jacke im indianischen Costüm, Edmund Kean als König Lear, die Schlacht bei Bunkershill, eine Newyorker Regatta, General Washington, Lord Nelson, das Fegefeuer u. a. Ueber all diese Blätter hatte sich eine Unzahl von Fliegen verbreitet mit überreichlicher Hinterlassung ihrer wohlbekannten Spuren. Die Spelunke erreichte daher durch ihr Schau¬ fenster so ziemlich das Gegentheil der beabsichtigten Anziehungskraft; da überdies die Trinkstube nebenan Rauchwolken des schlechtesten Ta¬ baks vermischt mit den Pestdünsten abscheulicher Getränkesorten durch alle Fugen und Ritzen ausschwitzte, so fand sich Moorfeld wenig ein¬ geladen, das wirthliche Dach dieses Hauses zu beschreiten. Nur sein Pferd stellte er hier ein; seine Person, die, wie er aus hinlänglicher Erfahrung wußte, selbst unter dem widerlichsten Pöbelhaufen in keiner öffentlichen Herberge auf irgend eine Sonderung dringen durfte, rettete er wieder in's sogenannte Freie. Er kaute für all sein Nahrungs¬ bedürfniß ein Stückchen Bouillontafel, deren er in Pittsburg einen neuen Vorrath eingekauft. Irgend ein nettes Privathäuschen zu ent¬ decken, wo er an einem leidlich menschlichen Tisch sich zu Gaste bitten könnte, ohne das "Hotel von New-Lisbon" zu frondiren, darauf ver¬ zweifelte er in dieser Kaffernstadt.
Inzwischen ertönte ein greller Trompetentusch von einer Dachlucke des Schuppens, d. h. vom Balkon der City-Hall. Das brachte einige Bewegung auf dem Marktplatz hervor. Unter den Dächern der Zelt¬ wagen streckten sich lange Amerikaner-Beine hervor, die dort ihre Mittagsruhe gehalten hatten, aus der Trinkstube des Croceryshops kamen die Gäste gruppenweise über den Square daher gestolpert, der fliegende Buchhändler schloß seine Mappen und der Irländer trank seinen mint julep selber. Alles drängte sich durch die unbehauenen Thürpfosten des Stadthauses. Moorfeld folgte. Er stand in einem Stalle, den die Väter der Stadt vielleicht ihren Sitzungssaal nannten, aber der Fußboden dieses Saales war die rauhe unbedielte Erde, die Fensterlöcher hatten keine Fenster, was zwar einen dankenswerthen Luftzug gegen die Hitze bewirkte, aber auch einer Unzahl von lästigen Mücken die Passage frei gab, die Decke endlich war so niedrig, daß die Beleuchtung, obschon sie ungetrübter als durch das reinste Krystall¬ glas einfiel, doch etwas Düsteres und Kellerartiges hatte. Das Ameu¬ blement bestand in einem Tisch und einigen Stühlen für die Auctions¬
jacke im indianiſchen Coſtüm, Edmund Kean als König Lear, die Schlacht bei Bunkershill, eine Newyorker Regatta, General Waſhington, Lord Nelſon, das Fegefeuer u. a. Ueber all dieſe Blätter hatte ſich eine Unzahl von Fliegen verbreitet mit überreichlicher Hinterlaſſung ihrer wohlbekannten Spuren. Die Spelunke erreichte daher durch ihr Schau¬ fenſter ſo ziemlich das Gegentheil der beabſichtigten Anziehungskraft; da überdies die Trinkſtube nebenan Rauchwolken des ſchlechteſten Ta¬ baks vermiſcht mit den Peſtdünſten abſcheulicher Getränkeſorten durch alle Fugen und Ritzen ausſchwitzte, ſo fand ſich Moorfeld wenig ein¬ geladen, das wirthliche Dach dieſes Hauſes zu beſchreiten. Nur ſein Pferd ſtellte er hier ein; ſeine Perſon, die, wie er aus hinlänglicher Erfahrung wußte, ſelbſt unter dem widerlichſten Pöbelhaufen in keiner öffentlichen Herberge auf irgend eine Sonderung dringen durfte, rettete er wieder in's ſogenannte Freie. Er kaute für all ſein Nahrungs¬ bedürfniß ein Stückchen Bouillontafel, deren er in Pittsburg einen neuen Vorrath eingekauft. Irgend ein nettes Privathäuschen zu ent¬ decken, wo er an einem leidlich menſchlichen Tiſch ſich zu Gaſte bitten könnte, ohne das „Hôtel von New-Lisbon“ zu frondiren, darauf ver¬ zweifelte er in dieſer Kaffernſtadt.
Inzwiſchen ertönte ein greller Trompetentuſch von einer Dachlucke des Schuppens, d. h. vom Balkon der City-Hall. Das brachte einige Bewegung auf dem Marktplatz hervor. Unter den Dächern der Zelt¬ wagen ſtreckten ſich lange Amerikaner-Beine hervor, die dort ihre Mittagsruhe gehalten hatten, aus der Trinkſtube des Croceryſhops kamen die Gäſte gruppenweiſe über den Square daher geſtolpert, der fliegende Buchhändler ſchloß ſeine Mappen und der Irländer trank ſeinen mint julep ſelber. Alles drängte ſich durch die unbehauenen Thürpfoſten des Stadthauſes. Moorfeld folgte. Er ſtand in einem Stalle, den die Väter der Stadt vielleicht ihren Sitzungsſaal nannten, aber der Fußboden dieſes Saales war die rauhe unbedielte Erde, die Fenſterlöcher hatten keine Fenſter, was zwar einen dankenswerthen Luftzug gegen die Hitze bewirkte, aber auch einer Unzahl von läſtigen Mücken die Paſſage frei gab, die Decke endlich war ſo niedrig, daß die Beleuchtung, obſchon ſie ungetrübter als durch das reinſte Kryſtall¬ glas einfiel, doch etwas Düſteres und Kellerartiges hatte. Das Ameu¬ blement beſtand in einem Tiſch und einigen Stühlen für die Auctions¬
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0321"n="303"/>
jacke im indianiſchen Coſtüm, Edmund Kean als König Lear, die Schlacht<lb/>
bei Bunkershill, eine Newyorker Regatta, General Waſhington, Lord<lb/>
Nelſon, das Fegefeuer u. a. Ueber all dieſe Blätter hatte ſich eine<lb/>
Unzahl von Fliegen verbreitet mit überreichlicher Hinterlaſſung ihrer<lb/>
wohlbekannten Spuren. Die Spelunke erreichte daher durch ihr Schau¬<lb/>
fenſter ſo ziemlich das Gegentheil der beabſichtigten Anziehungskraft;<lb/>
da überdies die Trinkſtube nebenan Rauchwolken des ſchlechteſten Ta¬<lb/>
baks vermiſcht mit den Peſtdünſten abſcheulicher Getränkeſorten durch<lb/>
alle Fugen und Ritzen ausſchwitzte, ſo fand ſich Moorfeld wenig ein¬<lb/>
geladen, das wirthliche Dach dieſes Hauſes zu beſchreiten. Nur ſein<lb/>
Pferd ſtellte er hier ein; ſeine Perſon, die, wie er aus hinlänglicher<lb/>
Erfahrung wußte, ſelbſt unter dem widerlichſten Pöbelhaufen in keiner<lb/>
öffentlichen Herberge auf irgend eine Sonderung dringen durfte, rettete<lb/>
er wieder in's ſogenannte Freie. Er kaute für all ſein Nahrungs¬<lb/>
bedürfniß ein Stückchen Bouillontafel, deren er in Pittsburg einen<lb/>
neuen Vorrath eingekauft. Irgend ein nettes Privathäuschen zu ent¬<lb/>
decken, wo er an einem leidlich menſchlichen Tiſch ſich zu Gaſte bitten<lb/>
könnte, ohne das „H<hirendition="#aq">ô</hi>tel von New-Lisbon“ zu frondiren, darauf ver¬<lb/>
zweifelte er in dieſer Kaffernſtadt.</p><lb/><p>Inzwiſchen ertönte ein greller Trompetentuſch von einer Dachlucke<lb/>
des Schuppens, d. h. vom Balkon der City-Hall. Das brachte einige<lb/>
Bewegung auf dem Marktplatz hervor. Unter den Dächern der Zelt¬<lb/>
wagen ſtreckten ſich lange Amerikaner-Beine hervor, die dort ihre<lb/>
Mittagsruhe gehalten hatten, aus der Trinkſtube des Croceryſhops<lb/>
kamen die Gäſte gruppenweiſe über den Square daher geſtolpert, der<lb/>
fliegende Buchhändler ſchloß ſeine Mappen und der Irländer trank<lb/>ſeinen <hirendition="#aq">mint julep</hi>ſelber. Alles drängte ſich durch die unbehauenen<lb/>
Thürpfoſten des Stadthauſes. Moorfeld folgte. Er ſtand in einem<lb/>
Stalle, den die Väter der Stadt vielleicht ihren Sitzungsſaal nannten,<lb/>
aber der Fußboden dieſes Saales war die rauhe unbedielte Erde, die<lb/>
Fenſterlöcher hatten keine Fenſter, was zwar einen dankenswerthen<lb/>
Luftzug gegen die Hitze bewirkte, aber auch einer Unzahl von läſtigen<lb/>
Mücken die Paſſage frei gab, die Decke endlich war ſo niedrig, daß<lb/>
die Beleuchtung, obſchon ſie ungetrübter als durch das reinſte Kryſtall¬<lb/>
glas einfiel, doch etwas Düſteres und Kellerartiges hatte. Das Ameu¬<lb/>
blement beſtand in einem Tiſch und einigen Stühlen für die Auctions¬<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[303/0321]
jacke im indianiſchen Coſtüm, Edmund Kean als König Lear, die Schlacht
bei Bunkershill, eine Newyorker Regatta, General Waſhington, Lord
Nelſon, das Fegefeuer u. a. Ueber all dieſe Blätter hatte ſich eine
Unzahl von Fliegen verbreitet mit überreichlicher Hinterlaſſung ihrer
wohlbekannten Spuren. Die Spelunke erreichte daher durch ihr Schau¬
fenſter ſo ziemlich das Gegentheil der beabſichtigten Anziehungskraft;
da überdies die Trinkſtube nebenan Rauchwolken des ſchlechteſten Ta¬
baks vermiſcht mit den Peſtdünſten abſcheulicher Getränkeſorten durch
alle Fugen und Ritzen ausſchwitzte, ſo fand ſich Moorfeld wenig ein¬
geladen, das wirthliche Dach dieſes Hauſes zu beſchreiten. Nur ſein
Pferd ſtellte er hier ein; ſeine Perſon, die, wie er aus hinlänglicher
Erfahrung wußte, ſelbſt unter dem widerlichſten Pöbelhaufen in keiner
öffentlichen Herberge auf irgend eine Sonderung dringen durfte, rettete
er wieder in's ſogenannte Freie. Er kaute für all ſein Nahrungs¬
bedürfniß ein Stückchen Bouillontafel, deren er in Pittsburg einen
neuen Vorrath eingekauft. Irgend ein nettes Privathäuschen zu ent¬
decken, wo er an einem leidlich menſchlichen Tiſch ſich zu Gaſte bitten
könnte, ohne das „Hôtel von New-Lisbon“ zu frondiren, darauf ver¬
zweifelte er in dieſer Kaffernſtadt.
Inzwiſchen ertönte ein greller Trompetentuſch von einer Dachlucke
des Schuppens, d. h. vom Balkon der City-Hall. Das brachte einige
Bewegung auf dem Marktplatz hervor. Unter den Dächern der Zelt¬
wagen ſtreckten ſich lange Amerikaner-Beine hervor, die dort ihre
Mittagsruhe gehalten hatten, aus der Trinkſtube des Croceryſhops
kamen die Gäſte gruppenweiſe über den Square daher geſtolpert, der
fliegende Buchhändler ſchloß ſeine Mappen und der Irländer trank
ſeinen mint julep ſelber. Alles drängte ſich durch die unbehauenen
Thürpfoſten des Stadthauſes. Moorfeld folgte. Er ſtand in einem
Stalle, den die Väter der Stadt vielleicht ihren Sitzungsſaal nannten,
aber der Fußboden dieſes Saales war die rauhe unbedielte Erde, die
Fenſterlöcher hatten keine Fenſter, was zwar einen dankenswerthen
Luftzug gegen die Hitze bewirkte, aber auch einer Unzahl von läſtigen
Mücken die Paſſage frei gab, die Decke endlich war ſo niedrig, daß
die Beleuchtung, obſchon ſie ungetrübter als durch das reinſte Kryſtall¬
glas einfiel, doch etwas Düſteres und Kellerartiges hatte. Das Ameu¬
blement beſtand in einem Tiſch und einigen Stühlen für die Auctions¬
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Kürnberger, Ferdinand: Der Amerika-Müde. Frankfurt (Main), 1855, S. 303. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kuernberger_amerikamuede_1855/321>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.