Moorfeld hörte diese Erklärung überrascht, fast betreten an. Er antwortete: Ich würde mich sehr mangelhaft ausgedrückt haben, Herr Benthal, wenn ich eine Vorliebe, oder ein Vorurtheil für Amerika an den Tag gelegt hätte. Man hält es für ein Land der menschlichen Vollkommenheiten in Europa und darum macht' ich mich auf, es ken¬ nen zu lernen. Das ist Alles. Ich will es mir ansehen, wie ein Pferd das ich kaufe. Daß ich die Neigung hätte, absichtliche Täu¬ schungen darüber festzuhalten, sollte ich, wie mir dünkt, mit keinem Worte verrathen haben. Es wäre auch entfernt nicht der Fall. Ab¬ gesehen, daß der Einzelne, bei der freundlichsten Absicht mich zu scho¬ nen, den Andrang einer allgemeinen Enttäuschung doch nicht abweh¬ ren könnte von mir. Was Sie eine günstige Meinung nennen, hatte ich über Amerika's Stadtleben eigentlich nie und meinen Glauben an die Urwalds-Poesie möchte ich eben auch nicht zu abstract cultiviren; ein wenig Bilderdienst wird ihn stets unterstützen müssen; warb ich doch so eben um einen lieben Heiligen für meine Waldkapelle! Nein, lesen Sie immer, ich bin wohl der Mann zu hören. Glauben Sie überhaupt nicht, daß die Poesie noch Täuschungen liebt. Die moderne Poesie ist skeptisch. Eine Negation ist uns lieber, als ein Wahn.
Eine Negation ist uns lieber als ein Wahn! wiederholte Ben¬ thal -- ja, dann darf ich lesen, rief er bestimmt, fast freudig. Seine Haltung veränderte sich augenblicklich. Hatte sie so eben noch jene ergebene, rücksichtsvolle Schüchternheit, die Moorfeld bei Mr. Mocking¬ bird an ihm gefunden, so zeigte sie jetzt den mannhaften Aufblitz, die entschiedene unerbittliche Sicherheit, in der ihn Kleindeutschland kannte. Der Mann, von äußeren Lebenslagen in den Schatten gestellt, ging immer im vollsten Lichte wo er auf dem Boden von Ueberzeugungen stand. Im Selbsterrungenen fühlte er sich.
Er holte seine Manuscripten-Mappe. Moorfeld rückte zurecht. Frau v. Milden nahm wieder ihre Arbeit vor; die Mädchen räumten den Theetisch ab. Die Kleine machte ihre Sache flink und zierlich. Sie bot in ihrer Thätigkeit ein Schauspiel voll schicklicher Angewöh¬ nungen; Alles war Applicatur an ihr. Dabei hatte sie nichts von jenen Uebergeschäftigen, die wir die Koketten der Häuslichkeit nennen möchten. Sie huschte hin und wider mit einer dezenten, fast dürften wir sagen, vornehmen Geräuschlosigkeit. Moorfeld beobachtete sie innig
Moorfeld hörte dieſe Erklärung überraſcht, faſt betreten an. Er antwortete: Ich würde mich ſehr mangelhaft ausgedrückt haben, Herr Benthal, wenn ich eine Vorliebe, oder ein Vorurtheil für Amerika an den Tag gelegt hätte. Man hält es für ein Land der menſchlichen Vollkommenheiten in Europa und darum macht' ich mich auf, es ken¬ nen zu lernen. Das iſt Alles. Ich will es mir anſehen, wie ein Pferd das ich kaufe. Daß ich die Neigung hätte, abſichtliche Täu¬ ſchungen darüber feſtzuhalten, ſollte ich, wie mir dünkt, mit keinem Worte verrathen haben. Es wäre auch entfernt nicht der Fall. Ab¬ geſehen, daß der Einzelne, bei der freundlichſten Abſicht mich zu ſcho¬ nen, den Andrang einer allgemeinen Enttäuſchung doch nicht abweh¬ ren könnte von mir. Was Sie eine günſtige Meinung nennen, hatte ich über Amerika's Stadtleben eigentlich nie und meinen Glauben an die Urwalds-Poeſie möchte ich eben auch nicht zu abſtract cultiviren; ein wenig Bilderdienſt wird ihn ſtets unterſtützen müſſen; warb ich doch ſo eben um einen lieben Heiligen für meine Waldkapelle! Nein, leſen Sie immer, ich bin wohl der Mann zu hören. Glauben Sie überhaupt nicht, daß die Poeſie noch Täuſchungen liebt. Die moderne Poeſie iſt ſkeptiſch. Eine Negation iſt uns lieber, als ein Wahn.
Eine Negation iſt uns lieber als ein Wahn! wiederholte Ben¬ thal — ja, dann darf ich leſen, rief er beſtimmt, faſt freudig. Seine Haltung veränderte ſich augenblicklich. Hatte ſie ſo eben noch jene ergebene, rückſichtsvolle Schüchternheit, die Moorfeld bei Mr. Mocking¬ bird an ihm gefunden, ſo zeigte ſie jetzt den mannhaften Aufblitz, die entſchiedene unerbittliche Sicherheit, in der ihn Kleindeutſchland kannte. Der Mann, von äußeren Lebenslagen in den Schatten geſtellt, ging immer im vollſten Lichte wo er auf dem Boden von Ueberzeugungen ſtand. Im Selbſterrungenen fühlte er ſich.
Er holte ſeine Manuſcripten-Mappe. Moorfeld rückte zurecht. Frau v. Milden nahm wieder ihre Arbeit vor; die Mädchen räumten den Theetiſch ab. Die Kleine machte ihre Sache flink und zierlich. Sie bot in ihrer Thätigkeit ein Schauſpiel voll ſchicklicher Angewöh¬ nungen; Alles war Applicatur an ihr. Dabei hatte ſie nichts von jenen Uebergeſchäftigen, die wir die Koketten der Häuslichkeit nennen möchten. Sie huſchte hin und wider mit einer dezenten, faſt dürften wir ſagen, vornehmen Geräuſchloſigkeit. Moorfeld beobachtete ſie innig
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Moorfeld hörte dieſe Erklärung überraſcht, faſt betreten an. Er
antwortete: Ich würde mich ſehr mangelhaft ausgedrückt haben, Herr
Benthal, wenn ich eine Vorliebe, oder ein Vorurtheil für Amerika an
den Tag gelegt hätte. Man hält es für ein Land der menſchlichen
Vollkommenheiten in Europa und darum macht' ich mich auf, es ken¬
nen zu lernen. Das iſt Alles. Ich will es mir anſehen, wie ein
Pferd das ich kaufe. Daß ich die Neigung hätte, abſichtliche Täu¬
ſchungen darüber feſtzuhalten, ſollte ich, wie mir dünkt, mit keinem
Worte verrathen haben. Es wäre auch entfernt nicht der Fall. Ab¬
geſehen, daß der Einzelne, bei der freundlichſten Abſicht mich zu ſcho¬
nen, den Andrang einer allgemeinen Enttäuſchung doch nicht abweh¬
ren könnte von mir. Was Sie eine günſtige Meinung nennen, hatte
ich über Amerika's Stadtleben eigentlich nie und meinen Glauben an
die Urwalds-Poeſie möchte ich eben auch nicht zu abſtract cultiviren;
ein wenig Bilderdienſt wird ihn ſtets unterſtützen müſſen; warb ich
doch ſo eben um einen lieben Heiligen für meine Waldkapelle! Nein,
leſen Sie immer, ich bin wohl der Mann zu hören. Glauben Sie
überhaupt nicht, daß die Poeſie noch Täuſchungen liebt. Die moderne
Poeſie iſt ſkeptiſch. Eine Negation iſt uns lieber, als ein Wahn.
Eine Negation iſt uns lieber als ein Wahn! wiederholte Ben¬
thal — ja, dann darf ich leſen, rief er beſtimmt, faſt freudig. Seine
Haltung veränderte ſich augenblicklich. Hatte ſie ſo eben noch jene
ergebene, rückſichtsvolle Schüchternheit, die Moorfeld bei Mr. Mocking¬
bird an ihm gefunden, ſo zeigte ſie jetzt den mannhaften Aufblitz, die
entſchiedene unerbittliche Sicherheit, in der ihn Kleindeutſchland kannte.
Der Mann, von äußeren Lebenslagen in den Schatten geſtellt, ging
immer im vollſten Lichte wo er auf dem Boden von Ueberzeugungen
ſtand. Im Selbſterrungenen fühlte er ſich.
Er holte ſeine Manuſcripten-Mappe. Moorfeld rückte zurecht.
Frau v. Milden nahm wieder ihre Arbeit vor; die Mädchen räumten
den Theetiſch ab. Die Kleine machte ihre Sache flink und zierlich.
Sie bot in ihrer Thätigkeit ein Schauſpiel voll ſchicklicher Angewöh¬
nungen; Alles war Applicatur an ihr. Dabei hatte ſie nichts von
jenen Uebergeſchäftigen, die wir die Koketten der Häuslichkeit nennen
möchten. Sie huſchte hin und wider mit einer dezenten, faſt dürften
wir ſagen, vornehmen Geräuſchloſigkeit. Moorfeld beobachtete ſie innig
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Kürnberger, Ferdinand: Der Amerika-Müde. Frankfurt (Main), 1855, S. 165. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kuernberger_amerikamuede_1855/183>, abgerufen am 24.11.2024.
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