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Kürnberger, Ferdinand: Der Amerika-Müde. Frankfurt (Main), 1855.

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dieser Religionsbrand konnten nicht anders, als eine versengende Ehe
eingehen. Es war ein Fackeltanz in einer Pulverkammer. Das Un¬
glück ging so deutlich vor meinen Augen vor, ich konnte sogar das
Opfer nennen, wenn ich nur etwas genauer hinsah. Auf einmal
sah ich es auch
. Ein Kindesbild zart und leicht, stand meinem
Auge gegenüber auf dem Stoppelfeld. Es war Annette. Sie lächelte
und war jugendlich glücklich. Plötzlich griff sie sich an die Stirn, ein
blauer Funke sprang aus ihrem Scheitel, sie schrie durchdringend auf,
dann war sie weg! Ich lief in die Stoppeln um das verschwundene
Körperchen aufzufinden; das heiße Stroh geißelte mich wie mit glü¬
henden Ruthen, ich rief Annette! Annette! -- umsonst; nirgends eine
Spur des lieben Mädchens.

In diesem Augenblicke rief die Glocke der Hofstelle das Vieh zur
Maisfütterung. Ich wunderte mich, denn die Glocke war von Meiers-
Farm. An welcher Seite des Waldes war ich herausgekommen, daß
mir die Farm hier so ganz eine unbekannte Ansicht bot? Aber froh
dieser Entdeckung rannte ich sogleich dem Gehöfte zu. Die Familie
setzte sich just zu Tische als ich eintrat. Annette hatte an einem Klei¬
dungsstück für das camp-meeting genäht, und war über den Eifer
der Arbeit ganz roth geworden. Ich nahm das liebliche Köpfchen
zwischen meine Hände und sagte: Schwester, wenn du mich lieb hast,
so bleibst du morgen zu Hause. Es kommt ein Gewitter und du wirst
vom Blitz erschlagen. Das Kind sah mich verwundert an und der
Meier murmelte mit dem bekannten Ausdruck seiner düstern Resig¬
nation: Wir haben nicht Geld genug für den Blitz. Der Blitz wird
vom Geld angezogen, wie die ganze Welt.

Nach Tische regten sich alle Hände im Hause zur morgigen Wald¬
fahrt. Ich suchte meine Stimmung zu übermannen, indem ich nach
Kräften mithalf. Annette war voll Jubel. Sie freute sich auf die
große Gesellschaft von Menschen, sie hoffte Mädchen ihres Gleichen als
Gespielinnen zu finden, sie wollte nach Blumensaamen umfragen und
handeln und tauschen, kurz ihr kleines Leben war im Nothglühen.
Ich hörte zu mit unbezwinglicher Wehmuth. Sie fragte zuletzt: Herr
Bruder, bist du bös? Ich zog sie an mich und sagte, indem ich mich
ganz meiner Trauer überließ: Siehe, Schwesterchen, ich bat dich, zu
Hause zu bleiben, und du liegst mir mit der Reise im Ohr. Du hast

dieſer Religionsbrand konnten nicht anders, als eine verſengende Ehe
eingehen. Es war ein Fackeltanz in einer Pulverkammer. Das Un¬
glück ging ſo deutlich vor meinen Augen vor, ich konnte ſogar das
Opfer nennen, wenn ich nur etwas genauer hinſah. Auf einmal
ſah ich es auch
. Ein Kindesbild zart und leicht, ſtand meinem
Auge gegenüber auf dem Stoppelfeld. Es war Annette. Sie lächelte
und war jugendlich glücklich. Plötzlich griff ſie ſich an die Stirn, ein
blauer Funke ſprang aus ihrem Scheitel, ſie ſchrie durchdringend auf,
dann war ſie weg! Ich lief in die Stoppeln um das verſchwundene
Körperchen aufzufinden; das heiße Stroh geißelte mich wie mit glü¬
henden Ruthen, ich rief Annette! Annette! — umſonſt; nirgends eine
Spur des lieben Mädchens.

In dieſem Augenblicke rief die Glocke der Hofſtelle das Vieh zur
Maisfütterung. Ich wunderte mich, denn die Glocke war von Meiers-
Farm. An welcher Seite des Waldes war ich herausgekommen, daß
mir die Farm hier ſo ganz eine unbekannte Anſicht bot? Aber froh
dieſer Entdeckung rannte ich ſogleich dem Gehöfte zu. Die Familie
ſetzte ſich juſt zu Tiſche als ich eintrat. Annette hatte an einem Klei¬
dungsſtück für das camp-meeting genäht, und war über den Eifer
der Arbeit ganz roth geworden. Ich nahm das liebliche Köpfchen
zwiſchen meine Hände und ſagte: Schweſter, wenn du mich lieb haſt,
ſo bleibſt du morgen zu Hauſe. Es kommt ein Gewitter und du wirſt
vom Blitz erſchlagen. Das Kind ſah mich verwundert an und der
Meier murmelte mit dem bekannten Ausdruck ſeiner düſtern Reſig¬
nation: Wir haben nicht Geld genug für den Blitz. Der Blitz wird
vom Geld angezogen, wie die ganze Welt.

Nach Tiſche regten ſich alle Hände im Hauſe zur morgigen Wald¬
fahrt. Ich ſuchte meine Stimmung zu übermannen, indem ich nach
Kräften mithalf. Annette war voll Jubel. Sie freute ſich auf die
große Geſellſchaft von Menſchen, ſie hoffte Mädchen ihres Gleichen als
Geſpielinnen zu finden, ſie wollte nach Blumenſaamen umfragen und
handeln und tauſchen, kurz ihr kleines Leben war im Nothglühen.
Ich hörte zu mit unbezwinglicher Wehmuth. Sie fragte zuletzt: Herr
Bruder, biſt du bös? Ich zog ſie an mich und ſagte, indem ich mich
ganz meiner Trauer überließ: Siehe, Schweſterchen, ich bat dich, zu
Hauſe zu bleiben, und du liegſt mir mit der Reiſe im Ohr. Du haſt

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[377/0395] dieſer Religionsbrand konnten nicht anders, als eine verſengende Ehe eingehen. Es war ein Fackeltanz in einer Pulverkammer. Das Un¬ glück ging ſo deutlich vor meinen Augen vor, ich konnte ſogar das Opfer nennen, wenn ich nur etwas genauer hinſah. Auf einmal ſah ich es auch. Ein Kindesbild zart und leicht, ſtand meinem Auge gegenüber auf dem Stoppelfeld. Es war Annette. Sie lächelte und war jugendlich glücklich. Plötzlich griff ſie ſich an die Stirn, ein blauer Funke ſprang aus ihrem Scheitel, ſie ſchrie durchdringend auf, dann war ſie weg! Ich lief in die Stoppeln um das verſchwundene Körperchen aufzufinden; das heiße Stroh geißelte mich wie mit glü¬ henden Ruthen, ich rief Annette! Annette! — umſonſt; nirgends eine Spur des lieben Mädchens. In dieſem Augenblicke rief die Glocke der Hofſtelle das Vieh zur Maisfütterung. Ich wunderte mich, denn die Glocke war von Meiers- Farm. An welcher Seite des Waldes war ich herausgekommen, daß mir die Farm hier ſo ganz eine unbekannte Anſicht bot? Aber froh dieſer Entdeckung rannte ich ſogleich dem Gehöfte zu. Die Familie ſetzte ſich juſt zu Tiſche als ich eintrat. Annette hatte an einem Klei¬ dungsſtück für das camp-meeting genäht, und war über den Eifer der Arbeit ganz roth geworden. Ich nahm das liebliche Köpfchen zwiſchen meine Hände und ſagte: Schweſter, wenn du mich lieb haſt, ſo bleibſt du morgen zu Hauſe. Es kommt ein Gewitter und du wirſt vom Blitz erſchlagen. Das Kind ſah mich verwundert an und der Meier murmelte mit dem bekannten Ausdruck ſeiner düſtern Reſig¬ nation: Wir haben nicht Geld genug für den Blitz. Der Blitz wird vom Geld angezogen, wie die ganze Welt. Nach Tiſche regten ſich alle Hände im Hauſe zur morgigen Wald¬ fahrt. Ich ſuchte meine Stimmung zu übermannen, indem ich nach Kräften mithalf. Annette war voll Jubel. Sie freute ſich auf die große Geſellſchaft von Menſchen, ſie hoffte Mädchen ihres Gleichen als Geſpielinnen zu finden, ſie wollte nach Blumenſaamen umfragen und handeln und tauſchen, kurz ihr kleines Leben war im Nothglühen. Ich hörte zu mit unbezwinglicher Wehmuth. Sie fragte zuletzt: Herr Bruder, biſt du bös? Ich zog ſie an mich und ſagte, indem ich mich ganz meiner Trauer überließ: Siehe, Schweſterchen, ich bat dich, zu Hauſe zu bleiben, und du liegſt mir mit der Reiſe im Ohr. Du haſt

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Zitationshilfe: Kürnberger, Ferdinand: Der Amerika-Müde. Frankfurt (Main), 1855, S. 377. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kuernberger_amerikamuede_1855/395>, abgerufen am 24.11.2024.