Gebildeten zu sich herab, wie sich denn schon mehr als Eine Legislatur genöthigt gesehen hat, Vermächtnisse ihrer freien Bürger umzustoßen und Fonds, für Universitäten bestimmt, niederen Schulen zuzuwenden. Sagen die Workies doch ausdrücklich, und wir zweifeln, ob es blos in der Blume gemeint ist, es verrathe eine schlechte Volkswirthschaft, wenn die Einen sich in Champagner baden, indeß die andern schänd¬ liches Wasser trinken. Das öffentliche Vermögen müsse offenbar so vertheilt sein, daß Jeder Brandy haben könne. So umschreibt sich die Theorie von "demselben Bildungsgrad" in der Praxis. Derselbe Bildungsgrad wird, das ist klar, durch Degradation eben so gut er¬ reicht, wie durch Avancement.
Diese Logik haben denn auch die Reichen bewunderungswürdig schnell begriffen. Sie kommen den Workies durch ihren Cynismus entgegen. Zwar wählen sie Lichtzieher noch nicht in's Repräsentanten¬ haus, aber Repräsentanten haben sich doch schon beohrfeigt und ange¬ spieen wie Lichtzieher. Das ist immer auch anzuerkennen. Und als Präsident Jefferson am Abende seines Lebens gefragt wurde, welche Staatsbeamten ein erfahrener Politiker für die tauglichsten halten würde, antwortete er: solche, die sich nicht betrinken. So hört man auch in den alten Staaten bejahrte Notabilitäten darüber klagen, daß sie nur noch von den englischen Traditionen zehren und das Grab der Bildung sich täglich erweitere. Zur Colonialzeit hätten ärmere Bür¬ ger mehr Cultur besessen, als jetzt die reichsten. Der Fremde geht noch weiter. Nicht nur der Abgang der Bildung ist's, sondern ge¬ radezu die Verachtung derselben, ihre offene Prostituirung, die ihn hier so schneidend verletzt.
Moorfeld blickte auf.
Hat nun der Einwanderer -- fuhr die Lectüre fort -- zum ersten Gruß ein solches Workies-Plakat gelesen, so ist das denkende Wesen in ihm aufgefordert und er reflectirt den Zuständen des Landes weiter nach. Die Thatsache eines amerikanischen Socialismus ist so zerstörend in das Gewebe seiner Rosenträume gefahren, daß er jetzt erst mit wachen Augen um sich blickt. Und wie an dem Sommerhimmel New-Orleans ein Gewitter von allen Seiten zugleich aufsteigt, so schwärzt sich ihm jetzt der Ho¬ rizont der Union an mehr als einer Stelle von drohenden Zukunfts- Gesichten. Aber noch kann er die Workies selbst nicht vergessen.
Gebildeten zu ſich herab, wie ſich denn ſchon mehr als Eine Legislatur genöthigt geſehen hat, Vermächtniſſe ihrer freien Bürger umzuſtoßen und Fonds, für Univerſitäten beſtimmt, niederen Schulen zuzuwenden. Sagen die Workies doch ausdrücklich, und wir zweifeln, ob es blos in der Blume gemeint iſt, es verrathe eine ſchlechte Volkswirthſchaft, wenn die Einen ſich in Champagner baden, indeß die andern ſchänd¬ liches Waſſer trinken. Das öffentliche Vermögen müſſe offenbar ſo vertheilt ſein, daß Jeder Brandy haben könne. So umſchreibt ſich die Theorie von „demſelben Bildungsgrad“ in der Praxis. Derſelbe Bildungsgrad wird, das iſt klar, durch Degradation eben ſo gut er¬ reicht, wie durch Avancement.
Dieſe Logik haben denn auch die Reichen bewunderungswürdig ſchnell begriffen. Sie kommen den Workies durch ihren Cynismus entgegen. Zwar wählen ſie Lichtzieher noch nicht in's Repräſentanten¬ haus, aber Repräſentanten haben ſich doch ſchon beohrfeigt und ange¬ ſpieen wie Lichtzieher. Das iſt immer auch anzuerkennen. Und als Präſident Jefferſon am Abende ſeines Lebens gefragt wurde, welche Staatsbeamten ein erfahrener Politiker für die tauglichſten halten würde, antwortete er: ſolche, die ſich nicht betrinken. So hört man auch in den alten Staaten bejahrte Notabilitäten darüber klagen, daß ſie nur noch von den engliſchen Traditionen zehren und das Grab der Bildung ſich täglich erweitere. Zur Colonialzeit hätten ärmere Bür¬ ger mehr Cultur beſeſſen, als jetzt die reichſten. Der Fremde geht noch weiter. Nicht nur der Abgang der Bildung iſt's, ſondern ge¬ radezu die Verachtung derſelben, ihre offene Proſtituirung, die ihn hier ſo ſchneidend verletzt.
Moorfeld blickte auf.
Hat nun der Einwanderer — fuhr die Lectüre fort — zum erſten Gruß ein ſolches Workies-Plakat geleſen, ſo iſt das denkende Weſen in ihm aufgefordert und er reflectirt den Zuſtänden des Landes weiter nach. Die Thatſache eines amerikaniſchen Socialismus iſt ſo zerſtörend in das Gewebe ſeiner Roſenträume gefahren, daß er jetzt erſt mit wachen Augen um ſich blickt. Und wie an dem Sommerhimmel New-Orleans ein Gewitter von allen Seiten zugleich aufſteigt, ſo ſchwärzt ſich ihm jetzt der Ho¬ rizont der Union an mehr als einer Stelle von drohenden Zukunfts- Geſichten. Aber noch kann er die Workies ſelbſt nicht vergeſſen.
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[168/0186]
Gebildeten zu ſich herab, wie ſich denn ſchon mehr als Eine Legislatur
genöthigt geſehen hat, Vermächtniſſe ihrer freien Bürger umzuſtoßen
und Fonds, für Univerſitäten beſtimmt, niederen Schulen zuzuwenden.
Sagen die Workies doch ausdrücklich, und wir zweifeln, ob es blos
in der Blume gemeint iſt, es verrathe eine ſchlechte Volkswirthſchaft,
wenn die Einen ſich in Champagner baden, indeß die andern ſchänd¬
liches Waſſer trinken. Das öffentliche Vermögen müſſe offenbar ſo
vertheilt ſein, daß Jeder Brandy haben könne. So umſchreibt ſich
die Theorie von „demſelben Bildungsgrad“ in der Praxis. Derſelbe
Bildungsgrad wird, das iſt klar, durch Degradation eben ſo gut er¬
reicht, wie durch Avancement.
Dieſe Logik haben denn auch die Reichen bewunderungswürdig
ſchnell begriffen. Sie kommen den Workies durch ihren Cynismus
entgegen. Zwar wählen ſie Lichtzieher noch nicht in's Repräſentanten¬
haus, aber Repräſentanten haben ſich doch ſchon beohrfeigt und ange¬
ſpieen wie Lichtzieher. Das iſt immer auch anzuerkennen. Und
als Präſident Jefferſon am Abende ſeines Lebens gefragt wurde, welche
Staatsbeamten ein erfahrener Politiker für die tauglichſten halten
würde, antwortete er: ſolche, die ſich nicht betrinken. So hört man
auch in den alten Staaten bejahrte Notabilitäten darüber klagen, daß
ſie nur noch von den engliſchen Traditionen zehren und das Grab der
Bildung ſich täglich erweitere. Zur Colonialzeit hätten ärmere Bür¬
ger mehr Cultur beſeſſen, als jetzt die reichſten. Der Fremde geht
noch weiter. Nicht nur der Abgang der Bildung iſt's, ſondern ge¬
radezu die Verachtung derſelben, ihre offene Proſtituirung, die ihn
hier ſo ſchneidend verletzt.
Moorfeld blickte auf.
Hat nun der Einwanderer — fuhr die Lectüre fort — zum erſten Gruß
ein ſolches Workies-Plakat geleſen, ſo iſt das denkende Weſen in ihm
aufgefordert und er reflectirt den Zuſtänden des Landes weiter nach. Die
Thatſache eines amerikaniſchen Socialismus iſt ſo zerſtörend in das Gewebe
ſeiner Roſenträume gefahren, daß er jetzt erſt mit wachen Augen um ſich
blickt. Und wie an dem Sommerhimmel New-Orleans ein Gewitter
von allen Seiten zugleich aufſteigt, ſo ſchwärzt ſich ihm jetzt der Ho¬
rizont der Union an mehr als einer Stelle von drohenden Zukunfts-
Geſichten. Aber noch kann er die Workies ſelbſt nicht vergeſſen.
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Kürnberger, Ferdinand: Der Amerika-Müde. Frankfurt (Main), 1855, S. 168. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kuernberger_amerikamuede_1855/186>, abgerufen am 24.11.2024.
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