Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Kürnberger, Ferdinand: Der Amerika-Müde. Frankfurt (Main), 1855.

Bild:
<< vorherige Seite

Ufersaum oder jener wegsamer schien, und als ich endlich meinen Irr¬
thum einsah und dem Bach entlang wieder zurückkehren wollte, schlug
ich eine Nebenader desselben ein, da der Hauptarm, von jenseits ge¬
sehen, unter Schilf- und Sumpfgestripp fast verschwand. Dieser Ab¬
weg führte mich nun gänzlich in's Oede. Ein unermeßliches Wald¬
labyrinth verrammelte mir in jeder Richtung den Weg. Stamm an
Stamm sah ich nirgend zehn Schritte tief, es war ein Meer von
Einsamkeit. Unter diesen Umständen wäre ich froh gewesen, nicht
meinen, sondern nur irgend einen Farm zu erreichen, aber nicht die
leiseste Hieroglyphe einer menschlichen Nähe war rings zu entziffern.
Die Merkmale, die den geschulten Hinterwäldler auf seinem chaotischen
Terrain leiten, waren mir als Neuling natürlich noch fremd, meinen
gelehrten Apparat aber, Taschencompaß und topographische Karte des
County, hatte ich zu Hause liegen lassen. Kurz, das Abenteuer war
mehr unbehaglich, als romantisch, ich kreuzte stundenlang hin und her,
und schon fing ich zu sorgen an.

Auf einmal erfreute mein Ohr die Stimme eines lebendigen Wesens
und mein Auge erblickte ein kleines rothes Röckchen. Es war ein
Kind, welches Hühner aus dem Walddickicht zu locken schien. Voll
Freude rief ich das Mädchen an, welches Roß und Reiter nicht sobald
gewahr wurde, als es emsig die Flucht ergriff. Mir aber war der
Fund zu kostbar. Und mußte ich mir meine Wegweiserin erst erjagen,
so bebte ich vor dem kleinen Sabinerinnenraub auch nicht zurück. Ich
sprang vom Pferde, das hier nicht gut fortkam, und verfolgte das
rothe Röckchen mit lieblichen Worten und langen Schritten. Letztere
waren glücklicher als erstere, denn bald ergriff ich mein kleines scheues
Waldfräulein in der Höhlung eines kurzen und dicken Papawstammes,
wohin sie zuletzt -- für das Auge gar zierlich -- ihre Zuflucht ge¬
nommen. Sie sah wirklich wie die Seele des Baumes aus, so zart
und geistig stand sie in dem rauhen Rahmen. Es war ein Bild wie
im Kirchenstyl gemalt. Ihr Köpfchen kein muthwilliges Apfelrund
mit klugem Stutznäschen und braunen Rehaugen -- nein, ein ernst¬
haftes, ehrbares Oval, mit edel gezogener, nachdenklicher Nase, großem,
wasserblauem Blicke, der Teint weiß, die Ringellocken gelb wie der
Mondschein und ein langes schweres Gehänge. Kurz, ein Charakter¬
bild echten germanischen Magdthums. Ich redete sie auch sofort

Uferſaum oder jener wegſamer ſchien, und als ich endlich meinen Irr¬
thum einſah und dem Bach entlang wieder zurückkehren wollte, ſchlug
ich eine Nebenader deſſelben ein, da der Hauptarm, von jenſeits ge¬
ſehen, unter Schilf- und Sumpfgeſtripp faſt verſchwand. Dieſer Ab¬
weg führte mich nun gänzlich in's Oede. Ein unermeßliches Wald¬
labyrinth verrammelte mir in jeder Richtung den Weg. Stamm an
Stamm ſah ich nirgend zehn Schritte tief, es war ein Meer von
Einſamkeit. Unter dieſen Umſtänden wäre ich froh geweſen, nicht
meinen, ſondern nur irgend einen Farm zu erreichen, aber nicht die
leiſeſte Hieroglyphe einer menſchlichen Nähe war rings zu entziffern.
Die Merkmale, die den geſchulten Hinterwäldler auf ſeinem chaotiſchen
Terrain leiten, waren mir als Neuling natürlich noch fremd, meinen
gelehrten Apparat aber, Taſchencompaß und topographiſche Karte des
County, hatte ich zu Hauſe liegen laſſen. Kurz, das Abenteuer war
mehr unbehaglich, als romantiſch, ich kreuzte ſtundenlang hin und her,
und ſchon fing ich zu ſorgen an.

Auf einmal erfreute mein Ohr die Stimme eines lebendigen Weſens
und mein Auge erblickte ein kleines rothes Röckchen. Es war ein
Kind, welches Hühner aus dem Walddickicht zu locken ſchien. Voll
Freude rief ich das Mädchen an, welches Roß und Reiter nicht ſobald
gewahr wurde, als es emſig die Flucht ergriff. Mir aber war der
Fund zu koſtbar. Und mußte ich mir meine Wegweiſerin erſt erjagen,
ſo bebte ich vor dem kleinen Sabinerinnenraub auch nicht zurück. Ich
ſprang vom Pferde, das hier nicht gut fortkam, und verfolgte das
rothe Röckchen mit lieblichen Worten und langen Schritten. Letztere
waren glücklicher als erſtere, denn bald ergriff ich mein kleines ſcheues
Waldfräulein in der Höhlung eines kurzen und dicken Papawſtammes,
wohin ſie zuletzt — für das Auge gar zierlich — ihre Zuflucht ge¬
nommen. Sie ſah wirklich wie die Seele des Baumes aus, ſo zart
und geiſtig ſtand ſie in dem rauhen Rahmen. Es war ein Bild wie
im Kirchenſtyl gemalt. Ihr Köpfchen kein muthwilliges Apfelrund
mit klugem Stutznäschen und braunen Rehaugen — nein, ein ernſt¬
haftes, ehrbares Oval, mit edel gezogener, nachdenklicher Naſe, großem,
waſſerblauem Blicke, der Teint weiß, die Ringellocken gelb wie der
Mondſchein und ein langes ſchweres Gehänge. Kurz, ein Charakter¬
bild echten germaniſchen Magdthums. Ich redete ſie auch ſofort

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0350" n="332"/>
Ufer&#x017F;aum oder jener weg&#x017F;amer &#x017F;chien, und als ich endlich meinen Irr¬<lb/>
thum ein&#x017F;ah und dem Bach entlang wieder zurückkehren wollte, &#x017F;chlug<lb/>
ich eine Nebenader de&#x017F;&#x017F;elben ein, da der Hauptarm, von jen&#x017F;eits ge¬<lb/>
&#x017F;ehen, unter Schilf- und Sumpfge&#x017F;tripp fa&#x017F;t ver&#x017F;chwand. Die&#x017F;er Ab¬<lb/>
weg führte mich nun gänzlich in's Oede. Ein unermeßliches Wald¬<lb/>
labyrinth verrammelte mir in jeder Richtung den Weg. Stamm an<lb/>
Stamm &#x017F;ah ich nirgend zehn Schritte tief, es war ein Meer von<lb/>
Ein&#x017F;amkeit. Unter die&#x017F;en Um&#x017F;tänden wäre ich froh gewe&#x017F;en, nicht<lb/>
meinen, &#x017F;ondern nur irgend einen Farm zu erreichen, aber nicht die<lb/>
lei&#x017F;e&#x017F;te Hieroglyphe einer men&#x017F;chlichen Nähe war rings zu entziffern.<lb/>
Die Merkmale, die den ge&#x017F;chulten Hinterwäldler auf &#x017F;einem chaoti&#x017F;chen<lb/>
Terrain leiten, waren mir als Neuling natürlich noch fremd, meinen<lb/>
gelehrten Apparat aber, Ta&#x017F;chencompaß und topographi&#x017F;che Karte des<lb/>
County, hatte ich zu Hau&#x017F;e liegen la&#x017F;&#x017F;en. Kurz, das Abenteuer war<lb/>
mehr unbehaglich, als romanti&#x017F;ch, ich kreuzte &#x017F;tundenlang hin und her,<lb/>
und &#x017F;chon fing ich zu &#x017F;orgen an.</p><lb/>
          <p>Auf einmal erfreute mein Ohr die Stimme eines lebendigen We&#x017F;ens<lb/>
und mein Auge erblickte ein kleines rothes Röckchen. Es war ein<lb/>
Kind, welches Hühner aus dem Walddickicht zu locken &#x017F;chien. Voll<lb/>
Freude rief ich das Mädchen an, welches Roß und Reiter nicht &#x017F;obald<lb/>
gewahr wurde, als es em&#x017F;ig die Flucht ergriff. Mir aber war der<lb/>
Fund zu ko&#x017F;tbar. Und mußte ich mir meine Wegwei&#x017F;erin er&#x017F;t erjagen,<lb/>
&#x017F;o bebte ich vor dem kleinen Sabinerinnenraub auch nicht zurück. Ich<lb/>
&#x017F;prang vom Pferde, das hier nicht gut fortkam, und verfolgte das<lb/>
rothe Röckchen mit lieblichen Worten und langen Schritten. Letztere<lb/>
waren glücklicher als er&#x017F;tere, denn bald ergriff ich mein kleines &#x017F;cheues<lb/>
Waldfräulein in der Höhlung eines kurzen und dicken Papaw&#x017F;tammes,<lb/>
wohin &#x017F;ie zuletzt &#x2014; für das Auge gar zierlich &#x2014; ihre Zuflucht ge¬<lb/>
nommen. Sie &#x017F;ah wirklich wie die <hi rendition="#g">Seele</hi> des Baumes aus, &#x017F;o zart<lb/>
und gei&#x017F;tig &#x017F;tand &#x017F;ie in dem rauhen Rahmen. Es war ein Bild wie<lb/>
im Kirchen&#x017F;tyl gemalt. Ihr Köpfchen kein muthwilliges Apfelrund<lb/>
mit klugem Stutznäschen und braunen Rehaugen &#x2014; nein, ein ern&#x017F;<lb/>
haftes, ehrbares Oval, mit edel gezogener, nachdenklicher Na&#x017F;e, großem,<lb/>
wa&#x017F;&#x017F;erblauem Blicke, der Teint weiß, die Ringellocken gelb wie der<lb/>
Mond&#x017F;chein und ein langes &#x017F;chweres Gehänge. Kurz, ein Charakter¬<lb/>
bild echten germani&#x017F;chen Magdthums. Ich redete &#x017F;ie auch &#x017F;ofort<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[332/0350] Uferſaum oder jener wegſamer ſchien, und als ich endlich meinen Irr¬ thum einſah und dem Bach entlang wieder zurückkehren wollte, ſchlug ich eine Nebenader deſſelben ein, da der Hauptarm, von jenſeits ge¬ ſehen, unter Schilf- und Sumpfgeſtripp faſt verſchwand. Dieſer Ab¬ weg führte mich nun gänzlich in's Oede. Ein unermeßliches Wald¬ labyrinth verrammelte mir in jeder Richtung den Weg. Stamm an Stamm ſah ich nirgend zehn Schritte tief, es war ein Meer von Einſamkeit. Unter dieſen Umſtänden wäre ich froh geweſen, nicht meinen, ſondern nur irgend einen Farm zu erreichen, aber nicht die leiſeſte Hieroglyphe einer menſchlichen Nähe war rings zu entziffern. Die Merkmale, die den geſchulten Hinterwäldler auf ſeinem chaotiſchen Terrain leiten, waren mir als Neuling natürlich noch fremd, meinen gelehrten Apparat aber, Taſchencompaß und topographiſche Karte des County, hatte ich zu Hauſe liegen laſſen. Kurz, das Abenteuer war mehr unbehaglich, als romantiſch, ich kreuzte ſtundenlang hin und her, und ſchon fing ich zu ſorgen an. Auf einmal erfreute mein Ohr die Stimme eines lebendigen Weſens und mein Auge erblickte ein kleines rothes Röckchen. Es war ein Kind, welches Hühner aus dem Walddickicht zu locken ſchien. Voll Freude rief ich das Mädchen an, welches Roß und Reiter nicht ſobald gewahr wurde, als es emſig die Flucht ergriff. Mir aber war der Fund zu koſtbar. Und mußte ich mir meine Wegweiſerin erſt erjagen, ſo bebte ich vor dem kleinen Sabinerinnenraub auch nicht zurück. Ich ſprang vom Pferde, das hier nicht gut fortkam, und verfolgte das rothe Röckchen mit lieblichen Worten und langen Schritten. Letztere waren glücklicher als erſtere, denn bald ergriff ich mein kleines ſcheues Waldfräulein in der Höhlung eines kurzen und dicken Papawſtammes, wohin ſie zuletzt — für das Auge gar zierlich — ihre Zuflucht ge¬ nommen. Sie ſah wirklich wie die Seele des Baumes aus, ſo zart und geiſtig ſtand ſie in dem rauhen Rahmen. Es war ein Bild wie im Kirchenſtyl gemalt. Ihr Köpfchen kein muthwilliges Apfelrund mit klugem Stutznäschen und braunen Rehaugen — nein, ein ernſt¬ haftes, ehrbares Oval, mit edel gezogener, nachdenklicher Naſe, großem, waſſerblauem Blicke, der Teint weiß, die Ringellocken gelb wie der Mondſchein und ein langes ſchweres Gehänge. Kurz, ein Charakter¬ bild echten germaniſchen Magdthums. Ich redete ſie auch ſofort

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/kuernberger_amerikamuede_1855
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/kuernberger_amerikamuede_1855/350
Zitationshilfe: Kürnberger, Ferdinand: Der Amerika-Müde. Frankfurt (Main), 1855, S. 332. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kuernberger_amerikamuede_1855/350>, abgerufen am 22.11.2024.