Achsenumdrehungen erreicht vielleicht die Million, ihr nächstes Product ist ein unaussprechlicher Lärm. Und nun das Trottoir. Kaufhalle an Kaufhalle, Bude an Bude, jedes Haus ein Markt, jedes Wort ein Ge¬ schäft. Hier ist täglich Messe. Die amerikanische Waare liebt das Dunkel nicht. Unter dem römischen Sommerhimmel Newyorks lagert sie vor dem Laden im Freien. Besonders Eßwaaren buhlen um diese Oeffent¬ lichkeit. Wir sagen: besonders, aber ja nicht: ausschließlich. Denn auch der Buchhändler verschmäht es nicht, unter dem Schatten von Kartoffelbergen zu wohnen, in den Visirgläsern optischer Instrumente spiegelt sich die gerupfte Fettgans, und sogar der Sarghändler stellt sein Produkt zwischen Thürme von Baumfrüchten aus, und verdirbt seinem Nachbar den Markt, dessen Kokosnüsse, der Ideenverbindung we¬ gen, wie kahle Todtenschädel gleißen.
Diese Gütermassen ab- und zuzuschleppen, zu vermehren, zu ver¬ mindern, zu mustern und aufzukaufen, ist beständig ein tausendbeiniges Ungeheuer unterwegs, brüllend nach dem Bedürfnisse, wählerisch im Genusse, gähnend vor Uebersättigung. Hier stürzt sich der schwarze Taglöhner auf den faulenden Inhalt eines Fischbehälters, dort gleitet die Auster im Dufte des Champagnerschaums über die feine Zunge der Wallstreet-Männer. Hier kauft sich die Quaterone ein Paar baum¬ wollene Strümpfe, und macht den nächsten Thorweg zu ihrem Boudoir, worin sie scrupellos den Wechsel des Neuen und Alten vornimmt, dort läßt sich die vornehme Dame im Putzwaarenlager den Werth von Fürstenthümern vor die Füße rollen und kauft zuletzt nichts. -- Unser Wanderer kämpft ritterlich mit all diesen Elementen. Immer tiefer arbeitet er sich den Strom hinab; aber ach! wo ist sein Ende? Wo nur ein Ruhepunkt? Mit jeder Seitenstraße, die einmündet, schwillt noch die Fluth, denn Alles drängt dem Broadway zu, wenig fließt ab von ihm. Der Schwimmer weiß zuletzt nicht mehr, schwimmt er mit oder gegen den Schwall; wohin er sich wendet, jede Richtung ist ihm eine widrige. Die Kunst des Flanirens ist eine Localkunst. Zu schauen und nicht zu schauen, sich zu bewegen und stehen zu bleiben, hat eine andere Technik auf den Boulevards, auf dem Long-Acre und auf dem Broadway. Der Eingeborene kennt diese Kunst, unser Frem¬ der wird fortgespült, wie ein äthiopisches Sandkorn in's Nil-Delta. Es ist als hätte er die ganze Erde wider sich, Bewegliches und Un¬
Achſenumdrehungen erreicht vielleicht die Million, ihr nächſtes Product iſt ein unausſprechlicher Lärm. Und nun das Trottoir. Kaufhalle an Kaufhalle, Bude an Bude, jedes Haus ein Markt, jedes Wort ein Ge¬ ſchäft. Hier iſt täglich Meſſe. Die amerikaniſche Waare liebt das Dunkel nicht. Unter dem römiſchen Sommerhimmel Newyorks lagert ſie vor dem Laden im Freien. Beſonders Eßwaaren buhlen um dieſe Oeffent¬ lichkeit. Wir ſagen: beſonders, aber ja nicht: ausſchließlich. Denn auch der Buchhändler verſchmäht es nicht, unter dem Schatten von Kartoffelbergen zu wohnen, in den Viſirgläſern optiſcher Inſtrumente ſpiegelt ſich die gerupfte Fettgans, und ſogar der Sarghändler ſtellt ſein Produkt zwiſchen Thürme von Baumfrüchten aus, und verdirbt ſeinem Nachbar den Markt, deſſen Kokosnüſſe, der Ideenverbindung we¬ gen, wie kahle Todtenſchädel gleißen.
Dieſe Gütermaſſen ab- und zuzuſchleppen, zu vermehren, zu ver¬ mindern, zu muſtern und aufzukaufen, iſt beſtändig ein tauſendbeiniges Ungeheuer unterwegs, brüllend nach dem Bedürfniſſe, wähleriſch im Genuſſe, gähnend vor Ueberſättigung. Hier ſtürzt ſich der ſchwarze Taglöhner auf den faulenden Inhalt eines Fiſchbehälters, dort gleitet die Auſter im Dufte des Champagnerſchaums über die feine Zunge der Wallſtreet-Männer. Hier kauft ſich die Quaterone ein Paar baum¬ wollene Strümpfe, und macht den nächſten Thorweg zu ihrem Boudoir, worin ſie ſcrupellos den Wechſel des Neuen und Alten vornimmt, dort läßt ſich die vornehme Dame im Putzwaarenlager den Werth von Fürſtenthümern vor die Füße rollen und kauft zuletzt nichts. — Unſer Wanderer kämpft ritterlich mit all dieſen Elementen. Immer tiefer arbeitet er ſich den Strom hinab; aber ach! wo iſt ſein Ende? Wo nur ein Ruhepunkt? Mit jeder Seitenſtraße, die einmündet, ſchwillt noch die Fluth, denn Alles drängt dem Broadway zu, wenig fließt ab von ihm. Der Schwimmer weiß zuletzt nicht mehr, ſchwimmt er mit oder gegen den Schwall; wohin er ſich wendet, jede Richtung iſt ihm eine widrige. Die Kunſt des Flanirens iſt eine Localkunſt. Zu ſchauen und nicht zu ſchauen, ſich zu bewegen und ſtehen zu bleiben, hat eine andere Technik auf den Boulevards, auf dem Long-Acre und auf dem Broadway. Der Eingeborene kennt dieſe Kunſt, unſer Frem¬ der wird fortgeſpült, wie ein äthiopiſches Sandkorn in's Nil-Delta. Es iſt als hätte er die ganze Erde wider ſich, Bewegliches und Un¬
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Achſenumdrehungen erreicht vielleicht die Million, ihr nächſtes Product
iſt ein unausſprechlicher Lärm. Und nun das Trottoir. Kaufhalle an
Kaufhalle, Bude an Bude, jedes Haus ein Markt, jedes Wort ein Ge¬
ſchäft. Hier iſt täglich Meſſe. Die amerikaniſche Waare liebt das Dunkel
nicht. Unter dem römiſchen Sommerhimmel Newyorks lagert ſie vor
dem Laden im Freien. Beſonders Eßwaaren buhlen um dieſe Oeffent¬
lichkeit. Wir ſagen: beſonders, aber ja nicht: ausſchließlich. Denn
auch der Buchhändler verſchmäht es nicht, unter dem Schatten von
Kartoffelbergen zu wohnen, in den Viſirgläſern optiſcher Inſtrumente
ſpiegelt ſich die gerupfte Fettgans, und ſogar der Sarghändler ſtellt
ſein Produkt zwiſchen Thürme von Baumfrüchten aus, und verdirbt
ſeinem Nachbar den Markt, deſſen Kokosnüſſe, der Ideenverbindung we¬
gen, wie kahle Todtenſchädel gleißen.
Dieſe Gütermaſſen ab- und zuzuſchleppen, zu vermehren, zu ver¬
mindern, zu muſtern und aufzukaufen, iſt beſtändig ein tauſendbeiniges
Ungeheuer unterwegs, brüllend nach dem Bedürfniſſe, wähleriſch im
Genuſſe, gähnend vor Ueberſättigung. Hier ſtürzt ſich der ſchwarze
Taglöhner auf den faulenden Inhalt eines Fiſchbehälters, dort gleitet
die Auſter im Dufte des Champagnerſchaums über die feine Zunge
der Wallſtreet-Männer. Hier kauft ſich die Quaterone ein Paar baum¬
wollene Strümpfe, und macht den nächſten Thorweg zu ihrem Boudoir,
worin ſie ſcrupellos den Wechſel des Neuen und Alten vornimmt, dort
läßt ſich die vornehme Dame im Putzwaarenlager den Werth von
Fürſtenthümern vor die Füße rollen und kauft zuletzt nichts. — Unſer
Wanderer kämpft ritterlich mit all dieſen Elementen. Immer tiefer
arbeitet er ſich den Strom hinab; aber ach! wo iſt ſein Ende? Wo
nur ein Ruhepunkt? Mit jeder Seitenſtraße, die einmündet, ſchwillt
noch die Fluth, denn Alles drängt dem Broadway zu, wenig fließt
ab von ihm. Der Schwimmer weiß zuletzt nicht mehr, ſchwimmt er
mit oder gegen den Schwall; wohin er ſich wendet, jede Richtung iſt
ihm eine widrige. Die Kunſt des Flanirens iſt eine Localkunſt. Zu
ſchauen und nicht zu ſchauen, ſich zu bewegen und ſtehen zu bleiben,
hat eine andere Technik auf den Boulevards, auf dem Long-Acre und
auf dem Broadway. Der Eingeborene kennt dieſe Kunſt, unſer Frem¬
der wird fortgeſpült, wie ein äthiopiſches Sandkorn in's Nil-Delta.
Es iſt als hätte er die ganze Erde wider ſich, Bewegliches und Un¬
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Kürnberger, Ferdinand: Der Amerika-Müde. Frankfurt (Main), 1855, S. 13. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kuernberger_amerikamuede_1855/31>, abgerufen am 21.11.2024.
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