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Kürnberger, Ferdinand: Der Amerika-Müde. Frankfurt (Main), 1855.

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ihm ohne Weiteres geschenkt. Anhorst war rettungsbedürftig wie
ein Ertrinkender gewesen, und Moorfeld hatte ihn gerettet. Aber
bei dem Bande der rohen Noth kann ein feineres Gemüth nicht
stehen bleiben. Er durfte wünschen, daß Anhorst jetzt von seinem
Eigenen -- Innern etwas herausgebe. Seit gestern war es noch nicht
geschehen. Dieser Augenblick aber war einem innigeren Austausch
günstig. Er forderte von selbst dazu auf.

Moorfeld zog den fremden Mann treuherzig an seine Seite und
sagte: Und wie ging es Ihnen in diesen fünfzehn Jahren? Lassen
Sie mich hören, wie das Menschenleben auf den Pfaden, auf wel¬
chen Sie es durchwandelten, ausgesehen hat.

In den Zügen des Deutschen malte sich's fast wie Schamgefühl
bei dieser Aufforderung. Und wie das germanische Auge immer trotzig
blickt, wenn das Gefühl an sich selbst erinnert wird und sich zugleich
ehrt und verbirgt bei dieser Erinnerung, so sah das blaue Auge des
abgehärteten Mannes jetzt mit einem gewissen Barbarismus drein, der
im Aeußern Trotz schien, im Innern aber keusche Selbstbewahrung
war.

Mit diesem Ausdruck antwortete Anhorst: Sie haben mir gestern
Gutes gethan; ich könnte es heute kaum vermeiden, mich so zu schil¬
dern, als ob ich's recht sehr werth wäre. Das geht nicht. Aber mein
Tagebuch steht Ihnen zu Diensten. Drinn stehen Gott und dieser
Bursche hier etwas unparteiischer neben einander.

So eben hab' ich's gelesen, sagte Moorfeld, und drückte dem
Manne die Hand. Seine Gefühlsanwandlung war vorüber. Er stand
auf und ging weiter mit ihm. Zwischen den beiden Männern war von
der Vergangenheit weder in Schrift noch in Wort je wieder die Rede.


ihm ohne Weiteres geſchenkt. Anhorſt war rettungsbedürftig wie
ein Ertrinkender geweſen, und Moorfeld hatte ihn gerettet. Aber
bei dem Bande der rohen Noth kann ein feineres Gemüth nicht
ſtehen bleiben. Er durfte wünſchen, daß Anhorſt jetzt von ſeinem
Eigenen — Innern etwas herausgebe. Seit geſtern war es noch nicht
geſchehen. Dieſer Augenblick aber war einem innigeren Austauſch
günſtig. Er forderte von ſelbſt dazu auf.

Moorfeld zog den fremden Mann treuherzig an ſeine Seite und
ſagte: Und wie ging es Ihnen in dieſen fünfzehn Jahren? Laſſen
Sie mich hören, wie das Menſchenleben auf den Pfaden, auf wel¬
chen Sie es durchwandelten, ausgeſehen hat.

In den Zügen des Deutſchen malte ſich's faſt wie Schamgefühl
bei dieſer Aufforderung. Und wie das germaniſche Auge immer trotzig
blickt, wenn das Gefühl an ſich ſelbſt erinnert wird und ſich zugleich
ehrt und verbirgt bei dieſer Erinnerung, ſo ſah das blaue Auge des
abgehärteten Mannes jetzt mit einem gewiſſen Barbarismus drein, der
im Aeußern Trotz ſchien, im Innern aber keuſche Selbſtbewahrung
war.

Mit dieſem Ausdruck antwortete Anhorſt: Sie haben mir geſtern
Gutes gethan; ich könnte es heute kaum vermeiden, mich ſo zu ſchil¬
dern, als ob ich's recht ſehr werth wäre. Das geht nicht. Aber mein
Tagebuch ſteht Ihnen zu Dienſten. Drinn ſtehen Gott und dieſer
Burſche hier etwas unparteiiſcher neben einander.

So eben hab' ich's geleſen, ſagte Moorfeld, und drückte dem
Manne die Hand. Seine Gefühlsanwandlung war vorüber. Er ſtand
auf und ging weiter mit ihm. Zwiſchen den beiden Männern war von
der Vergangenheit weder in Schrift noch in Wort je wieder die Rede.


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[324/0342] ihm ohne Weiteres geſchenkt. Anhorſt war rettungsbedürftig wie ein Ertrinkender geweſen, und Moorfeld hatte ihn gerettet. Aber bei dem Bande der rohen Noth kann ein feineres Gemüth nicht ſtehen bleiben. Er durfte wünſchen, daß Anhorſt jetzt von ſeinem Eigenen — Innern etwas herausgebe. Seit geſtern war es noch nicht geſchehen. Dieſer Augenblick aber war einem innigeren Austauſch günſtig. Er forderte von ſelbſt dazu auf. Moorfeld zog den fremden Mann treuherzig an ſeine Seite und ſagte: Und wie ging es Ihnen in dieſen fünfzehn Jahren? Laſſen Sie mich hören, wie das Menſchenleben auf den Pfaden, auf wel¬ chen Sie es durchwandelten, ausgeſehen hat. In den Zügen des Deutſchen malte ſich's faſt wie Schamgefühl bei dieſer Aufforderung. Und wie das germaniſche Auge immer trotzig blickt, wenn das Gefühl an ſich ſelbſt erinnert wird und ſich zugleich ehrt und verbirgt bei dieſer Erinnerung, ſo ſah das blaue Auge des abgehärteten Mannes jetzt mit einem gewiſſen Barbarismus drein, der im Aeußern Trotz ſchien, im Innern aber keuſche Selbſtbewahrung war. Mit dieſem Ausdruck antwortete Anhorſt: Sie haben mir geſtern Gutes gethan; ich könnte es heute kaum vermeiden, mich ſo zu ſchil¬ dern, als ob ich's recht ſehr werth wäre. Das geht nicht. Aber mein Tagebuch ſteht Ihnen zu Dienſten. Drinn ſtehen Gott und dieſer Burſche hier etwas unparteiiſcher neben einander. So eben hab' ich's geleſen, ſagte Moorfeld, und drückte dem Manne die Hand. Seine Gefühlsanwandlung war vorüber. Er ſtand auf und ging weiter mit ihm. Zwiſchen den beiden Männern war von der Vergangenheit weder in Schrift noch in Wort je wieder die Rede.

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Zitationshilfe: Kürnberger, Ferdinand: Der Amerika-Müde. Frankfurt (Main), 1855, S. 324. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kuernberger_amerikamuede_1855/342>, abgerufen am 22.11.2024.