Stiefelabsätze aufnahm. Der Fremde verbat sich diese Zwanglosigkeit. Jener erwiderte: Mein Herr, Sie fordern für dieses Kind die Rechte einer Lady zu früh. Sein Ton dabei war vollkommen ruhig, fast belehrend, wie der Mann überhaupt nicht ohne Facon schien. Aber um so gereizter empfand der Fremde diese Sittenrohheit und scharf antwortete er: Sind Sie einer Lady zuvorkommend aus Sclaverei für ein Ceremoniell, oder aus freier Menschlichkeit? Auf letztere werden Sie auch dieses Kind zählen lassen! Der Amerikaner blieb gänzlich eindruckslos bei diesem Appell, und die Collision hätte leicht ernster werden können, wenn ein Marktweib nicht den Tact hatte, ihren Platz mit dem Kinde zu wechseln. Vor dieser Lady zog der Ausgestreckte seine Beine zurück. --
Nach dieser Episode verlief die weitere Fahrt ruhig, und dauerte, unter einem steten Wechsel von aus- und einsteigenden Personen, ver¬ hältnißmäßig kurz. Der Omnibus setzte unser Paar in einer Straße ab, von welcher nichts als der Name vorhanden war, den mit großen Lettern ein prophetischer Pfahlanschlag nannte. Das kleine Mädchen fand sich aber sofort orientirt, und lief glückstrahlend auf den einzigen Anbau dieser Straßenzukunft zu. Es war ein backsteinener, länglich viereckiger Kasten, ohne Maueranwurf, mit unglasirten Dachpfannen gedeckt. Ein Mann von derbem Leib und starken Knochen, mit einem rothen, prallen Gesichte, kurzgeschornem Haupthaar, in Jacke und Hemd¬ ärmeln, aber einen französischen Hut auf dem Kopfe, empfing unsern Ankömmling mit der Frage: Wie viel Bushel? Der Fremde wußte diese Anrede nicht zu deuten. Ich dachte, Sie machten eine Bestellung in Zwiebeln, antwortete der Stämmige. Der Fremde wechselte zwei¬ felnde Blicke zwischen dem kleinen Mädchen und diesem Manne, und erklärte, daß er die Volksschule des Mr. Mockingbird zu besuchen ge¬ glaubt. -- In der sind Sie, sagte dieser; -- ich habe vor einigen Wochen in Thran fallirt, und verlor mein Vermögen. Sofort er¬ öffnete ich eine Schule und unterrichte die Kinder meiner Nachbarn in dem was ich weiß und in dem was ich nicht weiß, wozu ich einen Hilfslehrer miethe. Da mir diese Beschäftigung weder den ganzen Tag noch den ganzen Beutel ausfüllt, so mache ich in den übrigen Stunden das fehlende Geld mit einem Zwiebelhandel. Damit schritt er ohne weitere Umstände in das Innere des Hauses. Unser Held
Stiefelabſätze aufnahm. Der Fremde verbat ſich dieſe Zwangloſigkeit. Jener erwiderte: Mein Herr, Sie fordern für dieſes Kind die Rechte einer Lady zu früh. Sein Ton dabei war vollkommen ruhig, faſt belehrend, wie der Mann überhaupt nicht ohne Façon ſchien. Aber um ſo gereizter empfand der Fremde dieſe Sittenrohheit und ſcharf antwortete er: Sind Sie einer Lady zuvorkommend aus Sclaverei für ein Ceremoniell, oder aus freier Menſchlichkeit? Auf letztere werden Sie auch dieſes Kind zählen laſſen! Der Amerikaner blieb gänzlich eindruckslos bei dieſem Appell, und die Colliſion hätte leicht ernſter werden können, wenn ein Marktweib nicht den Tact hatte, ihren Platz mit dem Kinde zu wechſeln. Vor dieſer Lady zog der Ausgeſtreckte ſeine Beine zurück. —
Nach dieſer Epiſode verlief die weitere Fahrt ruhig, und dauerte, unter einem ſteten Wechſel von aus- und einſteigenden Perſonen, ver¬ hältnißmäßig kurz. Der Omnibus ſetzte unſer Paar in einer Straße ab, von welcher nichts als der Name vorhanden war, den mit großen Lettern ein prophetiſcher Pfahlanſchlag nannte. Das kleine Mädchen fand ſich aber ſofort orientirt, und lief glückſtrahlend auf den einzigen Anbau dieſer Straßenzukunft zu. Es war ein backſteinener, länglich viereckiger Kaſten, ohne Maueranwurf, mit unglaſirten Dachpfannen gedeckt. Ein Mann von derbem Leib und ſtarken Knochen, mit einem rothen, prallen Geſichte, kurzgeſchornem Haupthaar, in Jacke und Hemd¬ ärmeln, aber einen franzöſiſchen Hut auf dem Kopfe, empfing unſern Ankömmling mit der Frage: Wie viel Buſhel? Der Fremde wußte dieſe Anrede nicht zu deuten. Ich dachte, Sie machten eine Beſtellung in Zwiebeln, antwortete der Stämmige. Der Fremde wechſelte zwei¬ felnde Blicke zwiſchen dem kleinen Mädchen und dieſem Manne, und erklärte, daß er die Volksſchule des Mr. Mockingbird zu beſuchen ge¬ glaubt. — In der ſind Sie, ſagte dieſer; — ich habe vor einigen Wochen in Thran fallirt, und verlor mein Vermögen. Sofort er¬ öffnete ich eine Schule und unterrichte die Kinder meiner Nachbarn in dem was ich weiß und in dem was ich nicht weiß, wozu ich einen Hilfslehrer miethe. Da mir dieſe Beſchäftigung weder den ganzen Tag noch den ganzen Beutel ausfüllt, ſo mache ich in den übrigen Stunden das fehlende Geld mit einem Zwiebelhandel. Damit ſchritt er ohne weitere Umſtände in das Innere des Hauſes. Unſer Held
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Stiefelabſätze aufnahm. Der Fremde verbat ſich dieſe Zwangloſigkeit.
Jener erwiderte: Mein Herr, Sie fordern für dieſes Kind die Rechte
einer Lady zu früh. Sein Ton dabei war vollkommen ruhig, faſt
belehrend, wie der Mann überhaupt nicht ohne Façon ſchien. Aber
um ſo gereizter empfand der Fremde dieſe Sittenrohheit und ſcharf
antwortete er: Sind Sie einer Lady zuvorkommend aus Sclaverei für
ein Ceremoniell, oder aus freier Menſchlichkeit? Auf letztere werden
Sie auch dieſes Kind zählen laſſen! Der Amerikaner blieb gänzlich
eindruckslos bei dieſem Appell, und die Colliſion hätte leicht ernſter
werden können, wenn ein Marktweib nicht den Tact hatte, ihren Platz
mit dem Kinde zu wechſeln. Vor dieſer Lady zog der Ausgeſtreckte
ſeine Beine zurück. —
Nach dieſer Epiſode verlief die weitere Fahrt ruhig, und dauerte,
unter einem ſteten Wechſel von aus- und einſteigenden Perſonen, ver¬
hältnißmäßig kurz. Der Omnibus ſetzte unſer Paar in einer Straße
ab, von welcher nichts als der Name vorhanden war, den mit großen
Lettern ein prophetiſcher Pfahlanſchlag nannte. Das kleine Mädchen
fand ſich aber ſofort orientirt, und lief glückſtrahlend auf den einzigen
Anbau dieſer Straßenzukunft zu. Es war ein backſteinener, länglich
viereckiger Kaſten, ohne Maueranwurf, mit unglaſirten Dachpfannen
gedeckt. Ein Mann von derbem Leib und ſtarken Knochen, mit einem
rothen, prallen Geſichte, kurzgeſchornem Haupthaar, in Jacke und Hemd¬
ärmeln, aber einen franzöſiſchen Hut auf dem Kopfe, empfing unſern
Ankömmling mit der Frage: Wie viel Buſhel? Der Fremde wußte
dieſe Anrede nicht zu deuten. Ich dachte, Sie machten eine Beſtellung
in Zwiebeln, antwortete der Stämmige. Der Fremde wechſelte zwei¬
felnde Blicke zwiſchen dem kleinen Mädchen und dieſem Manne, und
erklärte, daß er die Volksſchule des Mr. Mockingbird zu beſuchen ge¬
glaubt. — In der ſind Sie, ſagte dieſer; — ich habe vor einigen
Wochen in Thran fallirt, und verlor mein Vermögen. Sofort er¬
öffnete ich eine Schule und unterrichte die Kinder meiner Nachbarn
in dem was ich weiß und in dem was ich nicht weiß, wozu ich einen
Hilfslehrer miethe. Da mir dieſe Beſchäftigung weder den ganzen
Tag noch den ganzen Beutel ausfüllt, ſo mache ich in den übrigen
Stunden das fehlende Geld mit einem Zwiebelhandel. Damit ſchritt
er ohne weitere Umſtände in das Innere des Hauſes. Unſer Held
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Kürnberger, Ferdinand: Der Amerika-Müde. Frankfurt (Main), 1855, S. 15. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kuernberger_amerikamuede_1855/33>, abgerufen am 21.11.2024.
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