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Kürnberger, Ferdinand: Der Amerika-Müde. Frankfurt (Main), 1855.

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Gemeinheit besonders empörend. Den Kerls ist nicht etwa wohl, wie
den bekannten fünfhundert Säuen, sie sind als Zotenreißer so trocken,
wie als anständige Menschen. Es ist nicht der geringste Humor in
ihren Ausschweifungen. Ein presbyterianischer Geistlicher war an Bord,
seine Gegenwart that aber keinen Augenblick Einhalt. Kurz, ich litt
bis zur Verzweiflung unter dieser Reisegenossenschaft. Da ich merkte,
daß der Geistliche kein Landeskind, sondern ein Schottländer sei,
so fing ich an mein Herz gegen ihn zu erleichtern; er antwortete
aber mit ziemlichem Phlegma: Das wird man bald gewohnt auf
Reisen; außer dem Zwang ihrer häuslichen Verhältnisse sind sie so.
Da steht der Verstand still! Der freie Amerikaner außer dem
Zwang seiner häuslichen Verhältnisse! Und doch hält er durch die
ganze Union diesen Zwang aufrecht, und canonisirt die häusliche
Langeweile unter dem Namen temper, was man für un¬
übersetzbar hält, was aber ganz einfach Muckerthum heißt! --
Als ich morgens Toilette machte, circulirte für die ganze
Schiffsgesellschaft ein einziges Handtuch; eben so hing ein allge¬
meiner Kamm sammt Haarbürste an einem Nagel. Jedermann be¬
diente sich unbedenklich dieser Gegenstände der Reihe nach. Ich hätte
gerne gefragt, ob nicht auch eine General-Zahnbürste da sei, aber
ich glaube, dieses Mustervolk braucht überhaupt keine Zahnbürste.
Was mich betrifft, so protestirte ich feierlich gegen das Gleichheits-
Handtuch und verlangte mein eignes. Da fing der souveräne
Schweinstall eine Rebellion gegen mich an und selbst der Capitän
versicherte mich mit der empfindlichsten Miene, daß mein Begehren
auf jedem amerikanischen Schiffe Aufsehen erregen würde. All men
are equal
! Heißt das so viel als: all hogs are equal? Welch eine
erlogene Kultur! Zu Hause wandeln sie bis zum Kohlenträger herab
auf Teppichen und im Schiff hat die ganze Bande ein Handtuch!
Meinethalben. Ich nähere mich mit jedem Schritt meinem Urwalde,
sehe aber nichts anders übrig, als mir ein Reitpferd zu kaufen, ich
wüßte sonst nicht, wie ich fort käme. Körper an Körper mit dem
Amerikaner zu reisen, ist weder zu Wasser noch zu Lande möglich, so
viel belehrt bin ich nun. Gott, was es heißt, ein Volk en detail
kennen lernen!


Gemeinheit beſonders empörend. Den Kerls iſt nicht etwa wohl, wie
den bekannten fünfhundert Säuen, ſie ſind als Zotenreißer ſo trocken,
wie als anſtändige Menſchen. Es iſt nicht der geringſte Humor in
ihren Ausſchweifungen. Ein presbyterianiſcher Geiſtlicher war an Bord,
ſeine Gegenwart that aber keinen Augenblick Einhalt. Kurz, ich litt
bis zur Verzweiflung unter dieſer Reiſegenoſſenſchaft. Da ich merkte,
daß der Geiſtliche kein Landeskind, ſondern ein Schottländer ſei,
ſo fing ich an mein Herz gegen ihn zu erleichtern; er antwortete
aber mit ziemlichem Phlegma: Das wird man bald gewohnt auf
Reiſen; außer dem Zwang ihrer häuslichen Verhältniſſe ſind ſie ſo.
Da ſteht der Verſtand ſtill! Der freie Amerikaner außer dem
Zwang ſeiner häuslichen Verhältniſſe! Und doch hält er durch die
ganze Union dieſen Zwang aufrecht, und canoniſirt die häusliche
Langeweile unter dem Namen temper, was man für un¬
überſetzbar hält, was aber ganz einfach Muckerthum heißt! —
Als ich morgens Toilette machte, circulirte für die ganze
Schiffsgeſellſchaft ein einziges Handtuch; eben ſo hing ein allge¬
meiner Kamm ſammt Haarbürſte an einem Nagel. Jedermann be¬
diente ſich unbedenklich dieſer Gegenſtände der Reihe nach. Ich hätte
gerne gefragt, ob nicht auch eine General-Zahnbürſte da ſei, aber
ich glaube, dieſes Muſtervolk braucht überhaupt keine Zahnbürſte.
Was mich betrifft, ſo proteſtirte ich feierlich gegen das Gleichheits-
Handtuch und verlangte mein eignes. Da fing der ſouveräne
Schweinſtall eine Rebellion gegen mich an und ſelbſt der Capitän
verſicherte mich mit der empfindlichſten Miene, daß mein Begehren
auf jedem amerikaniſchen Schiffe Aufſehen erregen würde. All men
are equal
! Heißt das ſo viel als: all hogs are equal? Welch eine
erlogene Kultur! Zu Hauſe wandeln ſie bis zum Kohlenträger herab
auf Teppichen und im Schiff hat die ganze Bande ein Handtuch!
Meinethalben. Ich nähere mich mit jedem Schritt meinem Urwalde,
ſehe aber nichts anders übrig, als mir ein Reitpferd zu kaufen, ich
wüßte ſonſt nicht, wie ich fort käme. Körper an Körper mit dem
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[277/0295] Gemeinheit beſonders empörend. Den Kerls iſt nicht etwa wohl, wie den bekannten fünfhundert Säuen, ſie ſind als Zotenreißer ſo trocken, wie als anſtändige Menſchen. Es iſt nicht der geringſte Humor in ihren Ausſchweifungen. Ein presbyterianiſcher Geiſtlicher war an Bord, ſeine Gegenwart that aber keinen Augenblick Einhalt. Kurz, ich litt bis zur Verzweiflung unter dieſer Reiſegenoſſenſchaft. Da ich merkte, daß der Geiſtliche kein Landeskind, ſondern ein Schottländer ſei, ſo fing ich an mein Herz gegen ihn zu erleichtern; er antwortete aber mit ziemlichem Phlegma: Das wird man bald gewohnt auf Reiſen; außer dem Zwang ihrer häuslichen Verhältniſſe ſind ſie ſo. Da ſteht der Verſtand ſtill! Der freie Amerikaner außer dem Zwang ſeiner häuslichen Verhältniſſe! Und doch hält er durch die ganze Union dieſen Zwang aufrecht, und canoniſirt die häusliche Langeweile unter dem Namen temper, was man für un¬ überſetzbar hält, was aber ganz einfach Muckerthum heißt! — Als ich morgens Toilette machte, circulirte für die ganze Schiffsgeſellſchaft ein einziges Handtuch; eben ſo hing ein allge¬ meiner Kamm ſammt Haarbürſte an einem Nagel. Jedermann be¬ diente ſich unbedenklich dieſer Gegenſtände der Reihe nach. Ich hätte gerne gefragt, ob nicht auch eine General-Zahnbürſte da ſei, aber ich glaube, dieſes Muſtervolk braucht überhaupt keine Zahnbürſte. Was mich betrifft, ſo proteſtirte ich feierlich gegen das Gleichheits- Handtuch und verlangte mein eignes. Da fing der ſouveräne Schweinſtall eine Rebellion gegen mich an und ſelbſt der Capitän verſicherte mich mit der empfindlichſten Miene, daß mein Begehren auf jedem amerikaniſchen Schiffe Aufſehen erregen würde. All men are equal! Heißt das ſo viel als: all hogs are equal? Welch eine erlogene Kultur! Zu Hauſe wandeln ſie bis zum Kohlenträger herab auf Teppichen und im Schiff hat die ganze Bande ein Handtuch! Meinethalben. Ich nähere mich mit jedem Schritt meinem Urwalde, ſehe aber nichts anders übrig, als mir ein Reitpferd zu kaufen, ich wüßte ſonſt nicht, wie ich fort käme. Körper an Körper mit dem Amerikaner zu reiſen, iſt weder zu Waſſer noch zu Lande möglich, ſo viel belehrt bin ich nun. Gott, was es heißt, ein Volk en detail kennen lernen!

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Zitationshilfe: Kürnberger, Ferdinand: Der Amerika-Müde. Frankfurt (Main), 1855, S. 277. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kuernberger_amerikamuede_1855/295>, abgerufen am 22.11.2024.