Tragik auf der entsetzlichen Kante ihrer stets geschärften Selbstqual zurücklegen, bis dann der Tod, der endliche, persönliche Tod, irgend einmal ein vergessenes, blödsinniges Greisesauge bricht, und die Welt wieder erinnert wird, das war einer jener Kometen, dessen erstes Erscheinen schon ihm und ihr den vernichtenden Zusammenstoß zu bedeuten schien! --
Nein! nicht hier und nicht heute endet die Bahn unsers Helden; seine Uhr hatte noch länger zu laufen. --
Moorfeld ritt bis zur Erschöpfung. Wohl nannte er das Reiten einst die schönste Ehe zwischen dem Menschen und der Naturkraft. Pferd und Reiter wirken auf einander sympathetisch zurück. Moorfeld's Raserei war mit Blitzesverständniß in das Thier gefahren, die Ohn¬ macht des Thieres gab ihm hierauf Ruhe und Sanftmuth. Sein ver¬ störtes Auge gewann wieder Blicke für die Außenwelt.
Die Gegend, die Moorfeld durchritt, zeigte größtentheils einen öden, unbestimmten Charakter. In den früheren Grenzkriegen mit den In¬ dianern waren zwischen dem Erie und Ohio große Waldstrecken nieder¬ gebrannt worden, um den Eingebornen das Jagdgebiet zu verderben. Der jüngere Waldanflug hatte nirgend noch die Kraft und Fülle des alten, geschlossenen Urwalds erreicht; hätte die Sonne nicht so erstickend heiß gebrannt, so konnte der Wanderer häufig glauben, durch die Re¬ gionen des Buschholzes im hohen Norden zu reisen. Die verwüsteten Bodenblößen, einer langen Austrocknung preisgegeben, singen nur lang¬ sam an, unter dem Schutz des Nachwuchses Feuchtigkeit und Humus wieder zu sammeln. Oft lagen sie als nackte Wüstenstriche da, nicht Wald, nicht Prairie, ja und nicht einmal Haide mit dem ästhetischen Charakter der Haide-Tinten und Linien. Hin und wieder stand eine flache, formlos begrenzte Sumpflache auf diesen Steppen, wahrschein¬ lich die entartete Nachkommenschaft früherer Quellen und Bäche, welche des Waldschattens, ihrer natürlichen Leiter, beraubt, das ursprüngliche Rinnsal verloren. Jetzt irrten sie heimatlos über die veränderte Erde, verschwanden auf sandigem Boden, standen auf fettem und thonigem als Moräste. In diesen Einöden scheuchte Moorfeld's Ritt nur selten ein wildes Truthuhn, oder ein verirrtes virginisches Repphuhn auf; aber Schwärme von Raben befleckten den klarblauen Herbsthimmel, oder ein Aasgeier kreischte hoch über Schußweite. In Busch und Gestripp raschelte zuweilen eine Ratte -- Waidwild, überall seltener als man
Tragik auf der entſetzlichen Kante ihrer ſtets geſchärften Selbſtqual zurücklegen, bis dann der Tod, der endliche, perſönliche Tod, irgend einmal ein vergeſſenes, blödſinniges Greiſesauge bricht, und die Welt wieder erinnert wird, das war einer jener Kometen, deſſen erſtes Erſcheinen ſchon ihm und ihr den vernichtenden Zuſammenſtoß zu bedeuten ſchien! —
Nein! nicht hier und nicht heute endet die Bahn unſers Helden; ſeine Uhr hatte noch länger zu laufen. —
Moorfeld ritt bis zur Erſchöpfung. Wohl nannte er das Reiten einſt die ſchönſte Ehe zwiſchen dem Menſchen und der Naturkraft. Pferd und Reiter wirken auf einander ſympathetiſch zurück. Moorfeld's Raſerei war mit Blitzesverſtändniß in das Thier gefahren, die Ohn¬ macht des Thieres gab ihm hierauf Ruhe und Sanftmuth. Sein ver¬ ſtörtes Auge gewann wieder Blicke für die Außenwelt.
Die Gegend, die Moorfeld durchritt, zeigte größtentheils einen öden, unbeſtimmten Charakter. In den früheren Grenzkriegen mit den In¬ dianern waren zwiſchen dem Erie und Ohio große Waldſtrecken nieder¬ gebrannt worden, um den Eingebornen das Jagdgebiet zu verderben. Der jüngere Waldanflug hatte nirgend noch die Kraft und Fülle des alten, geſchloſſenen Urwalds erreicht; hätte die Sonne nicht ſo erſtickend heiß gebrannt, ſo konnte der Wanderer häufig glauben, durch die Re¬ gionen des Buſchholzes im hohen Norden zu reiſen. Die verwüſteten Bodenblößen, einer langen Austrocknung preisgegeben, ſingen nur lang¬ ſam an, unter dem Schutz des Nachwuchſes Feuchtigkeit und Humus wieder zu ſammeln. Oft lagen ſie als nackte Wüſtenſtriche da, nicht Wald, nicht Prairie, ja und nicht einmal Haide mit dem äſthetiſchen Charakter der Haide-Tinten und Linien. Hin und wieder ſtand eine flache, formlos begrenzte Sumpflache auf dieſen Steppen, wahrſchein¬ lich die entartete Nachkommenſchaft früherer Quellen und Bäche, welche des Waldſchattens, ihrer natürlichen Leiter, beraubt, das urſprüngliche Rinnſal verloren. Jetzt irrten ſie heimatlos über die veränderte Erde, verſchwanden auf ſandigem Boden, ſtanden auf fettem und thonigem als Moräſte. In dieſen Einöden ſcheuchte Moorfeld's Ritt nur ſelten ein wildes Truthuhn, oder ein verirrtes virginiſches Repphuhn auf; aber Schwärme von Raben befleckten den klarblauen Herbſthimmel, oder ein Aasgeier kreiſchte hoch über Schußweite. In Buſch und Geſtripp raſchelte zuweilen eine Ratte — Waidwild, überall ſeltener als man
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><hirendition="#g"><pbfacs="#f0419"n="401"/>
Tragik</hi> auf der entſetzlichen Kante ihrer ſtets geſchärften Selbſtqual<lb/>
zurücklegen, bis dann der Tod, der endliche, perſönliche Tod, irgend<lb/>
einmal ein vergeſſenes, blödſinniges Greiſesauge bricht, und die Welt<lb/>
wieder erinnert wird, das war einer jener Kometen, deſſen erſtes Erſcheinen<lb/>ſchon ihm und ihr den vernichtenden Zuſammenſtoß zu bedeuten ſchien! —</p><lb/><p>Nein! nicht hier und nicht heute endet die Bahn unſers Helden;<lb/>ſeine Uhr hatte noch länger zu laufen. —</p><lb/><p>Moorfeld ritt bis zur Erſchöpfung. Wohl nannte er das Reiten<lb/>
einſt die ſchönſte Ehe zwiſchen dem Menſchen und der Naturkraft.<lb/>
Pferd und Reiter wirken auf einander ſympathetiſch zurück. Moorfeld's<lb/>
Raſerei war mit Blitzesverſtändniß in das Thier gefahren, die Ohn¬<lb/>
macht des Thieres gab ihm hierauf Ruhe und Sanftmuth. Sein ver¬<lb/>ſtörtes Auge gewann wieder Blicke für die Außenwelt.</p><lb/><p>Die Gegend, die Moorfeld durchritt, zeigte größtentheils einen öden,<lb/>
unbeſtimmten Charakter. In den früheren Grenzkriegen mit den In¬<lb/>
dianern waren zwiſchen dem Erie und Ohio große Waldſtrecken nieder¬<lb/>
gebrannt worden, um den Eingebornen das Jagdgebiet zu verderben.<lb/>
Der jüngere Waldanflug hatte nirgend noch die Kraft und Fülle des<lb/>
alten, geſchloſſenen Urwalds erreicht; hätte die Sonne nicht ſo erſtickend<lb/>
heiß gebrannt, ſo konnte der Wanderer häufig glauben, durch die Re¬<lb/>
gionen des Buſchholzes im hohen Norden zu reiſen. Die verwüſteten<lb/>
Bodenblößen, einer langen Austrocknung preisgegeben, ſingen nur lang¬<lb/>ſam an, unter dem Schutz des Nachwuchſes Feuchtigkeit und Humus<lb/>
wieder zu ſammeln. Oft lagen ſie als nackte Wüſtenſtriche da, nicht<lb/>
Wald, nicht Prairie, ja und nicht einmal <hirendition="#g">Haide</hi> mit dem äſthetiſchen<lb/>
Charakter der Haide-Tinten und Linien. Hin und wieder ſtand eine<lb/>
flache, formlos begrenzte Sumpflache auf dieſen Steppen, wahrſchein¬<lb/>
lich die entartete Nachkommenſchaft früherer Quellen und Bäche, welche<lb/>
des Waldſchattens, ihrer natürlichen Leiter, beraubt, das urſprüngliche<lb/>
Rinnſal verloren. Jetzt irrten ſie heimatlos über die veränderte Erde,<lb/>
verſchwanden auf ſandigem Boden, ſtanden auf fettem und thonigem<lb/>
als Moräſte. In dieſen Einöden ſcheuchte Moorfeld's Ritt nur ſelten<lb/>
ein wildes Truthuhn, oder ein verirrtes virginiſches Repphuhn auf;<lb/>
aber Schwärme von Raben befleckten den klarblauen Herbſthimmel, oder<lb/>
ein Aasgeier kreiſchte hoch über Schußweite. In Buſch und Geſtripp<lb/>
raſchelte zuweilen eine Ratte — Waidwild, überall ſeltener als man<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[401/0419]
Tragik auf der entſetzlichen Kante ihrer ſtets geſchärften Selbſtqual
zurücklegen, bis dann der Tod, der endliche, perſönliche Tod, irgend
einmal ein vergeſſenes, blödſinniges Greiſesauge bricht, und die Welt
wieder erinnert wird, das war einer jener Kometen, deſſen erſtes Erſcheinen
ſchon ihm und ihr den vernichtenden Zuſammenſtoß zu bedeuten ſchien! —
Nein! nicht hier und nicht heute endet die Bahn unſers Helden;
ſeine Uhr hatte noch länger zu laufen. —
Moorfeld ritt bis zur Erſchöpfung. Wohl nannte er das Reiten
einſt die ſchönſte Ehe zwiſchen dem Menſchen und der Naturkraft.
Pferd und Reiter wirken auf einander ſympathetiſch zurück. Moorfeld's
Raſerei war mit Blitzesverſtändniß in das Thier gefahren, die Ohn¬
macht des Thieres gab ihm hierauf Ruhe und Sanftmuth. Sein ver¬
ſtörtes Auge gewann wieder Blicke für die Außenwelt.
Die Gegend, die Moorfeld durchritt, zeigte größtentheils einen öden,
unbeſtimmten Charakter. In den früheren Grenzkriegen mit den In¬
dianern waren zwiſchen dem Erie und Ohio große Waldſtrecken nieder¬
gebrannt worden, um den Eingebornen das Jagdgebiet zu verderben.
Der jüngere Waldanflug hatte nirgend noch die Kraft und Fülle des
alten, geſchloſſenen Urwalds erreicht; hätte die Sonne nicht ſo erſtickend
heiß gebrannt, ſo konnte der Wanderer häufig glauben, durch die Re¬
gionen des Buſchholzes im hohen Norden zu reiſen. Die verwüſteten
Bodenblößen, einer langen Austrocknung preisgegeben, ſingen nur lang¬
ſam an, unter dem Schutz des Nachwuchſes Feuchtigkeit und Humus
wieder zu ſammeln. Oft lagen ſie als nackte Wüſtenſtriche da, nicht
Wald, nicht Prairie, ja und nicht einmal Haide mit dem äſthetiſchen
Charakter der Haide-Tinten und Linien. Hin und wieder ſtand eine
flache, formlos begrenzte Sumpflache auf dieſen Steppen, wahrſchein¬
lich die entartete Nachkommenſchaft früherer Quellen und Bäche, welche
des Waldſchattens, ihrer natürlichen Leiter, beraubt, das urſprüngliche
Rinnſal verloren. Jetzt irrten ſie heimatlos über die veränderte Erde,
verſchwanden auf ſandigem Boden, ſtanden auf fettem und thonigem
als Moräſte. In dieſen Einöden ſcheuchte Moorfeld's Ritt nur ſelten
ein wildes Truthuhn, oder ein verirrtes virginiſches Repphuhn auf;
aber Schwärme von Raben befleckten den klarblauen Herbſthimmel, oder
ein Aasgeier kreiſchte hoch über Schußweite. In Buſch und Geſtripp
raſchelte zuweilen eine Ratte — Waidwild, überall ſeltener als man
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Kürnberger, Ferdinand: Der Amerika-Müde. Frankfurt (Main), 1855, S. 401. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kuernberger_amerikamuede_1855/419>, abgerufen am 24.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.