er kannte alſo das unbekannte Stadtviertel jetzt wenigſtens dem Namen nach.
Er trat in den grünen Baum ein. Ja hier war Deutſchland! Die Geſellſchaft deutſche Phyſiognomien, die Schenkeinrichtung deutſch, die mäßig-große, längliche Gaſtſtube von einer Durchzugswand in zwei gleiche Hälften getheilt, augenſcheinlich um der deutſchen Sonde¬ rungsſucht das beliebte „Extrazimmer“ zu bieten. Und doch nahm das Publikum dieſes Locales eben ſo augenſcheinlich eine ziemlich gleiche Glücksſtufe ein: gleicher, als Manchen vielleicht lieb ſein mochte. Die Meiſten der Anweſenden waren in dieſem Augenblicke mit ihrem Abendbrode beſchäftigt, welches ſie auf deutſche Art einnahmen, d. h. nach der Karte und an geſonderten Tiſchen, anſtatt daß die ameri¬ kaniſche Sitte ſelbſt zum Frühſtück und Thee Table d'hôte hält. Auch ihre Mienen waren mit ganzer Andacht und Bedächtigkeit bei dem Genuſſe; hier wurde nicht amerikaniſch gejagt und geſchluckt, jeder Biſſen ging in's Bewußtſein über, man ſpeiſte im Geiſte wie in der Form deutſch. Ja, manch ernſte Stirn, manch ſprechender Blick ſchien zu verrathen, wie viel dem Manne die Mahlzeit werth ſei, die er vor ſich hatte, wie viel ſeines eigenen Arbeiterwerthes er darangeſetzt, ſie zu erringen. — Der Ankömmling dachte vornehmer, als daß er mit einem Geldſtück in der Hand ſich zum Herrn über die Tafelmuße ei¬ nes dieſer Hungrigen aufgeworfen hätte. Mit jener Menſchenachtung, die des Gebildeten echteſtes Merkmal iſt, ſah er auf den anweſenden Nährſtand, der hier den angenehmeren Theil ſeiner Standesehre er¬ füllte, und wollte ihm keinerlei Abbruch thun. Vielmehr nahm er ſelbſt Platz in dem Gaſtzimmer, beſtellte ſich ein Souper gleich den Uebrigen und engagirte ſich im Verlaufe deſſelben den benöthigten Wegweiſer gelegentlich.
Da er ſich der deutſchen Sprache bediente, ſo konnte er mit Ver¬
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vermuthlich aufgenommen hatte. Das Wirthsſchild trug, wie beim
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blicke zweifelte Moorfeld keinen Augenblick, daß er ſich in jenem nord¬
öſtlichen Ende der Stadt befinde, welches er, wie er ſich erinnerte,
Kleindeutſchland hatte nennen hören. Nur an einem Punkte, wo
er ſich in einem Lager von Landsleuten fühlte, konnte ein deutſcher
Wirth es gewagt haben, dieſe erzdeutſche Firma zu führen. Er kannte
alſo das unbekannte Stadtviertel jetzt wenigſtens dem Namen nach.
Er trat in den grünen Baum ein. Ja hier war Deutſchland!
Die Geſellſchaft deutſche Phyſiognomien, die Schenkeinrichtung deutſch,
die mäßig-große, längliche Gaſtſtube von einer Durchzugswand in
zwei gleiche Hälften getheilt, augenſcheinlich um der deutſchen Sonde¬
rungsſucht das beliebte „Extrazimmer“ zu bieten. Und doch nahm
das Publikum dieſes Locales eben ſo augenſcheinlich eine ziemlich gleiche
Glücksſtufe ein: gleicher, als Manchen vielleicht lieb ſein mochte. Die
Meiſten der Anweſenden waren in dieſem Augenblicke mit ihrem
Abendbrode beſchäftigt, welches ſie auf deutſche Art einnahmen, d. h.
nach der Karte und an geſonderten Tiſchen, anſtatt daß die ameri¬
kaniſche Sitte ſelbſt zum Frühſtück und Thee Table d'hôte hält. Auch
ihre Mienen waren mit ganzer Andacht und Bedächtigkeit bei dem
Genuſſe; hier wurde nicht amerikaniſch gejagt und geſchluckt, jeder
Biſſen ging in's Bewußtſein über, man ſpeiſte im Geiſte wie in der
Form deutſch. Ja, manch ernſte Stirn, manch ſprechender Blick ſchien
zu verrathen, wie viel dem Manne die Mahlzeit werth ſei, die er vor
ſich hatte, wie viel ſeines eigenen Arbeiterwerthes er darangeſetzt, ſie
zu erringen. — Der Ankömmling dachte vornehmer, als daß er mit
einem Geldſtück in der Hand ſich zum Herrn über die Tafelmuße ei¬
nes dieſer Hungrigen aufgeworfen hätte. Mit jener Menſchenachtung,
die des Gebildeten echteſtes Merkmal iſt, ſah er auf den anweſenden
Nährſtand, der hier den angenehmeren Theil ſeiner Standesehre er¬
füllte, und wollte ihm keinerlei Abbruch thun. Vielmehr nahm er
ſelbſt Platz in dem Gaſtzimmer, beſtellte ſich ein Souper gleich den
Uebrigen und engagirte ſich im Verlaufe deſſelben den benöthigten
Wegweiſer gelegentlich.
Da er ſich der deutſchen Sprache bediente, ſo konnte er mit Ver¬
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Kürnberger, Ferdinand: Der Amerika-Müde. Frankfurt (Main), 1855, S. 99. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kuernberger_amerikamuede_1855/117>, abgerufen am 24.11.2024.
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