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Kürnberger, Ferdinand: Der Amerika-Müde. Frankfurt (Main), 1855.

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nach oben. Theodor's Wort, überall sonst ein eifersüchtelnder Scherz,
war hier eine freche Entheiligung. Auch erkannte er sein Unrecht und
that mir reuige Abbitte. Aber solche Aeußerungen kehrten öfter, es
schien seine Absicht, Zwietracht zu säen. Er beträgt sich fortwährend
herrisch, launenhaft, nachlässig, oder noch ärger gnädig und prahlerisch und
meint mit irgend einem goldenen Gehängsel ganze Reihen von Kränkungen
gut zu machen. Auch bleibt er wiederholt weg. Eben jetzt haben wir ihn
länger als je, eine volle Woche lang, nicht gesehen. Er ist aber
weder verreist, noch gestorben, denn andere Leute haben ihn gesehen. --

Das ist Benthal von heute, -- schloß Frau v. Milden aufstehend.
Als Moorfeld sprechen wollte, fiel ihm die sensible Frau rasch ins
Wort: Ich bitte, sagen Sie mir nichts zum Troste. Ich danke vor¬
weg für Ihre gute Meinung. Ich weiß, was ich zu denken habe. Ich
weiß, daß Sie einen Versuch machen werden, das Schwungrad, das
ihn ergriffen hat, aufzuhalten. Das werden Sie thun, aber ver¬
sprechen
können Sie nichts. Dann reichte sie Moorfeld die Hand
zum Abschiede und sagte mit einer schmerzlichen Heiterkeit: Doch, bester
Herr! Eins können Sie mir versprechen: Vor ihr wollen wir fest
bleiben. Wenn Sie Pauline irgendwie sehen sollten, verrathen Sie
nichts! Ich zeige dem Mädchen die heiterste Miene, und noch, denk'
ich, ahnt sie die Möglichkeit ihres Unglücks nicht. Ach, sie hat keine
Vorstellung von der schlechten Seite des menschlichen Herzens!

Auf dieses Versprechen reichte Moorfeld seine Hand. Sie zitterte
heftig in Frau v. Milden's Hand. Nur mit einem stummen Blick
vermochte er sein unaussprechliches Inneres auszudrücken.

Trunken von Schmerz wankte er zur Thüre hinaus.

Als er am Fuß der Treppe angelangt war, öffnete sich die Thüre
des Basements, wo die Eigenthümerin des Hauses wohnte. Pauline
trat zu der Thüre heraus. Sie hatte eine Arzneischale in der Hand.
Als sie Moorfeld ansichtig wurde schrack sie heftig zusammen. Der
volle Gegensatz zwischen Einst und Jetzt überwältigte sie bei diesem
Anblicke. Sie sank mit einem gebrochenen Schmerzensruf an ihm nie¬
der. Moorfeld eilte schnell, sie zu stützen. Die Berührung eines
fremden Arms schien allein schon mächtig, das züchtige Mädchen aus
ihrer Ohnmacht aufzurütteln. Sie entwand sich den Armen Moorfeld's,
stützte sich halblehnend gegen das Treppengeländer und hauchte ihm die

nach oben. Theodor's Wort, überall ſonſt ein eiferſüchtelnder Scherz,
war hier eine freche Entheiligung. Auch erkannte er ſein Unrecht und
that mir reuige Abbitte. Aber ſolche Aeußerungen kehrten öfter, es
ſchien ſeine Abſicht, Zwietracht zu ſäen. Er beträgt ſich fortwährend
herriſch, launenhaft, nachläſſig, oder noch ärger gnädig und prahleriſch und
meint mit irgend einem goldenen Gehängſel ganze Reihen von Kränkungen
gut zu machen. Auch bleibt er wiederholt weg. Eben jetzt haben wir ihn
länger als je, eine volle Woche lang, nicht geſehen. Er iſt aber
weder verreist, noch geſtorben, denn andere Leute haben ihn geſehen. —

Das iſt Benthal von heute, — ſchloß Frau v. Milden aufſtehend.
Als Moorfeld ſprechen wollte, fiel ihm die ſenſible Frau raſch ins
Wort: Ich bitte, ſagen Sie mir nichts zum Troſte. Ich danke vor¬
weg für Ihre gute Meinung. Ich weiß, was ich zu denken habe. Ich
weiß, daß Sie einen Verſuch machen werden, das Schwungrad, das
ihn ergriffen hat, aufzuhalten. Das werden Sie thun, aber ver¬
ſprechen
können Sie nichts. Dann reichte ſie Moorfeld die Hand
zum Abſchiede und ſagte mit einer ſchmerzlichen Heiterkeit: Doch, beſter
Herr! Eins können Sie mir verſprechen: Vor ihr wollen wir feſt
bleiben. Wenn Sie Pauline irgendwie ſehen ſollten, verrathen Sie
nichts! Ich zeige dem Mädchen die heiterſte Miene, und noch, denk'
ich, ahnt ſie die Möglichkeit ihres Unglücks nicht. Ach, ſie hat keine
Vorſtellung von der ſchlechten Seite des menſchlichen Herzens!

Auf dieſes Verſprechen reichte Moorfeld ſeine Hand. Sie zitterte
heftig in Frau v. Milden's Hand. Nur mit einem ſtummen Blick
vermochte er ſein unausſprechliches Inneres auszudrücken.

Trunken von Schmerz wankte er zur Thüre hinaus.

Als er am Fuß der Treppe angelangt war, öffnete ſich die Thüre
des Baſements, wo die Eigenthümerin des Hauſes wohnte. Pauline
trat zu der Thüre heraus. Sie hatte eine Arzneiſchale in der Hand.
Als ſie Moorfeld anſichtig wurde ſchrack ſie heftig zuſammen. Der
volle Gegenſatz zwiſchen Einſt und Jetzt überwältigte ſie bei dieſem
Anblicke. Sie ſank mit einem gebrochenen Schmerzensruf an ihm nie¬
der. Moorfeld eilte ſchnell, ſie zu ſtützen. Die Berührung eines
fremden Arms ſchien allein ſchon mächtig, das züchtige Mädchen aus
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[466/0484] nach oben. Theodor's Wort, überall ſonſt ein eiferſüchtelnder Scherz, war hier eine freche Entheiligung. Auch erkannte er ſein Unrecht und that mir reuige Abbitte. Aber ſolche Aeußerungen kehrten öfter, es ſchien ſeine Abſicht, Zwietracht zu ſäen. Er beträgt ſich fortwährend herriſch, launenhaft, nachläſſig, oder noch ärger gnädig und prahleriſch und meint mit irgend einem goldenen Gehängſel ganze Reihen von Kränkungen gut zu machen. Auch bleibt er wiederholt weg. Eben jetzt haben wir ihn länger als je, eine volle Woche lang, nicht geſehen. Er iſt aber weder verreist, noch geſtorben, denn andere Leute haben ihn geſehen. — Das iſt Benthal von heute, — ſchloß Frau v. Milden aufſtehend. Als Moorfeld ſprechen wollte, fiel ihm die ſenſible Frau raſch ins Wort: Ich bitte, ſagen Sie mir nichts zum Troſte. Ich danke vor¬ weg für Ihre gute Meinung. Ich weiß, was ich zu denken habe. Ich weiß, daß Sie einen Verſuch machen werden, das Schwungrad, das ihn ergriffen hat, aufzuhalten. Das werden Sie thun, aber ver¬ ſprechen können Sie nichts. Dann reichte ſie Moorfeld die Hand zum Abſchiede und ſagte mit einer ſchmerzlichen Heiterkeit: Doch, beſter Herr! Eins können Sie mir verſprechen: Vor ihr wollen wir feſt bleiben. Wenn Sie Pauline irgendwie ſehen ſollten, verrathen Sie nichts! Ich zeige dem Mädchen die heiterſte Miene, und noch, denk' ich, ahnt ſie die Möglichkeit ihres Unglücks nicht. Ach, ſie hat keine Vorſtellung von der ſchlechten Seite des menſchlichen Herzens! Auf dieſes Verſprechen reichte Moorfeld ſeine Hand. Sie zitterte heftig in Frau v. Milden's Hand. Nur mit einem ſtummen Blick vermochte er ſein unausſprechliches Inneres auszudrücken. Trunken von Schmerz wankte er zur Thüre hinaus. Als er am Fuß der Treppe angelangt war, öffnete ſich die Thüre des Baſements, wo die Eigenthümerin des Hauſes wohnte. Pauline trat zu der Thüre heraus. Sie hatte eine Arzneiſchale in der Hand. Als ſie Moorfeld anſichtig wurde ſchrack ſie heftig zuſammen. Der volle Gegenſatz zwiſchen Einſt und Jetzt überwältigte ſie bei dieſem Anblicke. Sie ſank mit einem gebrochenen Schmerzensruf an ihm nie¬ der. Moorfeld eilte ſchnell, ſie zu ſtützen. Die Berührung eines fremden Arms ſchien allein ſchon mächtig, das züchtige Mädchen aus ihrer Ohnmacht aufzurütteln. Sie entwand ſich den Armen Moorfeld's, ſtützte ſich halblehnend gegen das Treppengeländer und hauchte ihm die

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Zitationshilfe: Kürnberger, Ferdinand: Der Amerika-Müde. Frankfurt (Main), 1855, S. 466. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kuernberger_amerikamuede_1855/484>, abgerufen am 22.11.2024.