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Kürnberger, Ferdinand: Der Amerika-Müde. Frankfurt (Main), 1855.

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Gelächter.

Und mit gänzlicher Abspannung setzte er hinzu: Das heißt leben!
Wollte Gott, ich wäre die Seeschlange, so würd' ich doch Einmal
ausgestopft, nach meinem Tode wenigstens. Aber unser deutscher
Kaiser, der Mehrer des Reichs, gibt mich auf, wie die Rheingränze.
Zum Skelett bin ich ausgedorrt unter seiner Regierung. Die Würmer
sterben am Hungertyphus, die sich einst an mich machen; Gott ver¬
damm' mich! man wird mich in Schmalz backen müssen, wenn ich or¬
dentlich aufgespeist werden soll.

Schallendes Gelächter.

Unter diesem Stoßseufzer verschlang der arme Phthisiker sein Beaf¬
steak mit dem ganzen Heißhunger seiner Constitution. Dazu rollten
seine Augen mit einem höchst grimmigen Ausdrucke, nur seine Zunge
schwieg. Letzterer Umstand schien der Gesellschaft indeß gar nicht ge¬
müthlich. Der pfälzische Schreiner suchte wieder Gelegenheit. Nach
einer Pause fing er an:

Was seh' ich, Henning, du trägst ja noch einmal ein gewaschenes
Hemd? Und deine christliche Mistreß Waschfrau, Mitglied von einem
Schock Bibelgesellschaften, Conventikeln und Missionen, hat dir doch
den Dienst gekündet. War's nicht so?

Der Schriftsetzer nickte.

Sie wollte dir, sagte sie, diesmal nicht aus dem Zimmer gehen,
wenn nicht der letzte Cent bezahlt würde? Verstand ich dich recht so?

Der Schriftsetzer nickte.

Ei, das müssen wir hören! Wie lief die Geschichte ab? Wie
kamst du zu dem Hemde? Wie kam Frau Appendage oder Affentisch
um ihre Six-Pence? Wie ist dir's gelungen, den frommen Klauen des
Waschbären zu entrinnen?

Der Schriftsetzer würgte so viel seines Mundvorraths hinunter,
daß er zur Noth die Eßwerkzeuge als Sprachwerkzeuge frei bekam,
und brummte im tiefsten Basse: Inspiration!

Der Schreiner machte eine aufmerksame aber fragende Miene.
Der Schriftsetzer illustrirte sein Wort, indem er stumm mit der Gabel
an die Stirne deutete, und dem Schreiner mit einem Blick voll welt¬
bezwingender Genialität in's Gesicht starrte.

Der Bursche fühlte sich ordentlich imponirt und sagte mit einigen

Gelächter.

Und mit gänzlicher Abſpannung ſetzte er hinzu: Das heißt leben!
Wollte Gott, ich wäre die Seeſchlange, ſo würd' ich doch Einmal
ausgeſtopft, nach meinem Tode wenigſtens. Aber unſer deutſcher
Kaiſer, der Mehrer des Reichs, gibt mich auf, wie die Rheingränze.
Zum Skelett bin ich ausgedorrt unter ſeiner Regierung. Die Würmer
ſterben am Hungertyphus, die ſich einſt an mich machen; Gott ver¬
damm' mich! man wird mich in Schmalz backen müſſen, wenn ich or¬
dentlich aufgeſpeist werden ſoll.

Schallendes Gelächter.

Unter dieſem Stoßſeufzer verſchlang der arme Phthiſiker ſein Beaf¬
ſteak mit dem ganzen Heißhunger ſeiner Conſtitution. Dazu rollten
ſeine Augen mit einem höchſt grimmigen Ausdrucke, nur ſeine Zunge
ſchwieg. Letzterer Umſtand ſchien der Geſellſchaft indeß gar nicht ge¬
müthlich. Der pfälziſche Schreiner ſuchte wieder Gelegenheit. Nach
einer Pauſe fing er an:

Was ſeh' ich, Henning, du trägſt ja noch einmal ein gewaſchenes
Hemd? Und deine chriſtliche Miſtreß Waſchfrau, Mitglied von einem
Schock Bibelgeſellſchaften, Conventikeln und Miſſionen, hat dir doch
den Dienſt gekündet. War's nicht ſo?

Der Schriftſetzer nickte.

Sie wollte dir, ſagte ſie, diesmal nicht aus dem Zimmer gehen,
wenn nicht der letzte Cent bezahlt würde? Verſtand ich dich recht ſo?

Der Schriftſetzer nickte.

Ei, das müſſen wir hören! Wie lief die Geſchichte ab? Wie
kamſt du zu dem Hemde? Wie kam Frau Appendage oder Affentiſch
um ihre Six-Pence? Wie iſt dir's gelungen, den frommen Klauen des
Waſchbären zu entrinnen?

Der Schriftſetzer würgte ſo viel ſeines Mundvorraths hinunter,
daß er zur Noth die Eßwerkzeuge als Sprachwerkzeuge frei bekam,
und brummte im tiefſten Baſſe: Inſpiration!

Der Schreiner machte eine aufmerkſame aber fragende Miene.
Der Schriftſetzer illuſtrirte ſein Wort, indem er ſtumm mit der Gabel
an die Stirne deutete, und dem Schreiner mit einem Blick voll welt¬
bezwingender Genialität in's Geſicht ſtarrte.

Der Burſche fühlte ſich ordentlich imponirt und ſagte mit einigen

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[103/0121] Gelächter. Und mit gänzlicher Abſpannung ſetzte er hinzu: Das heißt leben! Wollte Gott, ich wäre die Seeſchlange, ſo würd' ich doch Einmal ausgeſtopft, nach meinem Tode wenigſtens. Aber unſer deutſcher Kaiſer, der Mehrer des Reichs, gibt mich auf, wie die Rheingränze. Zum Skelett bin ich ausgedorrt unter ſeiner Regierung. Die Würmer ſterben am Hungertyphus, die ſich einſt an mich machen; Gott ver¬ damm' mich! man wird mich in Schmalz backen müſſen, wenn ich or¬ dentlich aufgeſpeist werden ſoll. Schallendes Gelächter. Unter dieſem Stoßſeufzer verſchlang der arme Phthiſiker ſein Beaf¬ ſteak mit dem ganzen Heißhunger ſeiner Conſtitution. Dazu rollten ſeine Augen mit einem höchſt grimmigen Ausdrucke, nur ſeine Zunge ſchwieg. Letzterer Umſtand ſchien der Geſellſchaft indeß gar nicht ge¬ müthlich. Der pfälziſche Schreiner ſuchte wieder Gelegenheit. Nach einer Pauſe fing er an: Was ſeh' ich, Henning, du trägſt ja noch einmal ein gewaſchenes Hemd? Und deine chriſtliche Miſtreß Waſchfrau, Mitglied von einem Schock Bibelgeſellſchaften, Conventikeln und Miſſionen, hat dir doch den Dienſt gekündet. War's nicht ſo? Der Schriftſetzer nickte. Sie wollte dir, ſagte ſie, diesmal nicht aus dem Zimmer gehen, wenn nicht der letzte Cent bezahlt würde? Verſtand ich dich recht ſo? Der Schriftſetzer nickte. Ei, das müſſen wir hören! Wie lief die Geſchichte ab? Wie kamſt du zu dem Hemde? Wie kam Frau Appendage oder Affentiſch um ihre Six-Pence? Wie iſt dir's gelungen, den frommen Klauen des Waſchbären zu entrinnen? Der Schriftſetzer würgte ſo viel ſeines Mundvorraths hinunter, daß er zur Noth die Eßwerkzeuge als Sprachwerkzeuge frei bekam, und brummte im tiefſten Baſſe: Inſpiration! Der Schreiner machte eine aufmerkſame aber fragende Miene. Der Schriftſetzer illuſtrirte ſein Wort, indem er ſtumm mit der Gabel an die Stirne deutete, und dem Schreiner mit einem Blick voll welt¬ bezwingender Genialität in's Geſicht ſtarrte. Der Burſche fühlte ſich ordentlich imponirt und ſagte mit einigen

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Zitationshilfe: Kürnberger, Ferdinand: Der Amerika-Müde. Frankfurt (Main), 1855, S. 103. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kuernberger_amerikamuede_1855/121>, abgerufen am 24.11.2024.