Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Kürnberger, Ferdinand: Der Amerika-Müde. Frankfurt (Main), 1855.

Bild:
<< vorherige Seite

Wo begänne und wo endete der groß und wild gezeichnete Carton
eines amerikanischen Trapperlebens? Jede Stunde darin ist ein Bild
für einen Michael Angelo, jeder Tag ein Epos von Abenteuern,
Kämpfen, Gefahren, Heldenthaten, Unthaten. Wenn der Trapper von
St. Louis oder Independence aufbricht mit seinen Pferden und Maul¬
thieren, seinen Zeltwagen, seiner ungeheuren "Rifle" sammt seinen
Vorräthen an Pulver und Blei, -- so hat er das Uhrblatt der Civi¬
lisation hinter sich zertrümmert, sein Tag ist nicht mehr Sonnen-,
sondern Kometenbahn. Uebersprungen ist der schützende, nivellirende
Damm des Gesetzes, er wirft sich in den Ocean der ewig originellen,
ewig erfinderischen, ewig vernichtenden und im Guten und Schlimmen
ewig sich selbst gehorchenden Noth. Aus diesem Ocean tauchen dann
alle jene Schwärme von Ungeheuern wieder auf, die der Mensch seit
Theseus und Herkules, seit Thyest und Atreus von der Erde gebannt
glaubte. Frische Schrecken und frische Freuden schöpft er aus einer
jugendlichen Urweltsnatur, -- die Freuden kurz und ausschweifend,
wie eine Hochzeit der Lapithen und Centauren, die Schrecken anhaltend,
mit einem festen, mannherzigen, unter uns nicht mehr leserlichen
Muthe. Sein ostensibles Ziel ist: Biber zu fangen, im Grunde geht
er aber ohne es selbst zu wissen, nur jenem Urruf nach Freiheit nach,
welcher in keiner menschlichen Brust je verstummt, und wenn er sich
den Grenzen eines Landes nähert, worin auf einer Quadratmeile sechs
Ackerbauer sitzen, so klagt er über den "verengten Raum".

Diesen Freiheitstrieb faßte Moorfeld auch als den eigentlichen Kern
all jener überwuchernden Begebenheitspoesie. Psychologisch merkwürdiger
als die ganze Romantik des Trapperlebens wurde ihm daher bald die
Frage: wie ein Trapper aufhören könne ein Trapper zu sein? Seine
äußere Aufmerksamkeit war lang schon gesättigt, vielleicht übersättigt,
als er sich's nicht versagen mochte, noch diese Frage zu thun.

Es fehlte wenig, daß sie der Canadier fast übel nahm. Parbleu!
antwortete er, ich war kein vite-poche-Mann, das mögen Sie glauben.
Auch mein Kamerad stand seinen Mann, der gute Au Reste, das hat er hun¬
dertmal bewiesen. Der arme Teufel kam freilich mit einem verflucht gebro¬
chenen Herzen, wie sie's nennen, in unsere Gesellschaft; die Bourgeois in
Cincinnati hatten ihn abscheulich ausgerieben und Weib und Kind war
ihm darüber untergegangen, -- er hatte Unglück haufenweis! Sein

Wo begänne und wo endete der groß und wild gezeichnete Carton
eines amerikaniſchen Trapperlebens? Jede Stunde darin iſt ein Bild
für einen Michael Angelo, jeder Tag ein Epos von Abenteuern,
Kämpfen, Gefahren, Heldenthaten, Unthaten. Wenn der Trapper von
St. Louis oder Independence aufbricht mit ſeinen Pferden und Maul¬
thieren, ſeinen Zeltwagen, ſeiner ungeheuren „Rifle“ ſammt ſeinen
Vorräthen an Pulver und Blei, — ſo hat er das Uhrblatt der Civi¬
liſation hinter ſich zertrümmert, ſein Tag iſt nicht mehr Sonnen-,
ſondern Kometenbahn. Ueberſprungen iſt der ſchützende, nivellirende
Damm des Geſetzes, er wirft ſich in den Ocean der ewig originellen,
ewig erfinderiſchen, ewig vernichtenden und im Guten und Schlimmen
ewig ſich ſelbſt gehorchenden Noth. Aus dieſem Ocean tauchen dann
alle jene Schwärme von Ungeheuern wieder auf, die der Menſch ſeit
Theſeus und Herkules, ſeit Thyeſt und Atreus von der Erde gebannt
glaubte. Friſche Schrecken und friſche Freuden ſchöpft er aus einer
jugendlichen Urweltsnatur, — die Freuden kurz und ausſchweifend,
wie eine Hochzeit der Lapithen und Centauren, die Schrecken anhaltend,
mit einem feſten, mannherzigen, unter uns nicht mehr leſerlichen
Muthe. Sein oſtenſibles Ziel iſt: Biber zu fangen, im Grunde geht
er aber ohne es ſelbſt zu wiſſen, nur jenem Urruf nach Freiheit nach,
welcher in keiner menſchlichen Bruſt je verſtummt, und wenn er ſich
den Grenzen eines Landes nähert, worin auf einer Quadratmeile ſechs
Ackerbauer ſitzen, ſo klagt er über den „verengten Raum“.

Dieſen Freiheitstrieb faßte Moorfeld auch als den eigentlichen Kern
all jener überwuchernden Begebenheitspoeſie. Pſychologiſch merkwürdiger
als die ganze Romantik des Trapperlebens wurde ihm daher bald die
Frage: wie ein Trapper aufhören könne ein Trapper zu ſein? Seine
äußere Aufmerkſamkeit war lang ſchon geſättigt, vielleicht überſättigt,
als er ſich's nicht verſagen mochte, noch dieſe Frage zu thun.

Es fehlte wenig, daß ſie der Canadier faſt übel nahm. Parbleu!
antwortete er, ich war kein vite-poche-Mann, das mögen Sie glauben.
Auch mein Kamerad ſtand ſeinen Mann, der gute Au Reſte, das hat er hun¬
dertmal bewieſen. Der arme Teufel kam freilich mit einem verflucht gebro¬
chenen Herzen, wie ſie's nennen, in unſere Geſellſchaft; die Bourgeois in
Cincinnati hatten ihn abſcheulich ausgerieben und Weib und Kind war
ihm darüber untergegangen, — er hatte Unglück haufenweis! Sein

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0433" n="415"/>
Wo begänne und wo endete der groß und wild gezeichnete Carton<lb/>
eines amerikani&#x017F;chen Trapperlebens? Jede Stunde darin i&#x017F;t ein Bild<lb/>
für einen Michael Angelo, jeder Tag ein Epos von Abenteuern,<lb/>
Kämpfen, Gefahren, Heldenthaten, Unthaten. Wenn der Trapper von<lb/>
St. Louis oder Independence aufbricht mit &#x017F;einen Pferden und Maul¬<lb/>
thieren, &#x017F;einen Zeltwagen, &#x017F;einer ungeheuren &#x201E;Rifle&#x201C; &#x017F;ammt &#x017F;einen<lb/>
Vorräthen an Pulver und Blei, &#x2014; &#x017F;o hat er das Uhrblatt der Civi¬<lb/>
li&#x017F;ation hinter &#x017F;ich zertrümmert, &#x017F;ein Tag i&#x017F;t nicht mehr Sonnen-,<lb/>
&#x017F;ondern Kometenbahn. Ueber&#x017F;prungen i&#x017F;t der &#x017F;chützende, nivellirende<lb/>
Damm des <hi rendition="#g">Ge&#x017F;etzes</hi>, er wirft &#x017F;ich in den Ocean der ewig originellen,<lb/>
ewig erfinderi&#x017F;chen, ewig vernichtenden und im Guten und Schlimmen<lb/>
ewig &#x017F;ich &#x017F;elb&#x017F;t gehorchenden <hi rendition="#g">Noth</hi>. Aus die&#x017F;em Ocean tauchen dann<lb/>
alle jene Schwärme von Ungeheuern wieder auf, die der Men&#x017F;ch &#x017F;eit<lb/>
The&#x017F;eus und Herkules, &#x017F;eit Thye&#x017F;t und Atreus von der Erde gebannt<lb/>
glaubte. Fri&#x017F;che Schrecken und fri&#x017F;che Freuden &#x017F;chöpft er aus einer<lb/>
jugendlichen Urweltsnatur, &#x2014; die Freuden kurz und aus&#x017F;chweifend,<lb/>
wie eine Hochzeit der Lapithen und Centauren, die Schrecken anhaltend,<lb/>
mit einem fe&#x017F;ten, mannherzigen, unter uns nicht mehr le&#x017F;erlichen<lb/>
Muthe. Sein o&#x017F;ten&#x017F;ibles Ziel i&#x017F;t: Biber zu fangen, im Grunde geht<lb/>
er aber ohne es &#x017F;elb&#x017F;t zu wi&#x017F;&#x017F;en, nur jenem Urruf nach Freiheit nach,<lb/>
welcher in keiner men&#x017F;chlichen Bru&#x017F;t je ver&#x017F;tummt, und wenn er &#x017F;ich<lb/>
den Grenzen eines Landes nähert, worin auf einer Quadratmeile &#x017F;echs<lb/>
Ackerbauer &#x017F;itzen, &#x017F;o klagt er über den &#x201E;verengten Raum&#x201C;.</p><lb/>
          <p>Die&#x017F;en Freiheitstrieb faßte Moorfeld auch als den eigentlichen Kern<lb/>
all jener überwuchernden Begebenheitspoe&#x017F;ie. P&#x017F;ychologi&#x017F;ch merkwürdiger<lb/>
als die ganze Romantik des Trapperlebens wurde ihm daher bald die<lb/>
Frage: wie ein Trapper aufhören könne ein Trapper zu &#x017F;ein? Seine<lb/>
äußere Aufmerk&#x017F;amkeit war lang &#x017F;chon ge&#x017F;ättigt, vielleicht über&#x017F;ättigt,<lb/>
als er &#x017F;ich's nicht ver&#x017F;agen mochte, noch die&#x017F;e Frage zu thun.</p><lb/>
          <p>Es fehlte wenig, daß &#x017F;ie der Canadier fa&#x017F;t übel nahm. <hi rendition="#aq">Parbleu!</hi><lb/>
antwortete er, ich war kein <hi rendition="#aq">vite-poche-</hi>Mann, das mögen Sie glauben.<lb/>
Auch mein Kamerad &#x017F;tand &#x017F;einen Mann, der gute Au Re&#x017F;te, das hat er hun¬<lb/>
dertmal bewie&#x017F;en. Der arme Teufel kam freilich mit einem verflucht gebro¬<lb/>
chenen Herzen, wie &#x017F;ie's nennen, in un&#x017F;ere Ge&#x017F;ell&#x017F;chaft; die Bourgeois in<lb/>
Cincinnati hatten ihn ab&#x017F;cheulich ausgerieben und Weib und Kind war<lb/>
ihm darüber untergegangen, &#x2014; er hatte Unglück haufenweis! Sein<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[415/0433] Wo begänne und wo endete der groß und wild gezeichnete Carton eines amerikaniſchen Trapperlebens? Jede Stunde darin iſt ein Bild für einen Michael Angelo, jeder Tag ein Epos von Abenteuern, Kämpfen, Gefahren, Heldenthaten, Unthaten. Wenn der Trapper von St. Louis oder Independence aufbricht mit ſeinen Pferden und Maul¬ thieren, ſeinen Zeltwagen, ſeiner ungeheuren „Rifle“ ſammt ſeinen Vorräthen an Pulver und Blei, — ſo hat er das Uhrblatt der Civi¬ liſation hinter ſich zertrümmert, ſein Tag iſt nicht mehr Sonnen-, ſondern Kometenbahn. Ueberſprungen iſt der ſchützende, nivellirende Damm des Geſetzes, er wirft ſich in den Ocean der ewig originellen, ewig erfinderiſchen, ewig vernichtenden und im Guten und Schlimmen ewig ſich ſelbſt gehorchenden Noth. Aus dieſem Ocean tauchen dann alle jene Schwärme von Ungeheuern wieder auf, die der Menſch ſeit Theſeus und Herkules, ſeit Thyeſt und Atreus von der Erde gebannt glaubte. Friſche Schrecken und friſche Freuden ſchöpft er aus einer jugendlichen Urweltsnatur, — die Freuden kurz und ausſchweifend, wie eine Hochzeit der Lapithen und Centauren, die Schrecken anhaltend, mit einem feſten, mannherzigen, unter uns nicht mehr leſerlichen Muthe. Sein oſtenſibles Ziel iſt: Biber zu fangen, im Grunde geht er aber ohne es ſelbſt zu wiſſen, nur jenem Urruf nach Freiheit nach, welcher in keiner menſchlichen Bruſt je verſtummt, und wenn er ſich den Grenzen eines Landes nähert, worin auf einer Quadratmeile ſechs Ackerbauer ſitzen, ſo klagt er über den „verengten Raum“. Dieſen Freiheitstrieb faßte Moorfeld auch als den eigentlichen Kern all jener überwuchernden Begebenheitspoeſie. Pſychologiſch merkwürdiger als die ganze Romantik des Trapperlebens wurde ihm daher bald die Frage: wie ein Trapper aufhören könne ein Trapper zu ſein? Seine äußere Aufmerkſamkeit war lang ſchon geſättigt, vielleicht überſättigt, als er ſich's nicht verſagen mochte, noch dieſe Frage zu thun. Es fehlte wenig, daß ſie der Canadier faſt übel nahm. Parbleu! antwortete er, ich war kein vite-poche-Mann, das mögen Sie glauben. Auch mein Kamerad ſtand ſeinen Mann, der gute Au Reſte, das hat er hun¬ dertmal bewieſen. Der arme Teufel kam freilich mit einem verflucht gebro¬ chenen Herzen, wie ſie's nennen, in unſere Geſellſchaft; die Bourgeois in Cincinnati hatten ihn abſcheulich ausgerieben und Weib und Kind war ihm darüber untergegangen, — er hatte Unglück haufenweis! Sein

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/kuernberger_amerikamuede_1855
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/kuernberger_amerikamuede_1855/433
Zitationshilfe: Kürnberger, Ferdinand: Der Amerika-Müde. Frankfurt (Main), 1855, S. 415. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kuernberger_amerikamuede_1855/433>, abgerufen am 24.11.2024.