Politische Freiheit, erwiederte der Tischler -- wo ist sie denn? und blickte dabei um sich, wie um ein verlorenes Taschenmesser, -- ich seh nichts von. Ich war in Pittsburg als sie im vorigen Jahr den Präsidenten wählten, -- Prügeln sah ich wohl, aber keine Frei¬ heit. Da liefen sie die eine Straße herauf mit schwarzen Cocarden und die andere Straße mit rothen, und wie sie an der City-Hall zusam¬ men stießen, ging der Tanz an. Es war ein Crawall -- Riot heißen sie's -- von einigen tausend Personen, und da wählten sie den Prä¬ sidenten, daß man bis in die Nacht die Pistolen hörte, und das Blut lief herum wie in einem Schlachthaus. Es sind gar unbändige Menschen hier. Wo wir Deutsche einen Wortwechsel führen, da rennen sie gleich mit Messern und Schießgewehr gegen einander los. Immer geschossen, immer gestochen! Wie das unvernünftige Vieh! Es ist, als ob sie gar nichts im Schädel hätten, alles in der Faust. Nein, Gott weiß, ich habe einen Ekel an den großen Städten. Aber auf dem Lande sitzt die Freiheit eben auch nicht zu dick. Bäume umhauen, Fenzen machen, Blockhäuser bauen, Wild schießen, Vieh hüthen, das ist die erste Frei¬ heit. Man sieht die Leute wie Sclaven sich rackern, wer nie in der Näh war, hat keinen Begriff von. Dabei wohnen sie halbe Tagreisen auseinander, und kommen sie zusammen, so versteht oft keiner den an¬ dern nicht, die ganze Gemeind' ist neunerlei Volk. Das macht sich dann irgend ein verlaufener Yankee prächtig zu Nutzen. Der thut in solch einer Wüstenei einen Storeladen auf, und damit ist er König. Vom Kleinsten bis zum Größten, Alles, was der Mensch braucht, führt er in seinem Kram. Wer nicht fünfzig Meilen weit in die Stadt fahren oder reiten will, der findet jeden Brettnagel bei ihm, und jede Zwiebel nimmt er an Zahlungs Statt an. Die ganze Gemeind' steht in Rechnung bei ihm, er spielt absolut den Meister. Der hat dann die Stimmen von selbst. Ich möcht's Keinem rathen, und ihm die Wahl verweigern. Diese Rackers sind meistens auch Postmeister, und so ein Kerl ist im Stand und hält Einem die Briefe auf, wenn man ihn nicht auf den Stimmzettel schreibt. Ja, ja, das thun sie. Sie sind wie Räuber, sie erlauben sich Alles. Einem Amerikaner ist jedes Mittel recht. So bringen es die Leute von Amt zu Amt, die Gegend wird volkreicher, es kommen oft die besten Köpfe heran, aber der La¬ denhalter hat für ewige Zeiten das Prä. Hat er vielleicht noch einen
Politiſche Freiheit, erwiederte der Tiſchler — wo iſt ſie denn? und blickte dabei um ſich, wie um ein verlorenes Taſchenmeſſer, — ich ſeh nichts von. Ich war in Pittsburg als ſie im vorigen Jahr den Präſidenten wählten, — Prügeln ſah ich wohl, aber keine Frei¬ heit. Da liefen ſie die eine Straße herauf mit ſchwarzen Cocarden und die andere Straße mit rothen, und wie ſie an der City-Hall zuſam¬ men ſtießen, ging der Tanz an. Es war ein Crawall — Riot heißen ſie's — von einigen tauſend Perſonen, und da wählten ſie den Prä¬ ſidenten, daß man bis in die Nacht die Piſtolen hörte, und das Blut lief herum wie in einem Schlachthaus. Es ſind gar unbändige Menſchen hier. Wo wir Deutſche einen Wortwechſel führen, da rennen ſie gleich mit Meſſern und Schießgewehr gegen einander los. Immer geſchoſſen, immer geſtochen! Wie das unvernünftige Vieh! Es iſt, als ob ſie gar nichts im Schädel hätten, alles in der Fauſt. Nein, Gott weiß, ich habe einen Ekel an den großen Städten. Aber auf dem Lande ſitzt die Freiheit eben auch nicht zu dick. Bäume umhauen, Fenzen machen, Blockhäuſer bauen, Wild ſchießen, Vieh hüthen, das iſt die erſte Frei¬ heit. Man ſieht die Leute wie Sclaven ſich rackern, wer nie in der Näh war, hat keinen Begriff von. Dabei wohnen ſie halbe Tagreiſen auseinander, und kommen ſie zuſammen, ſo verſteht oft keiner den an¬ dern nicht, die ganze Gemeind' iſt neunerlei Volk. Das macht ſich dann irgend ein verlaufener Yankee prächtig zu Nutzen. Der thut in ſolch einer Wüſtenei einen Storeladen auf, und damit iſt er König. Vom Kleinſten bis zum Größten, Alles, was der Menſch braucht, führt er in ſeinem Kram. Wer nicht fünfzig Meilen weit in die Stadt fahren oder reiten will, der findet jeden Brettnagel bei ihm, und jede Zwiebel nimmt er an Zahlungs Statt an. Die ganze Gemeind' ſteht in Rechnung bei ihm, er ſpielt abſolut den Meiſter. Der hat dann die Stimmen von ſelbſt. Ich möcht's Keinem rathen, und ihm die Wahl verweigern. Dieſe Rackers ſind meiſtens auch Poſtmeiſter, und ſo ein Kerl iſt im Stand und hält Einem die Briefe auf, wenn man ihn nicht auf den Stimmzettel ſchreibt. Ja, ja, das thun ſie. Sie ſind wie Räuber, ſie erlauben ſich Alles. Einem Amerikaner iſt jedes Mittel recht. So bringen es die Leute von Amt zu Amt, die Gegend wird volkreicher, es kommen oft die beſten Köpfe heran, aber der La¬ denhalter hat für ewige Zeiten das Prä. Hat er vielleicht noch einen
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Politiſche Freiheit, erwiederte der Tiſchler — wo iſt ſie denn?
und blickte dabei um ſich, wie um ein verlorenes Taſchenmeſſer, —
ich ſeh nichts von. Ich war in Pittsburg als ſie im vorigen Jahr
den Präſidenten wählten, — Prügeln ſah ich wohl, aber keine Frei¬
heit. Da liefen ſie die eine Straße herauf mit ſchwarzen Cocarden
und die andere Straße mit rothen, und wie ſie an der City-Hall zuſam¬
men ſtießen, ging der Tanz an. Es war ein Crawall — Riot heißen
ſie's — von einigen tauſend Perſonen, und da wählten ſie den Prä¬
ſidenten, daß man bis in die Nacht die Piſtolen hörte, und das Blut lief
herum wie in einem Schlachthaus. Es ſind gar unbändige Menſchen
hier. Wo wir Deutſche einen Wortwechſel führen, da rennen ſie gleich
mit Meſſern und Schießgewehr gegen einander los. Immer geſchoſſen,
immer geſtochen! Wie das unvernünftige Vieh! Es iſt, als ob ſie gar
nichts im Schädel hätten, alles in der Fauſt. Nein, Gott weiß, ich
habe einen Ekel an den großen Städten. Aber auf dem Lande ſitzt die
Freiheit eben auch nicht zu dick. Bäume umhauen, Fenzen machen,
Blockhäuſer bauen, Wild ſchießen, Vieh hüthen, das iſt die erſte Frei¬
heit. Man ſieht die Leute wie Sclaven ſich rackern, wer nie in der
Näh war, hat keinen Begriff von. Dabei wohnen ſie halbe Tagreiſen
auseinander, und kommen ſie zuſammen, ſo verſteht oft keiner den an¬
dern nicht, die ganze Gemeind' iſt neunerlei Volk. Das macht ſich
dann irgend ein verlaufener Yankee prächtig zu Nutzen. Der thut in
ſolch einer Wüſtenei einen Storeladen auf, und damit iſt er König.
Vom Kleinſten bis zum Größten, Alles, was der Menſch braucht,
führt er in ſeinem Kram. Wer nicht fünfzig Meilen weit in die Stadt
fahren oder reiten will, der findet jeden Brettnagel bei ihm, und jede
Zwiebel nimmt er an Zahlungs Statt an. Die ganze Gemeind' ſteht
in Rechnung bei ihm, er ſpielt abſolut den Meiſter. Der hat dann
die Stimmen von ſelbſt. Ich möcht's Keinem rathen, und ihm die
Wahl verweigern. Dieſe Rackers ſind meiſtens auch Poſtmeiſter, und
ſo ein Kerl iſt im Stand und hält Einem die Briefe auf, wenn man
ihn nicht auf den Stimmzettel ſchreibt. Ja, ja, das thun ſie. Sie
ſind wie Räuber, ſie erlauben ſich Alles. Einem Amerikaner iſt jedes
Mittel recht. So bringen es die Leute von Amt zu Amt, die Gegend
wird volkreicher, es kommen oft die beſten Köpfe heran, aber der La¬
denhalter hat für ewige Zeiten das Prä. Hat er vielleicht noch einen
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Kürnberger, Ferdinand: Der Amerika-Müde. Frankfurt (Main), 1855, S. 339. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kuernberger_amerikamuede_1855/357>, abgerufen am 24.11.2024.
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