Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Kürnberger, Ferdinand: Der Amerika-Müde. Frankfurt (Main), 1855.

Bild:
<< vorherige Seite

Ich glaube es Ihnen, Herr Geheimerath!

Was unsterblich im Gesang soll leben
Muß im Leben untergehn --
der Teufel selbst hat Ihnen das gesagt, Herr Hofrath! Wie die Herr'n
Brüder das Leben kannten!

Damit läßt er, oder verliert er die Gesellschaft aus den Augen.

Auch die äußere Scene um ihn ist jetzt verwandelt. Nur wenige
Schritte haben ihn nach der Stadtseite der Battery geführt, und schon
zeigt die Anlage ein wesentlich städtisches Bild. Eine Reihe glänzen¬
der Cafes gruppirt sich hier unter den Schattengängen des Parks, sie
schließen sich zum voll gewundenen Kranze besonders an der Fronte,
wo die Straßen Newyorks in den großen Halbzirkel der Auffahrt
zusammenmünden. Zwar umwittert ein Geist von Einsamkeit diese
Pavillons, welche nur Sommererfrischungen bieten, und nichts von
jenen nahrhafteren Genüssen eines amerikanischen Frühstücks, dessen
Stunde eben regiert: deßungeachtet fehlt es den Cafes nicht an Leben.
So z. B. stimmt gleich im nächstgelegenen ein Orchester von Schwar¬
zen seine Instrumente, und veranlaßt unsern Gast ein Glas Eis zu
nehmen, als Folie seines ersten amerikanischen Kunstgenusses. Das
Concert beginnt. Ein seltsam zerhackter Rhythmus, dessen Tactart in
einigem Dunkel schwebt, und überdies von jedem der einzelnen Künstler
ziemlich selbstständig gehandhabt wird! Aber wie wird unserm Zuhörer,
als die Melodie, ohne alle Vermittlung, plötzlich aus Dur in Moll
überspringt? Entsetzt fährt er auf, reißt dem Vorgeiger die Violine
aus der Hand, und spielt ihm die Figur correct vor. Alle Anwesenden
staunen den Europäer an, Niemand begreift die Einmischung eines
Gentlemans in das "Handwerk" der Schwarzen. Diese selbst am
Wenigsten. Zwar hören sie mit geschmeicheltem Lächeln dem Spiele
des Fremden zu, als aber die Reihe wieder an sie kommt, stellt sich
an derselben Stelle auch derselbe Barbarismus wieder ein. Ob man
hier aller Orts die Ausübung der Musik diesen Negern überlasse?
fragt der bestürzte Kunstfreund den Aufwärter. -- In der Regel, mein
Herr, war die Antwort, die Niggers haben mehr Talent dafür als
die weißen Natives. Einige Anwesende sahen den unaussprechlichen
Gesichtsausdruck des Fremden, und er glaubt zu hören, wie sie sich
zuflüsterten: Ein Deutscher! Darauf nimmt einer derselben laut das

Ich glaube es Ihnen, Herr Geheimerath!

Was unſterblich im Geſang ſoll leben
Muß im Leben untergehn —
der Teufel ſelbſt hat Ihnen das geſagt, Herr Hofrath! Wie die Herr'n
Brüder das Leben kannten!

Damit läßt er, oder verliert er die Geſellſchaft aus den Augen.

Auch die äußere Scene um ihn iſt jetzt verwandelt. Nur wenige
Schritte haben ihn nach der Stadtſeite der Battery geführt, und ſchon
zeigt die Anlage ein weſentlich ſtädtiſches Bild. Eine Reihe glänzen¬
der Cafés gruppirt ſich hier unter den Schattengängen des Parks, ſie
ſchließen ſich zum voll gewundenen Kranze beſonders an der Fronte,
wo die Straßen Newyorks in den großen Halbzirkel der Auffahrt
zuſammenmünden. Zwar umwittert ein Geiſt von Einſamkeit dieſe
Pavillons, welche nur Sommererfriſchungen bieten, und nichts von
jenen nahrhafteren Genüſſen eines amerikaniſchen Frühſtücks, deſſen
Stunde eben regiert: deßungeachtet fehlt es den Cafés nicht an Leben.
So z. B. ſtimmt gleich im nächſtgelegenen ein Orcheſter von Schwar¬
zen ſeine Inſtrumente, und veranlaßt unſern Gaſt ein Glas Eis zu
nehmen, als Folie ſeines erſten amerikaniſchen Kunſtgenuſſes. Das
Concert beginnt. Ein ſeltſam zerhackter Rhythmus, deſſen Tactart in
einigem Dunkel ſchwebt, und überdies von jedem der einzelnen Künſtler
ziemlich ſelbſtſtändig gehandhabt wird! Aber wie wird unſerm Zuhörer,
als die Melodie, ohne alle Vermittlung, plötzlich aus Dur in Moll
überſpringt? Entſetzt fährt er auf, reißt dem Vorgeiger die Violine
aus der Hand, und ſpielt ihm die Figur correct vor. Alle Anweſenden
ſtaunen den Europäer an, Niemand begreift die Einmiſchung eines
Gentlemans in das „Handwerk“ der Schwarzen. Dieſe ſelbſt am
Wenigſten. Zwar hören ſie mit geſchmeicheltem Lächeln dem Spiele
des Fremden zu, als aber die Reihe wieder an ſie kommt, ſtellt ſich
an derſelben Stelle auch derſelbe Barbarismus wieder ein. Ob man
hier aller Orts die Ausübung der Muſik dieſen Negern überlaſſe?
fragt der beſtürzte Kunſtfreund den Aufwärter. — In der Regel, mein
Herr, war die Antwort, die Niggers haben mehr Talent dafür als
die weißen Natives. Einige Anweſende ſahen den unausſprechlichen
Geſichtsausdruck des Fremden, und er glaubt zu hören, wie ſie ſich
zuflüſterten: Ein Deutſcher! Darauf nimmt einer derſelben laut das

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0028" n="10"/>
Ich glaube es Ihnen, Herr Geheimerath!<lb/><lg type="poem"><l>Was un&#x017F;terblich im Ge&#x017F;ang &#x017F;oll leben</l><lb/><l>Muß im Leben untergehn &#x2014;</l><lb/></lg> der Teufel &#x017F;elb&#x017F;t hat Ihnen das ge&#x017F;agt, Herr Hofrath! Wie die Herr'n<lb/>
Brüder das Leben kannten!</p><lb/>
          <p>Damit läßt er, oder verliert er die Ge&#x017F;ell&#x017F;chaft aus den Augen.</p><lb/>
          <p>Auch die äußere Scene um ihn i&#x017F;t jetzt verwandelt. Nur wenige<lb/>
Schritte haben ihn nach der Stadt&#x017F;eite der Battery geführt, und &#x017F;chon<lb/>
zeigt die Anlage ein we&#x017F;entlich &#x017F;tädti&#x017F;ches Bild. Eine Reihe glänzen¬<lb/>
der Caf<hi rendition="#aq">é</hi>s gruppirt &#x017F;ich hier unter den Schattengängen des Parks, &#x017F;ie<lb/>
&#x017F;chließen &#x017F;ich zum voll gewundenen Kranze be&#x017F;onders an der Fronte,<lb/>
wo die Straßen Newyorks in den großen Halbzirkel der Auffahrt<lb/>
zu&#x017F;ammenmünden. Zwar umwittert ein Gei&#x017F;t von Ein&#x017F;amkeit die&#x017F;e<lb/>
Pavillons, welche nur Sommererfri&#x017F;chungen bieten, und nichts von<lb/>
jenen nahrhafteren Genü&#x017F;&#x017F;en eines amerikani&#x017F;chen Früh&#x017F;tücks, de&#x017F;&#x017F;en<lb/>
Stunde eben regiert: deßungeachtet fehlt es den Caf<hi rendition="#aq">é</hi>s nicht an Leben.<lb/>
So z. B. &#x017F;timmt gleich im näch&#x017F;tgelegenen ein Orche&#x017F;ter von Schwar¬<lb/>
zen &#x017F;eine In&#x017F;trumente, und veranlaßt un&#x017F;ern Ga&#x017F;t ein Glas Eis zu<lb/>
nehmen, als Folie &#x017F;eines er&#x017F;ten amerikani&#x017F;chen Kun&#x017F;tgenu&#x017F;&#x017F;es. Das<lb/>
Concert beginnt. Ein &#x017F;elt&#x017F;am zerhackter Rhythmus, de&#x017F;&#x017F;en Tactart in<lb/>
einigem Dunkel &#x017F;chwebt, und überdies von jedem der einzelnen Kün&#x017F;tler<lb/>
ziemlich &#x017F;elb&#x017F;t&#x017F;tändig gehandhabt wird! Aber wie wird un&#x017F;erm Zuhörer,<lb/>
als die Melodie, ohne alle Vermittlung, plötzlich aus Dur in Moll<lb/>
über&#x017F;pringt? Ent&#x017F;etzt fährt er auf, reißt dem Vorgeiger die Violine<lb/>
aus der Hand, und &#x017F;pielt ihm die Figur correct vor. Alle Anwe&#x017F;enden<lb/>
&#x017F;taunen den Europäer an, Niemand begreift die Einmi&#x017F;chung eines<lb/>
Gentlemans in das &#x201E;Handwerk&#x201C; der Schwarzen. Die&#x017F;e &#x017F;elb&#x017F;t am<lb/>
Wenig&#x017F;ten. Zwar hören &#x017F;ie mit ge&#x017F;chmeicheltem Lächeln dem Spiele<lb/>
des Fremden zu, als aber die Reihe wieder an &#x017F;ie kommt, &#x017F;tellt &#x017F;ich<lb/>
an der&#x017F;elben Stelle auch der&#x017F;elbe Barbarismus wieder ein. Ob man<lb/>
hier aller Orts die Ausübung der Mu&#x017F;ik die&#x017F;en Negern überla&#x017F;&#x017F;e?<lb/>
fragt der be&#x017F;türzte Kun&#x017F;tfreund den Aufwärter. &#x2014; In der Regel, mein<lb/>
Herr, war die Antwort, die Niggers haben mehr Talent dafür als<lb/>
die weißen Natives. Einige Anwe&#x017F;ende &#x017F;ahen den unaus&#x017F;prechlichen<lb/>
Ge&#x017F;ichtsausdruck des Fremden, und er glaubt zu hören, wie &#x017F;ie &#x017F;ich<lb/>
zuflü&#x017F;terten: Ein Deut&#x017F;cher! Darauf nimmt einer der&#x017F;elben laut das<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[10/0028] Ich glaube es Ihnen, Herr Geheimerath! Was unſterblich im Geſang ſoll leben Muß im Leben untergehn — der Teufel ſelbſt hat Ihnen das geſagt, Herr Hofrath! Wie die Herr'n Brüder das Leben kannten! Damit läßt er, oder verliert er die Geſellſchaft aus den Augen. Auch die äußere Scene um ihn iſt jetzt verwandelt. Nur wenige Schritte haben ihn nach der Stadtſeite der Battery geführt, und ſchon zeigt die Anlage ein weſentlich ſtädtiſches Bild. Eine Reihe glänzen¬ der Cafés gruppirt ſich hier unter den Schattengängen des Parks, ſie ſchließen ſich zum voll gewundenen Kranze beſonders an der Fronte, wo die Straßen Newyorks in den großen Halbzirkel der Auffahrt zuſammenmünden. Zwar umwittert ein Geiſt von Einſamkeit dieſe Pavillons, welche nur Sommererfriſchungen bieten, und nichts von jenen nahrhafteren Genüſſen eines amerikaniſchen Frühſtücks, deſſen Stunde eben regiert: deßungeachtet fehlt es den Cafés nicht an Leben. So z. B. ſtimmt gleich im nächſtgelegenen ein Orcheſter von Schwar¬ zen ſeine Inſtrumente, und veranlaßt unſern Gaſt ein Glas Eis zu nehmen, als Folie ſeines erſten amerikaniſchen Kunſtgenuſſes. Das Concert beginnt. Ein ſeltſam zerhackter Rhythmus, deſſen Tactart in einigem Dunkel ſchwebt, und überdies von jedem der einzelnen Künſtler ziemlich ſelbſtſtändig gehandhabt wird! Aber wie wird unſerm Zuhörer, als die Melodie, ohne alle Vermittlung, plötzlich aus Dur in Moll überſpringt? Entſetzt fährt er auf, reißt dem Vorgeiger die Violine aus der Hand, und ſpielt ihm die Figur correct vor. Alle Anweſenden ſtaunen den Europäer an, Niemand begreift die Einmiſchung eines Gentlemans in das „Handwerk“ der Schwarzen. Dieſe ſelbſt am Wenigſten. Zwar hören ſie mit geſchmeicheltem Lächeln dem Spiele des Fremden zu, als aber die Reihe wieder an ſie kommt, ſtellt ſich an derſelben Stelle auch derſelbe Barbarismus wieder ein. Ob man hier aller Orts die Ausübung der Muſik dieſen Negern überlaſſe? fragt der beſtürzte Kunſtfreund den Aufwärter. — In der Regel, mein Herr, war die Antwort, die Niggers haben mehr Talent dafür als die weißen Natives. Einige Anweſende ſahen den unausſprechlichen Geſichtsausdruck des Fremden, und er glaubt zu hören, wie ſie ſich zuflüſterten: Ein Deutſcher! Darauf nimmt einer derſelben laut das

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/kuernberger_amerikamuede_1855
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/kuernberger_amerikamuede_1855/28
Zitationshilfe: Kürnberger, Ferdinand: Der Amerika-Müde. Frankfurt (Main), 1855, S. 10. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kuernberger_amerikamuede_1855/28>, abgerufen am 21.11.2024.