können glauben, mit der Etiquette: "Abfall amerikanischer Prostitution" geschwind in ein fremdes Nationaleigenthum zu verwandeln! Ei, be¬ halten wir sie doch, aber wenden wir unser bischen Witz daran, sie immer noch zu entschuldigen! Mißlingt der Versuch, so war er min¬ destens christlich, denn das Neue Testament will den Tod des Sünders nicht. Man wird uns hier nicht vorwerfen, daß wir Dinge ans Licht ziehen, denen das Dunkel wohlthätiger wäre. Die Sache hat eine Publicität erlangt, bei welcher es geradezu lächerlich ist, das Blinde¬ kuhspiel halber Worte, mystischer Phrasen und zimperlicher Unwissen¬ heit zu spielen. Leider, wir haben die schmerzliche Freiheit Alles zu sagen, denn Alles ist bekannt. Nun! Ein Mädchen, aus einer der ersten Familien, ein Ideal von Schönheit, ein Muster von Sittsam¬ keit, ein Inbegriff aller weiblichen Tugenden, verschwindet plötzlich aus dem väterlichen Hause und -- affiliirt sich einem Nymphenchor der dritten Avenüe. Nemo repente turpissimus! Was ist das Mittelglied zwischen zwei so unermeßlichen Extremitäten? Ein abonnirter Kirchen¬ stuhl! Der Prediger ihres Kirchspiels ist ein sogenannter Damenpredi¬ ger, einer jener geistlichen Glücksritter, welche den Fuhrmannsgrundsatz im Munde führen, wer die Vorderräder eines Wagens in Bewegung setzt, dem folgen die Hinterräder von selbst, d. h., welche sich in ihrer Gemeinde dadurch festsetzen, daß sie auf die weiblichen Mitglieder der¬ selben speculiren. Diese Damenprediger sind das Unzüchtigste, was die Welt kennt. Sie malen den christlichen Himmel in einem Style, wogegen Mahomed's Paradies zum Nonnenkloster wird; sie halten sich in unsrer ehrwürdigen Bibel zumeist an gewissen Stellen auf, wie Wildschweine an Sümpfen und Morästen; sie lesen aus ihrem schwarz¬ sammtnen Buche mit silbernem Kreuzbeschlag Romane heraus und Ro¬ mane hinein, die einen Faublas schamroth machen könnten. Ihre Art, die Gemeinde zu "kammstreicheln" gleicht einer bekannten Art von Forellenfischfang. Die sport-mens verstehen uns. Wie also? Wenn ein rasches, lebhaftes Mädchen, bis ins Blut gepeitscht von den Stacheln einer Rhetorik, welche an der Grenzlinie des Polizeicodex gerade noch vorbeilavirt, aber die zarten Grenzen der Phantasie aufs wildeste durch einander wirrt, wenn die Verführte solcher Sonntagserbauungen, sagen wir, unaufhaltsam den lockenden Bildern ihrer Phantasie zuflattert und zu Asche brennt: dann stehen wir pharisäisch vor der Schnuppe und
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können glauben, mit der Etiquette: „Abfall amerikaniſcher Proſtitution“ geſchwind in ein fremdes Nationaleigenthum zu verwandeln! Ei, be¬ halten wir ſie doch, aber wenden wir unſer bischen Witz daran, ſie immer noch zu entſchuldigen! Mißlingt der Verſuch, ſo war er min¬ deſtens chriſtlich, denn das Neue Teſtament will den Tod des Sünders nicht. Man wird uns hier nicht vorwerfen, daß wir Dinge ans Licht ziehen, denen das Dunkel wohlthätiger wäre. Die Sache hat eine Publicität erlangt, bei welcher es geradezu lächerlich iſt, das Blinde¬ kuhſpiel halber Worte, myſtiſcher Phraſen und zimperlicher Unwiſſen¬ heit zu ſpielen. Leider, wir haben die ſchmerzliche Freiheit Alles zu ſagen, denn Alles iſt bekannt. Nun! Ein Mädchen, aus einer der erſten Familien, ein Ideal von Schönheit, ein Muſter von Sittſam¬ keit, ein Inbegriff aller weiblichen Tugenden, verſchwindet plötzlich aus dem väterlichen Hauſe und — affiliirt ſich einem Nymphenchor der dritten Avenüe. Nemo repente turpissimus! Was iſt das Mittelglied zwiſchen zwei ſo unermeßlichen Extremitäten? Ein abonnirter Kirchen¬ ſtuhl! Der Prediger ihres Kirchſpiels iſt ein ſogenannter Damenpredi¬ ger, einer jener geiſtlichen Glücksritter, welche den Fuhrmannsgrundſatz im Munde führen, wer die Vorderräder eines Wagens in Bewegung ſetzt, dem folgen die Hinterräder von ſelbſt, d. h., welche ſich in ihrer Gemeinde dadurch feſtſetzen, daß ſie auf die weiblichen Mitglieder der¬ ſelben ſpeculiren. Dieſe Damenprediger ſind das Unzüchtigſte, was die Welt kennt. Sie malen den chriſtlichen Himmel in einem Style, wogegen Mahomed's Paradies zum Nonnenkloſter wird; ſie halten ſich in unſrer ehrwürdigen Bibel zumeiſt an gewiſſen Stellen auf, wie Wildſchweine an Sümpfen und Moräſten; ſie leſen aus ihrem ſchwarz¬ ſammtnen Buche mit ſilbernem Kreuzbeſchlag Romane heraus und Ro¬ mane hinein, die einen Faublas ſchamroth machen könnten. Ihre Art, die Gemeinde zu „kammſtreicheln“ gleicht einer bekannten Art von Forellenfiſchfang. Die sport-mens verſtehen uns. Wie alſo? Wenn ein raſches, lebhaftes Mädchen, bis ins Blut gepeitſcht von den Stacheln einer Rhetorik, welche an der Grenzlinie des Polizeicodex gerade noch vorbeilavirt, aber die zarten Grenzen der Phantaſie aufs wildeſte durch einander wirrt, wenn die Verführte ſolcher Sonntagserbauungen, ſagen wir, unaufhaltſam den lockenden Bildern ihrer Phantaſie zuflattert und zu Aſche brennt: dann ſtehen wir phariſäiſch vor der Schnuppe und
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können glauben, mit der Etiquette: „Abfall amerikaniſcher Proſtitution“
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halten wir ſie doch, aber wenden wir unſer bischen Witz daran, ſie
immer noch zu entſchuldigen! Mißlingt der Verſuch, ſo war er min¬
deſtens chriſtlich, denn das Neue Teſtament will den Tod des Sünders
nicht. Man wird uns hier nicht vorwerfen, daß wir Dinge ans Licht
ziehen, denen das Dunkel wohlthätiger wäre. Die Sache hat eine
Publicität erlangt, bei welcher es geradezu lächerlich iſt, das Blinde¬
kuhſpiel halber Worte, myſtiſcher Phraſen und zimperlicher Unwiſſen¬
heit zu ſpielen. Leider, wir haben die ſchmerzliche Freiheit Alles zu
ſagen, denn Alles iſt bekannt. Nun! Ein Mädchen, aus einer der
erſten Familien, ein Ideal von Schönheit, ein Muſter von Sittſam¬
keit, ein Inbegriff aller weiblichen Tugenden, verſchwindet plötzlich aus
dem väterlichen Hauſe und — affiliirt ſich einem Nymphenchor der
dritten Avenüe. Nemo repente turpissimus! Was iſt das Mittelglied
zwiſchen zwei ſo unermeßlichen Extremitäten? Ein abonnirter Kirchen¬
ſtuhl! Der Prediger ihres Kirchſpiels iſt ein ſogenannter Damenpredi¬
ger, einer jener geiſtlichen Glücksritter, welche den Fuhrmannsgrundſatz
im Munde führen, wer die Vorderräder eines Wagens in Bewegung
ſetzt, dem folgen die Hinterräder von ſelbſt, d. h., welche ſich in ihrer
Gemeinde dadurch feſtſetzen, daß ſie auf die weiblichen Mitglieder der¬
ſelben ſpeculiren. Dieſe Damenprediger ſind das Unzüchtigſte, was
die Welt kennt. Sie malen den chriſtlichen Himmel in einem Style,
wogegen Mahomed's Paradies zum Nonnenkloſter wird; ſie halten ſich
in unſrer ehrwürdigen Bibel zumeiſt an gewiſſen Stellen auf, wie
Wildſchweine an Sümpfen und Moräſten; ſie leſen aus ihrem ſchwarz¬
ſammtnen Buche mit ſilbernem Kreuzbeſchlag Romane heraus und Ro¬
mane hinein, die einen Faublas ſchamroth machen könnten. Ihre Art,
die Gemeinde zu „kammſtreicheln“ gleicht einer bekannten Art von
Forellenfiſchfang. Die sport-mens verſtehen uns. Wie alſo? Wenn
ein raſches, lebhaftes Mädchen, bis ins Blut gepeitſcht von den Stacheln
einer Rhetorik, welche an der Grenzlinie des Polizeicodex gerade noch
vorbeilavirt, aber die zarten Grenzen der Phantaſie aufs wildeſte durch
einander wirrt, wenn die Verführte ſolcher Sonntagserbauungen, ſagen
wir, unaufhaltſam den lockenden Bildern ihrer Phantaſie zuflattert und
zu Aſche brennt: dann ſtehen wir phariſäiſch vor der Schnuppe und
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Kürnberger, Ferdinand: Der Amerika-Müde. Frankfurt (Main), 1855, S. 455. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kuernberger_amerikamuede_1855/473>, abgerufen am 22.11.2024.
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