Ufersaum oder jener wegsamer schien, und als ich endlich meinen Irr¬ thum einsah und dem Bach entlang wieder zurückkehren wollte, schlug ich eine Nebenader desselben ein, da der Hauptarm, von jenseits ge¬ sehen, unter Schilf- und Sumpfgestripp fast verschwand. Dieser Ab¬ weg führte mich nun gänzlich in's Oede. Ein unermeßliches Wald¬ labyrinth verrammelte mir in jeder Richtung den Weg. Stamm an Stamm sah ich nirgend zehn Schritte tief, es war ein Meer von Einsamkeit. Unter diesen Umständen wäre ich froh gewesen, nicht meinen, sondern nur irgend einen Farm zu erreichen, aber nicht die leiseste Hieroglyphe einer menschlichen Nähe war rings zu entziffern. Die Merkmale, die den geschulten Hinterwäldler auf seinem chaotischen Terrain leiten, waren mir als Neuling natürlich noch fremd, meinen gelehrten Apparat aber, Taschencompaß und topographische Karte des County, hatte ich zu Hause liegen lassen. Kurz, das Abenteuer war mehr unbehaglich, als romantisch, ich kreuzte stundenlang hin und her, und schon fing ich zu sorgen an.
Auf einmal erfreute mein Ohr die Stimme eines lebendigen Wesens und mein Auge erblickte ein kleines rothes Röckchen. Es war ein Kind, welches Hühner aus dem Walddickicht zu locken schien. Voll Freude rief ich das Mädchen an, welches Roß und Reiter nicht sobald gewahr wurde, als es emsig die Flucht ergriff. Mir aber war der Fund zu kostbar. Und mußte ich mir meine Wegweiserin erst erjagen, so bebte ich vor dem kleinen Sabinerinnenraub auch nicht zurück. Ich sprang vom Pferde, das hier nicht gut fortkam, und verfolgte das rothe Röckchen mit lieblichen Worten und langen Schritten. Letztere waren glücklicher als erstere, denn bald ergriff ich mein kleines scheues Waldfräulein in der Höhlung eines kurzen und dicken Papawstammes, wohin sie zuletzt -- für das Auge gar zierlich -- ihre Zuflucht ge¬ nommen. Sie sah wirklich wie die Seele des Baumes aus, so zart und geistig stand sie in dem rauhen Rahmen. Es war ein Bild wie im Kirchenstyl gemalt. Ihr Köpfchen kein muthwilliges Apfelrund mit klugem Stutznäschen und braunen Rehaugen -- nein, ein ernst¬ haftes, ehrbares Oval, mit edel gezogener, nachdenklicher Nase, großem, wasserblauem Blicke, der Teint weiß, die Ringellocken gelb wie der Mondschein und ein langes schweres Gehänge. Kurz, ein Charakter¬ bild echten germanischen Magdthums. Ich redete sie auch sofort
Uferſaum oder jener wegſamer ſchien, und als ich endlich meinen Irr¬ thum einſah und dem Bach entlang wieder zurückkehren wollte, ſchlug ich eine Nebenader deſſelben ein, da der Hauptarm, von jenſeits ge¬ ſehen, unter Schilf- und Sumpfgeſtripp faſt verſchwand. Dieſer Ab¬ weg führte mich nun gänzlich in's Oede. Ein unermeßliches Wald¬ labyrinth verrammelte mir in jeder Richtung den Weg. Stamm an Stamm ſah ich nirgend zehn Schritte tief, es war ein Meer von Einſamkeit. Unter dieſen Umſtänden wäre ich froh geweſen, nicht meinen, ſondern nur irgend einen Farm zu erreichen, aber nicht die leiſeſte Hieroglyphe einer menſchlichen Nähe war rings zu entziffern. Die Merkmale, die den geſchulten Hinterwäldler auf ſeinem chaotiſchen Terrain leiten, waren mir als Neuling natürlich noch fremd, meinen gelehrten Apparat aber, Taſchencompaß und topographiſche Karte des County, hatte ich zu Hauſe liegen laſſen. Kurz, das Abenteuer war mehr unbehaglich, als romantiſch, ich kreuzte ſtundenlang hin und her, und ſchon fing ich zu ſorgen an.
Auf einmal erfreute mein Ohr die Stimme eines lebendigen Weſens und mein Auge erblickte ein kleines rothes Röckchen. Es war ein Kind, welches Hühner aus dem Walddickicht zu locken ſchien. Voll Freude rief ich das Mädchen an, welches Roß und Reiter nicht ſobald gewahr wurde, als es emſig die Flucht ergriff. Mir aber war der Fund zu koſtbar. Und mußte ich mir meine Wegweiſerin erſt erjagen, ſo bebte ich vor dem kleinen Sabinerinnenraub auch nicht zurück. Ich ſprang vom Pferde, das hier nicht gut fortkam, und verfolgte das rothe Röckchen mit lieblichen Worten und langen Schritten. Letztere waren glücklicher als erſtere, denn bald ergriff ich mein kleines ſcheues Waldfräulein in der Höhlung eines kurzen und dicken Papawſtammes, wohin ſie zuletzt — für das Auge gar zierlich — ihre Zuflucht ge¬ nommen. Sie ſah wirklich wie die Seele des Baumes aus, ſo zart und geiſtig ſtand ſie in dem rauhen Rahmen. Es war ein Bild wie im Kirchenſtyl gemalt. Ihr Köpfchen kein muthwilliges Apfelrund mit klugem Stutznäschen und braunen Rehaugen — nein, ein ernſt¬ haftes, ehrbares Oval, mit edel gezogener, nachdenklicher Naſe, großem, waſſerblauem Blicke, der Teint weiß, die Ringellocken gelb wie der Mondſchein und ein langes ſchweres Gehänge. Kurz, ein Charakter¬ bild echten germaniſchen Magdthums. Ich redete ſie auch ſofort
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0350"n="332"/>
Uferſaum oder jener wegſamer ſchien, und als ich endlich meinen Irr¬<lb/>
thum einſah und dem Bach entlang wieder zurückkehren wollte, ſchlug<lb/>
ich eine Nebenader deſſelben ein, da der Hauptarm, von jenſeits ge¬<lb/>ſehen, unter Schilf- und Sumpfgeſtripp faſt verſchwand. Dieſer Ab¬<lb/>
weg führte mich nun gänzlich in's Oede. Ein unermeßliches Wald¬<lb/>
labyrinth verrammelte mir in jeder Richtung den Weg. Stamm an<lb/>
Stamm ſah ich nirgend zehn Schritte tief, es war ein Meer von<lb/>
Einſamkeit. Unter dieſen Umſtänden wäre ich froh geweſen, nicht<lb/>
meinen, ſondern nur irgend einen Farm zu erreichen, aber nicht die<lb/>
leiſeſte Hieroglyphe einer menſchlichen Nähe war rings zu entziffern.<lb/>
Die Merkmale, die den geſchulten Hinterwäldler auf ſeinem chaotiſchen<lb/>
Terrain leiten, waren mir als Neuling natürlich noch fremd, meinen<lb/>
gelehrten Apparat aber, Taſchencompaß und topographiſche Karte des<lb/>
County, hatte ich zu Hauſe liegen laſſen. Kurz, das Abenteuer war<lb/>
mehr unbehaglich, als romantiſch, ich kreuzte ſtundenlang hin und her,<lb/>
und ſchon fing ich zu ſorgen an.</p><lb/><p>Auf einmal erfreute mein Ohr die Stimme eines lebendigen Weſens<lb/>
und mein Auge erblickte ein kleines rothes Röckchen. Es war ein<lb/>
Kind, welches Hühner aus dem Walddickicht zu locken ſchien. Voll<lb/>
Freude rief ich das Mädchen an, welches Roß und Reiter nicht ſobald<lb/>
gewahr wurde, als es emſig die Flucht ergriff. Mir aber war der<lb/>
Fund zu koſtbar. Und mußte ich mir meine Wegweiſerin erſt erjagen,<lb/>ſo bebte ich vor dem kleinen Sabinerinnenraub auch nicht zurück. Ich<lb/>ſprang vom Pferde, das hier nicht gut fortkam, und verfolgte das<lb/>
rothe Röckchen mit lieblichen Worten und langen Schritten. Letztere<lb/>
waren glücklicher als erſtere, denn bald ergriff ich mein kleines ſcheues<lb/>
Waldfräulein in der Höhlung eines kurzen und dicken Papawſtammes,<lb/>
wohin ſie zuletzt — für das Auge gar zierlich — ihre Zuflucht ge¬<lb/>
nommen. Sie ſah wirklich wie die <hirendition="#g">Seele</hi> des Baumes aus, ſo zart<lb/>
und geiſtig ſtand ſie in dem rauhen Rahmen. Es war ein Bild wie<lb/>
im Kirchenſtyl gemalt. Ihr Köpfchen kein muthwilliges Apfelrund<lb/>
mit klugem Stutznäschen und braunen Rehaugen — nein, ein ernſt¬<lb/>
haftes, ehrbares Oval, mit edel gezogener, nachdenklicher Naſe, großem,<lb/>
waſſerblauem Blicke, der Teint weiß, die Ringellocken gelb wie der<lb/>
Mondſchein und ein langes ſchweres Gehänge. Kurz, ein Charakter¬<lb/>
bild echten germaniſchen Magdthums. Ich redete ſie auch ſofort<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[332/0350]
Uferſaum oder jener wegſamer ſchien, und als ich endlich meinen Irr¬
thum einſah und dem Bach entlang wieder zurückkehren wollte, ſchlug
ich eine Nebenader deſſelben ein, da der Hauptarm, von jenſeits ge¬
ſehen, unter Schilf- und Sumpfgeſtripp faſt verſchwand. Dieſer Ab¬
weg führte mich nun gänzlich in's Oede. Ein unermeßliches Wald¬
labyrinth verrammelte mir in jeder Richtung den Weg. Stamm an
Stamm ſah ich nirgend zehn Schritte tief, es war ein Meer von
Einſamkeit. Unter dieſen Umſtänden wäre ich froh geweſen, nicht
meinen, ſondern nur irgend einen Farm zu erreichen, aber nicht die
leiſeſte Hieroglyphe einer menſchlichen Nähe war rings zu entziffern.
Die Merkmale, die den geſchulten Hinterwäldler auf ſeinem chaotiſchen
Terrain leiten, waren mir als Neuling natürlich noch fremd, meinen
gelehrten Apparat aber, Taſchencompaß und topographiſche Karte des
County, hatte ich zu Hauſe liegen laſſen. Kurz, das Abenteuer war
mehr unbehaglich, als romantiſch, ich kreuzte ſtundenlang hin und her,
und ſchon fing ich zu ſorgen an.
Auf einmal erfreute mein Ohr die Stimme eines lebendigen Weſens
und mein Auge erblickte ein kleines rothes Röckchen. Es war ein
Kind, welches Hühner aus dem Walddickicht zu locken ſchien. Voll
Freude rief ich das Mädchen an, welches Roß und Reiter nicht ſobald
gewahr wurde, als es emſig die Flucht ergriff. Mir aber war der
Fund zu koſtbar. Und mußte ich mir meine Wegweiſerin erſt erjagen,
ſo bebte ich vor dem kleinen Sabinerinnenraub auch nicht zurück. Ich
ſprang vom Pferde, das hier nicht gut fortkam, und verfolgte das
rothe Röckchen mit lieblichen Worten und langen Schritten. Letztere
waren glücklicher als erſtere, denn bald ergriff ich mein kleines ſcheues
Waldfräulein in der Höhlung eines kurzen und dicken Papawſtammes,
wohin ſie zuletzt — für das Auge gar zierlich — ihre Zuflucht ge¬
nommen. Sie ſah wirklich wie die Seele des Baumes aus, ſo zart
und geiſtig ſtand ſie in dem rauhen Rahmen. Es war ein Bild wie
im Kirchenſtyl gemalt. Ihr Köpfchen kein muthwilliges Apfelrund
mit klugem Stutznäschen und braunen Rehaugen — nein, ein ernſt¬
haftes, ehrbares Oval, mit edel gezogener, nachdenklicher Naſe, großem,
waſſerblauem Blicke, der Teint weiß, die Ringellocken gelb wie der
Mondſchein und ein langes ſchweres Gehänge. Kurz, ein Charakter¬
bild echten germaniſchen Magdthums. Ich redete ſie auch ſofort
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Kürnberger, Ferdinand: Der Amerika-Müde. Frankfurt (Main), 1855, S. 332. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kuernberger_amerikamuede_1855/350>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.