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Kürnberger, Ferdinand: Der Amerika-Müde. Frankfurt (Main), 1855.

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Brut dünkt ihm das Auswandererschiff -- wer wird aufwärts dringen
in den blauen, liederreichen Aether; wer wird niederstürzen in den
Busch, in die Tatze des lauernden Wildes? Das Ankerwerfen ist ei¬
ner jener Momente, wo man die Geisterhand deutlicher zu sehen glaubt,
die das Menschenschicksal webt. Auch bei der rosigsten Aussicht flirrt
Gespensterfurcht wie ein schwarzer Faden durch's Auge.

Im Getümmel des Landens, des Ausschiffens, in einem Babel
amerikanischer Namen und Adressen, die jetzt von allen Lippen durch¬
einander schwirren, verlieren wir den Freund, der zuerst unsre Auf¬
merksamkeit erregt, nicht aus dem Auge. Schlägt er doch auffallend
genug seinen Weg ein! Während Alles um ihn her den Hotels und
Agenturen zuströmt, lenkt dieser Ankömmling, nach einem minuten¬
langen Aufenthalte im Zollhause, seine Schritte auf die Battery, auf
Newyorks Promenade.

Das weltberühmte Südende Newyorks, die Battery, war im
Jahre 1832 noch nicht wie heute mit einem überhandnehmenden An¬
bau von Matrosenschenken und Auswandererherbergen behaftet. Die
vornehmste Atmosphäre der Manhattanstadt wehte damals auf dieser
reizenden Landspitze. Ihre Rasenteppiche, ihre Schattengänge von
Linden und Pappeln athmeten den Geist einer erhabenen Idylle. Im
Angesichte der unermeßlichen Bai, am Mündungspunkte des breiten
Nord- und Oststromes, in einer Lage, die vielleicht mit dem "goldenen
Horn" um die Palme ringen kann, genoß sie der großartigsten Schau
des Seeverkehrs und war doch nicht berührt von ihm. Er defilirte
gleichsam in Parade an ihr vorbei, zum gemeinen Dienste schwenkte
er rechts ab an den Kai des Ostflusses, damals seinem wichtigen Empo¬
rium. Auf der Battery schlürfte Newyork nur den Duft seiner Seemacht.

Diese Avenüe hat unsern Freund schon am Bord seines Schiffes
bezaubert; hier wandelt er jetzt im Grün und Laubschatten, -- ein
letztes intimes Stelldichein der reinen Gemüthskräfte gegenüber den
handelnden. An der Pforte einer Hemisphäre, am Fußgestelle riesen¬
hafter Wirklichkeiten will er noch einmal eine Stunde der Muße feiern
und seine ganze Innerlichkeit in ein großes Gegengewicht zusammen¬
fassen, als scheute er mit dem ahnungsreichen Helden der Tragödie,
daß ihn der Zufall
Blind herrschend mit sich führe!

Brut dünkt ihm das Auswandererſchiff — wer wird aufwärts dringen
in den blauen, liederreichen Aether; wer wird niederſtürzen in den
Buſch, in die Tatze des lauernden Wildes? Das Ankerwerfen iſt ei¬
ner jener Momente, wo man die Geiſterhand deutlicher zu ſehen glaubt,
die das Menſchenſchickſal webt. Auch bei der roſigſten Ausſicht flirrt
Geſpenſterfurcht wie ein ſchwarzer Faden durch's Auge.

Im Getümmel des Landens, des Ausſchiffens, in einem Babel
amerikaniſcher Namen und Adreſſen, die jetzt von allen Lippen durch¬
einander ſchwirren, verlieren wir den Freund, der zuerſt unſre Auf¬
merkſamkeit erregt, nicht aus dem Auge. Schlägt er doch auffallend
genug ſeinen Weg ein! Während Alles um ihn her den Hotels und
Agenturen zuſtrömt, lenkt dieſer Ankömmling, nach einem minuten¬
langen Aufenthalte im Zollhauſe, ſeine Schritte auf die Battery, auf
Newyorks Promenade.

Das weltberühmte Südende Newyorks, die Battery, war im
Jahre 1832 noch nicht wie heute mit einem überhandnehmenden An¬
bau von Matroſenſchenken und Auswandererherbergen behaftet. Die
vornehmſte Atmoſphäre der Manhattanſtadt wehte damals auf dieſer
reizenden Landſpitze. Ihre Raſenteppiche, ihre Schattengänge von
Linden und Pappeln athmeten den Geiſt einer erhabenen Idylle. Im
Angeſichte der unermeßlichen Bai, am Mündungspunkte des breiten
Nord- und Oſtſtromes, in einer Lage, die vielleicht mit dem „goldenen
Horn“ um die Palme ringen kann, genoß ſie der großartigſten Schau
des Seeverkehrs und war doch nicht berührt von ihm. Er defilirte
gleichſam in Parade an ihr vorbei, zum gemeinen Dienſte ſchwenkte
er rechts ab an den Kai des Oſtfluſſes, damals ſeinem wichtigen Empo¬
rium. Auf der Battery ſchlürfte Newyork nur den Duft ſeiner Seemacht.

Dieſe Avenüe hat unſern Freund ſchon am Bord ſeines Schiffes
bezaubert; hier wandelt er jetzt im Grün und Laubſchatten, — ein
letztes intimes Stelldichein der reinen Gemüthskräfte gegenüber den
handelnden. An der Pforte einer Hemiſphäre, am Fußgeſtelle rieſen¬
hafter Wirklichkeiten will er noch einmal eine Stunde der Muße feiern
und ſeine ganze Innerlichkeit in ein großes Gegengewicht zuſammen¬
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[6/0024] Brut dünkt ihm das Auswandererſchiff — wer wird aufwärts dringen in den blauen, liederreichen Aether; wer wird niederſtürzen in den Buſch, in die Tatze des lauernden Wildes? Das Ankerwerfen iſt ei¬ ner jener Momente, wo man die Geiſterhand deutlicher zu ſehen glaubt, die das Menſchenſchickſal webt. Auch bei der roſigſten Ausſicht flirrt Geſpenſterfurcht wie ein ſchwarzer Faden durch's Auge. Im Getümmel des Landens, des Ausſchiffens, in einem Babel amerikaniſcher Namen und Adreſſen, die jetzt von allen Lippen durch¬ einander ſchwirren, verlieren wir den Freund, der zuerſt unſre Auf¬ merkſamkeit erregt, nicht aus dem Auge. Schlägt er doch auffallend genug ſeinen Weg ein! Während Alles um ihn her den Hotels und Agenturen zuſtrömt, lenkt dieſer Ankömmling, nach einem minuten¬ langen Aufenthalte im Zollhauſe, ſeine Schritte auf die Battery, auf Newyorks Promenade. Das weltberühmte Südende Newyorks, die Battery, war im Jahre 1832 noch nicht wie heute mit einem überhandnehmenden An¬ bau von Matroſenſchenken und Auswandererherbergen behaftet. Die vornehmſte Atmoſphäre der Manhattanſtadt wehte damals auf dieſer reizenden Landſpitze. Ihre Raſenteppiche, ihre Schattengänge von Linden und Pappeln athmeten den Geiſt einer erhabenen Idylle. Im Angeſichte der unermeßlichen Bai, am Mündungspunkte des breiten Nord- und Oſtſtromes, in einer Lage, die vielleicht mit dem „goldenen Horn“ um die Palme ringen kann, genoß ſie der großartigſten Schau des Seeverkehrs und war doch nicht berührt von ihm. Er defilirte gleichſam in Parade an ihr vorbei, zum gemeinen Dienſte ſchwenkte er rechts ab an den Kai des Oſtfluſſes, damals ſeinem wichtigen Empo¬ rium. Auf der Battery ſchlürfte Newyork nur den Duft ſeiner Seemacht. Dieſe Avenüe hat unſern Freund ſchon am Bord ſeines Schiffes bezaubert; hier wandelt er jetzt im Grün und Laubſchatten, — ein letztes intimes Stelldichein der reinen Gemüthskräfte gegenüber den handelnden. An der Pforte einer Hemiſphäre, am Fußgeſtelle rieſen¬ hafter Wirklichkeiten will er noch einmal eine Stunde der Muße feiern und ſeine ganze Innerlichkeit in ein großes Gegengewicht zuſammen¬ faſſen, als ſcheute er mit dem ahnungsreichen Helden der Tragödie, daß ihn der Zufall Blind herrſchend mit ſich führe!

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Zitationshilfe: Kürnberger, Ferdinand: Der Amerika-Müde. Frankfurt (Main), 1855, S. 6. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kuernberger_amerikamuede_1855/24>, abgerufen am 21.11.2024.