der Haltung, womit er in seinen besten Tagen die Menschen wie Wachs bewältigte, sagt er mir unter die Augen: Wenn meine Tochter in diesem Augenblick so herumgeschleift würde, so möchte ich sie lieber todt wissen. Ich wollte Amerika beherrschen, aber nicht zerrütten, Mr. Bennet. Ich danke von heut an für Ihre Gastfreundschaft. -- Wenn Sie ein graues Haar auf meinem leidlich schwarzen Kopf finden, so bekam ich's jene Nacht. Colonel Burr, der sich gegen einen Walzer empört! Lange wälzt' ich mich schlaflos auf meinem Lager, und sann darüber nach, wo der Gränzstein der menschlichen Natur stehe. War ich wirklich der Felddieb, der ihn verrückt hatte, und mor¬ gen vor ganz Amerika die Stäupe dafür bekommen sollte? Es war eine Hölle, das zu fragen und die Antwort darauf abzuwarten wie ein wehrloses Schlachtopfer. Gegen Morgen endlich hatt' ich einen gescheidten Einfall. Ich sprang auf, nahm hundert Dollar, wickelte sie in ein Papier und adressirte sie an eine unsrer ersten Redactionen, daß sie das Tagesereigniß freundlich bespreche. Darauf wurde ich ruhiger und schlief ein paar Stunden in den hohen Tag hinein. Als ich aufwachte lag die gedruckte Zeitung schon auf meinem Toiletten¬ tisch. Meine Apologie strahlte heller darin, als die frische Morgen¬ sonne. Der Mob machte Chorus dazu, und ich war gerettet. Das ist die Geschichte des ersten Walzers in Amerika.
"We are in a free country!" murmelte Moorfeld erschüttert.
Bennet, dem das Wort "frei" an's Ohr klang, bezog es anders und jubelte auf: Es lebe die freie Presse! ja ja, mein Herr, das ist die Perle unsers aufgeklärten und glücklichen Landes. Die Knechtung der Presse ist ein vortreffliches Mittel der Freiheit; denn das Publi¬ kum bildet sich in diesem Falle sein eigenes Urtheil; aber die freie Presse ist ein köstliches Werkzeug der Tirannei, -- der Mob vertraut ihr und betet ihr blind nach. Das Mittel mit dem Walzer schlug mir noch öfter an. Ich muß immer ein sardonisches Lächeln bekämpfen, wenn mich die Leute fragen, was meine Apollino, meine Ariadne und dgl. gekostet hat. Ich weiß wohl, wem ich diese göttlichen Nackt¬ heiten am theuersten bezahlt habe. Es lebe die freie Presse!
Moorfeld zuckte zusammen. Er stierte mit einem todten Blicke vor sich hin. Was haben Sie? fragte Bennet, Anlage zur Melan¬ cholie? Hang, die Sachen von ihrer schwarzen Seite zu nehmen? Auf,
der Haltung, womit er in ſeinen beſten Tagen die Menſchen wie Wachs bewältigte, ſagt er mir unter die Augen: Wenn meine Tochter in dieſem Augenblick ſo herumgeſchleift würde, ſo möchte ich ſie lieber todt wiſſen. Ich wollte Amerika beherrſchen, aber nicht zerrütten, Mr. Bennet. Ich danke von heut an für Ihre Gaſtfreundſchaft. — Wenn Sie ein graues Haar auf meinem leidlich ſchwarzen Kopf finden, ſo bekam ich's jene Nacht. Colonel Burr, der ſich gegen einen Walzer empört! Lange wälzt' ich mich ſchlaflos auf meinem Lager, und ſann darüber nach, wo der Gränzſtein der menſchlichen Natur ſtehe. War ich wirklich der Felddieb, der ihn verrückt hatte, und mor¬ gen vor ganz Amerika die Stäupe dafür bekommen ſollte? Es war eine Hölle, das zu fragen und die Antwort darauf abzuwarten wie ein wehrloſes Schlachtopfer. Gegen Morgen endlich hatt' ich einen geſcheidten Einfall. Ich ſprang auf, nahm hundert Dollar, wickelte ſie in ein Papier und adreſſirte ſie an eine unſrer erſten Redactionen, daß ſie das Tagesereigniß freundlich beſpreche. Darauf wurde ich ruhiger und ſchlief ein paar Stunden in den hohen Tag hinein. Als ich aufwachte lag die gedruckte Zeitung ſchon auf meinem Toiletten¬ tiſch. Meine Apologie ſtrahlte heller darin, als die friſche Morgen¬ ſonne. Der Mob machte Chorus dazu, und ich war gerettet. Das iſt die Geſchichte des erſten Walzers in Amerika.
„We are in a free country!“ murmelte Moorfeld erſchüttert.
Bennet, dem das Wort „frei“ an's Ohr klang, bezog es anders und jubelte auf: Es lebe die freie Preſſe! ja ja, mein Herr, das iſt die Perle unſers aufgeklärten und glücklichen Landes. Die Knechtung der Preſſe iſt ein vortreffliches Mittel der Freiheit; denn das Publi¬ kum bildet ſich in dieſem Falle ſein eigenes Urtheil; aber die freie Preſſe iſt ein köſtliches Werkzeug der Tirannei, — der Mob vertraut ihr und betet ihr blind nach. Das Mittel mit dem Walzer ſchlug mir noch öfter an. Ich muß immer ein ſardoniſches Lächeln bekämpfen, wenn mich die Leute fragen, was meine Apollino, meine Ariadne und dgl. gekoſtet hat. Ich weiß wohl, wem ich dieſe göttlichen Nackt¬ heiten am theuerſten bezahlt habe. Es lebe die freie Preſſe!
Moorfeld zuckte zuſammen. Er ſtierte mit einem todten Blicke vor ſich hin. Was haben Sie? fragte Bennet, Anlage zur Melan¬ cholie? Hang, die Sachen von ihrer ſchwarzen Seite zu nehmen? Auf,
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der Haltung, womit er in ſeinen beſten Tagen die Menſchen wie Wachs
bewältigte, ſagt er mir unter die Augen: Wenn meine Tochter in
dieſem Augenblick ſo herumgeſchleift würde, ſo möchte ich ſie lieber
todt wiſſen. Ich wollte Amerika beherrſchen, aber nicht zerrütten,
Mr. Bennet. Ich danke von heut an für Ihre Gaſtfreundſchaft. —
Wenn Sie ein graues Haar auf meinem leidlich ſchwarzen Kopf
finden, ſo bekam ich's jene Nacht. Colonel Burr, der ſich gegen einen
Walzer empört! Lange wälzt' ich mich ſchlaflos auf meinem Lager,
und ſann darüber nach, wo der Gränzſtein der menſchlichen Natur
ſtehe. War ich wirklich der Felddieb, der ihn verrückt hatte, und mor¬
gen vor ganz Amerika die Stäupe dafür bekommen ſollte? Es war
eine Hölle, das zu fragen und die Antwort darauf abzuwarten wie
ein wehrloſes Schlachtopfer. Gegen Morgen endlich hatt' ich einen
geſcheidten Einfall. Ich ſprang auf, nahm hundert Dollar, wickelte
ſie in ein Papier und adreſſirte ſie an eine unſrer erſten Redactionen,
daß ſie das Tagesereigniß freundlich beſpreche. Darauf wurde ich
ruhiger und ſchlief ein paar Stunden in den hohen Tag hinein. Als
ich aufwachte lag die gedruckte Zeitung ſchon auf meinem Toiletten¬
tiſch. Meine Apologie ſtrahlte heller darin, als die friſche Morgen¬
ſonne. Der Mob machte Chorus dazu, und ich war gerettet. Das
iſt die Geſchichte des erſten Walzers in Amerika.
„We are in a free country!“ murmelte Moorfeld erſchüttert.
Bennet, dem das Wort „frei“ an's Ohr klang, bezog es anders
und jubelte auf: Es lebe die freie Preſſe! ja ja, mein Herr, das iſt
die Perle unſers aufgeklärten und glücklichen Landes. Die Knechtung
der Preſſe iſt ein vortreffliches Mittel der Freiheit; denn das Publi¬
kum bildet ſich in dieſem Falle ſein eigenes Urtheil; aber die freie
Preſſe iſt ein köſtliches Werkzeug der Tirannei, — der Mob vertraut
ihr und betet ihr blind nach. Das Mittel mit dem Walzer ſchlug
mir noch öfter an. Ich muß immer ein ſardoniſches Lächeln bekämpfen,
wenn mich die Leute fragen, was meine Apollino, meine Ariadne und
dgl. gekoſtet hat. Ich weiß wohl, wem ich dieſe göttlichen Nackt¬
heiten am theuerſten bezahlt habe. Es lebe die freie Preſſe!
Moorfeld zuckte zuſammen. Er ſtierte mit einem todten Blicke
vor ſich hin. Was haben Sie? fragte Bennet, Anlage zur Melan¬
cholie? Hang, die Sachen von ihrer ſchwarzen Seite zu nehmen? Auf,
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Kürnberger, Ferdinand: Der Amerika-Müde. Frankfurt (Main), 1855, S. 190. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kuernberger_amerikamuede_1855/208>, abgerufen am 24.11.2024.
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