Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Kürnberger, Ferdinand: Der Amerika-Müde. Frankfurt (Main), 1855.

Bild:
<< vorherige Seite

merkwürdig beschrieben ist. Hätten wir diesen Gorilla-Halbmenschen,
diesen Einen ausgebrochenen Zahn in dem Uhrwerke der lebendigen
Schöpfung, so würden wir wohl für immer aufhören, die Natur in
eine thierische und menschliche zu zerreißen, d. h. wir würden anfangen,
das Thier zum Menschen zu erziehen. Bis dahin, meine Herren, --
und so demonstrirte der britische Philosoph weiter. Wir wiederholen
im Salon nicht mehr was wir schon auf dem Wege dahin zu bewun¬
dern Gelegenheit hatten. Zu bedauern fand es Moorfeld nur, daß
es sich auch hier wiederholte. Nach der tief-ernsten Stimmung, welche
der vorige Gegenstand angeregt, war diese Farce doch recht unpassend
an ihrem Platze. Sie wirkte nicht komisch, sie war nur widerwärtig.

Noch mehr.

Eine Bewegung im Saale erweckte Moorfeld's Aufmerksamkeit.
Drei Damen hatten einen Gang durch die Gesellschaftszimmer ge¬
macht -- ihr Bild traf Moorfeld's Auge nur noch wie ein Streiflicht. Die
mittlere der drei Frauen war Mrs. Bennet, die Hausfrau; aber Moorfeld
verwunderte sich, daß auch eine der beiden andern, ein blonder Mädchen¬
kopf, ihm nicht unbekannt schien. Wie ein Strahl blitzte es auf in
ihm, wie aus einem Traume fuhr er empor, er riß sich von dem
Engländer los, er staunte, er drängte der Erscheinung nach, welche
mit den reizenden Bewegungen eines jugendlichen Körpers am Arme
der älteren Dame und unter dem Andrang allseitiger Huldigungen
sich durch die Wogen der Gesellschaft wand. Er kam zu spät. Der
Engländer hatte im Eifer seiner Dissertation ihn wie mit Greifscheeren
fest gehalten. Ja, zu seinem Verdrusse glaubte Moorfeld sogar zu
bemerken, daß das Blondköpfchen die Zuhörergruppe des verrückten
Lords mit einem fein-satyrischen Lächeln auf den Lippen vorüber¬
gewandelt.

Das Ganze war das Werk eines Augenblicks.

Diese Episode riß unsern Freund aus allem Zusammenhang mit
dem Rout. Er stand eine Weile lang in jener tiefsten Vereinsamung,
welche mit Unrecht Geistesabwesenheit heißt. Sein Geist war von der
Außenwelt abwesend, wie es ein Taucher von der Erde ist. Er ver¬
senkte sich in ein Element, worin keine Gesellschaft möglich ist. Die
Damen verschwanden mehr und mehr in die Tiefe der Säle hinab und

merkwürdig beſchrieben iſt. Hätten wir dieſen Gorilla-Halbmenſchen,
dieſen Einen ausgebrochenen Zahn in dem Uhrwerke der lebendigen
Schöpfung, ſo würden wir wohl für immer aufhören, die Natur in
eine thieriſche und menſchliche zu zerreißen, d. h. wir würden anfangen,
das Thier zum Menſchen zu erziehen. Bis dahin, meine Herren, —
und ſo demonſtrirte der britiſche Philoſoph weiter. Wir wiederholen
im Salon nicht mehr was wir ſchon auf dem Wege dahin zu bewun¬
dern Gelegenheit hatten. Zu bedauern fand es Moorfeld nur, daß
es ſich auch hier wiederholte. Nach der tief-ernſten Stimmung, welche
der vorige Gegenſtand angeregt, war dieſe Farce doch recht unpaſſend
an ihrem Platze. Sie wirkte nicht komiſch, ſie war nur widerwärtig.

Noch mehr.

Eine Bewegung im Saale erweckte Moorfeld's Aufmerkſamkeit.
Drei Damen hatten einen Gang durch die Geſellſchaftszimmer ge¬
macht — ihr Bild traf Moorfeld's Auge nur noch wie ein Streiflicht. Die
mittlere der drei Frauen war Mrs. Bennet, die Hausfrau; aber Moorfeld
verwunderte ſich, daß auch eine der beiden andern, ein blonder Mädchen¬
kopf, ihm nicht unbekannt ſchien. Wie ein Strahl blitzte es auf in
ihm, wie aus einem Traume fuhr er empor, er riß ſich von dem
Engländer los, er ſtaunte, er drängte der Erſcheinung nach, welche
mit den reizenden Bewegungen eines jugendlichen Körpers am Arme
der älteren Dame und unter dem Andrang allſeitiger Huldigungen
ſich durch die Wogen der Geſellſchaft wand. Er kam zu ſpät. Der
Engländer hatte im Eifer ſeiner Diſſertation ihn wie mit Greifſcheeren
feſt gehalten. Ja, zu ſeinem Verdruſſe glaubte Moorfeld ſogar zu
bemerken, daß das Blondköpfchen die Zuhörergruppe des verrückten
Lords mit einem fein-ſatyriſchen Lächeln auf den Lippen vorüber¬
gewandelt.

Das Ganze war das Werk eines Augenblicks.

Dieſe Epiſode riß unſern Freund aus allem Zuſammenhang mit
dem Rout. Er ſtand eine Weile lang in jener tiefſten Vereinſamung,
welche mit Unrecht Geiſtesabweſenheit heißt. Sein Geiſt war von der
Außenwelt abweſend, wie es ein Taucher von der Erde iſt. Er ver¬
ſenkte ſich in ein Element, worin keine Geſellſchaft möglich iſt. Die
Damen verſchwanden mehr und mehr in die Tiefe der Säle hinab und

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0228" n="210"/>
merkwürdig be&#x017F;chrieben i&#x017F;t. Hätten wir die&#x017F;en Gorilla-Halbmen&#x017F;chen,<lb/>
die&#x017F;en Einen ausgebrochenen Zahn in dem Uhrwerke der lebendigen<lb/>
Schöpfung, &#x017F;o würden wir wohl für immer aufhören, die Natur in<lb/>
eine thieri&#x017F;che und men&#x017F;chliche zu zerreißen, d. h. wir würden anfangen,<lb/>
das Thier zum Men&#x017F;chen zu erziehen. Bis dahin, meine Herren, &#x2014;<lb/>
und &#x017F;o demon&#x017F;trirte der briti&#x017F;che Philo&#x017F;oph weiter. Wir wiederholen<lb/>
im Salon nicht mehr was wir &#x017F;chon auf dem Wege dahin zu bewun¬<lb/>
dern Gelegenheit hatten. Zu bedauern fand es Moorfeld nur, daß<lb/>
es &#x017F;ich auch hier wiederholte. Nach der tief-ern&#x017F;ten Stimmung, welche<lb/>
der vorige Gegen&#x017F;tand angeregt, war die&#x017F;e Farce doch recht unpa&#x017F;&#x017F;end<lb/>
an ihrem Platze. Sie wirkte nicht komi&#x017F;ch, &#x017F;ie war nur widerwärtig.</p><lb/>
          <p>Noch mehr.</p><lb/>
          <p>Eine Bewegung im Saale erweckte Moorfeld's Aufmerk&#x017F;amkeit.<lb/>
Drei Damen hatten einen Gang durch die Ge&#x017F;ell&#x017F;chaftszimmer ge¬<lb/>
macht &#x2014; ihr Bild traf Moorfeld's Auge nur noch wie ein Streiflicht. Die<lb/>
mittlere der drei Frauen war Mrs. Bennet, die Hausfrau; aber Moorfeld<lb/>
verwunderte &#x017F;ich, daß auch eine der beiden andern, ein blonder Mädchen¬<lb/>
kopf, ihm nicht unbekannt &#x017F;chien. Wie ein Strahl blitzte es auf in<lb/>
ihm, wie aus einem Traume fuhr er empor, er riß &#x017F;ich von dem<lb/>
Engländer los, er &#x017F;taunte, er drängte der Er&#x017F;cheinung nach, welche<lb/>
mit den reizenden Bewegungen eines jugendlichen Körpers am Arme<lb/>
der älteren Dame und unter dem Andrang all&#x017F;eitiger Huldigungen<lb/>
&#x017F;ich durch die Wogen der Ge&#x017F;ell&#x017F;chaft wand. Er kam zu &#x017F;pät. Der<lb/>
Engländer hatte im Eifer &#x017F;einer Di&#x017F;&#x017F;ertation ihn wie mit Greif&#x017F;cheeren<lb/>
fe&#x017F;t gehalten. Ja, zu &#x017F;einem Verdru&#x017F;&#x017F;e glaubte Moorfeld &#x017F;ogar zu<lb/>
bemerken, daß das Blondköpfchen die Zuhörergruppe des verrückten<lb/>
Lords mit einem fein-&#x017F;atyri&#x017F;chen Lächeln auf den Lippen vorüber¬<lb/>
gewandelt.</p><lb/>
          <p>Das Ganze war das Werk eines Augenblicks.</p><lb/>
          <p>Die&#x017F;e Epi&#x017F;ode riß un&#x017F;ern Freund aus allem Zu&#x017F;ammenhang mit<lb/>
dem Rout. Er &#x017F;tand eine Weile lang in jener tief&#x017F;ten Verein&#x017F;amung,<lb/>
welche mit Unrecht Gei&#x017F;tesabwe&#x017F;enheit heißt. Sein Gei&#x017F;t war von der<lb/>
Außenwelt abwe&#x017F;end, wie es ein Taucher von der Erde i&#x017F;t. Er ver¬<lb/>
&#x017F;enkte &#x017F;ich in ein Element, worin keine Ge&#x017F;ell&#x017F;chaft möglich i&#x017F;t. Die<lb/>
Damen ver&#x017F;chwanden mehr und mehr in die Tiefe der Säle hinab und<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[210/0228] merkwürdig beſchrieben iſt. Hätten wir dieſen Gorilla-Halbmenſchen, dieſen Einen ausgebrochenen Zahn in dem Uhrwerke der lebendigen Schöpfung, ſo würden wir wohl für immer aufhören, die Natur in eine thieriſche und menſchliche zu zerreißen, d. h. wir würden anfangen, das Thier zum Menſchen zu erziehen. Bis dahin, meine Herren, — und ſo demonſtrirte der britiſche Philoſoph weiter. Wir wiederholen im Salon nicht mehr was wir ſchon auf dem Wege dahin zu bewun¬ dern Gelegenheit hatten. Zu bedauern fand es Moorfeld nur, daß es ſich auch hier wiederholte. Nach der tief-ernſten Stimmung, welche der vorige Gegenſtand angeregt, war dieſe Farce doch recht unpaſſend an ihrem Platze. Sie wirkte nicht komiſch, ſie war nur widerwärtig. Noch mehr. Eine Bewegung im Saale erweckte Moorfeld's Aufmerkſamkeit. Drei Damen hatten einen Gang durch die Geſellſchaftszimmer ge¬ macht — ihr Bild traf Moorfeld's Auge nur noch wie ein Streiflicht. Die mittlere der drei Frauen war Mrs. Bennet, die Hausfrau; aber Moorfeld verwunderte ſich, daß auch eine der beiden andern, ein blonder Mädchen¬ kopf, ihm nicht unbekannt ſchien. Wie ein Strahl blitzte es auf in ihm, wie aus einem Traume fuhr er empor, er riß ſich von dem Engländer los, er ſtaunte, er drängte der Erſcheinung nach, welche mit den reizenden Bewegungen eines jugendlichen Körpers am Arme der älteren Dame und unter dem Andrang allſeitiger Huldigungen ſich durch die Wogen der Geſellſchaft wand. Er kam zu ſpät. Der Engländer hatte im Eifer ſeiner Diſſertation ihn wie mit Greifſcheeren feſt gehalten. Ja, zu ſeinem Verdruſſe glaubte Moorfeld ſogar zu bemerken, daß das Blondköpfchen die Zuhörergruppe des verrückten Lords mit einem fein-ſatyriſchen Lächeln auf den Lippen vorüber¬ gewandelt. Das Ganze war das Werk eines Augenblicks. Dieſe Epiſode riß unſern Freund aus allem Zuſammenhang mit dem Rout. Er ſtand eine Weile lang in jener tiefſten Vereinſamung, welche mit Unrecht Geiſtesabweſenheit heißt. Sein Geiſt war von der Außenwelt abweſend, wie es ein Taucher von der Erde iſt. Er ver¬ ſenkte ſich in ein Element, worin keine Geſellſchaft möglich iſt. Die Damen verſchwanden mehr und mehr in die Tiefe der Säle hinab und

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/kuernberger_amerikamuede_1855
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/kuernberger_amerikamuede_1855/228
Zitationshilfe: Kürnberger, Ferdinand: Der Amerika-Müde. Frankfurt (Main), 1855, S. 210. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kuernberger_amerikamuede_1855/228>, abgerufen am 21.11.2024.