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Kürnberger, Ferdinand: Der Amerika-Müde. Frankfurt (Main), 1855.

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Moorfeld noch einmal hin, da kam der Lohnbediente zurück mit dem
Namen der Straße und des Clubbhauses, in welchem Mr. Benthal
von acht Uhr Abends an zu finden.

Moorfeld brachte den Rest des Tages auf seinem Zimmer zu.
Er ordnete seine Gedanken und gebot seinen Leidenschaften. Er stellte
sich im Geiste erfindungsreicher, als im ersten Augenblick, die mancherlei
Möglichkeiten und Gestalten vor, in welchen dieser Fall sich ihm zeigen
könne, und bereitete sich auf all seine denkbaren Seiten vor. Er
wunderte sich selbst, wie rasch er ihn als Thatsache ergreifen konnte.
Denn mitten in seinem Gedankenstrom kamen dann wieder Momente,
wo all sein Denken plötzlich still stand, wo die ganze schreckensstarre
Neuheit in ihm aufschrie: Das war mit Benthal möglich?! --

Der Tag sank, die Straßenlichter brannten, der wälzende Lärm
des Volksgewühls löste sich in seine einfacheren Elemente auf, die ab-
und zu rollenden Fuhrwerke zum Philadelphia-Bahnhof verhallten mit
ihrem letzten Getöse, als Moorfeld den Wagen holen ließ, der ihn
seinem verhängnißvollen Ziele entgegenbringen sollte. Es war ein
weiter Weg zurückzulegen. Moorfeld hatte seine Aufmerksamkeit nichts
weniger, als auf die Außenwelt gerichtet; aber er fuhr nicht lange, so
fiel ihm Manches auf, das in der Physiognomie eines städtischen Straßen¬
lebens zu dieser Stunde eben nicht alltäglich ist. Er sah im dämme¬
rungsvollen Laternenlicht Arbeiterzüge von ihrem Tagewerk heimkehrend,
mit einer gewissen Hast und Unruhe durch die Straßen eilen, welche
von der Kälte, die in den Bewegungen der Amerikaner sich sonst kund
gibt, wunderlich abstach. Aus hohlem Straßendunkel hörte er hie und
da einen jener gellenden Rufe anstimmen, welche nach seinem Dafür¬
halten dem indianischen Kriegsgeheul entlehnt: in gewissen Abständen
gab es dann Antwort darauf, wie eine Signalkette. An einsamen
Orten wimmelte es plötzlich von Menschen, welche nach allen Rich¬
tungen auseinanderströmten; anderswo lief Alles auf Einen Punkt
zusammen, und schloß sich im Nu zu geheimnißvollen Kreisen und
Gruppen.

Eine dieser Gruppen stand endlich an einer Seitenstraße, welche
Moorfeld zu schneiden hatte, so dicht, daß eine Stimme den Kutscher
ohne Weiters anrief: Um in die Centre-Street! Der Kutscher machte
Vorstellungen, aber es war ein Schwarm von Rowdie's, welcher diese

Moorfeld noch einmal hin, da kam der Lohnbediente zurück mit dem
Namen der Straße und des Clubbhauſes, in welchem Mr. Benthal
von acht Uhr Abends an zu finden.

Moorfeld brachte den Reſt des Tages auf ſeinem Zimmer zu.
Er ordnete ſeine Gedanken und gebot ſeinen Leidenſchaften. Er ſtellte
ſich im Geiſte erfindungsreicher, als im erſten Augenblick, die mancherlei
Möglichkeiten und Geſtalten vor, in welchen dieſer Fall ſich ihm zeigen
könne, und bereitete ſich auf all ſeine denkbaren Seiten vor. Er
wunderte ſich ſelbſt, wie raſch er ihn als Thatſache ergreifen konnte.
Denn mitten in ſeinem Gedankenſtrom kamen dann wieder Momente,
wo all ſein Denken plötzlich ſtill ſtand, wo die ganze ſchreckensſtarre
Neuheit in ihm aufſchrie: Das war mit Benthal möglich?! —

Der Tag ſank, die Straßenlichter brannten, der wälzende Lärm
des Volksgewühls löste ſich in ſeine einfacheren Elemente auf, die ab-
und zu rollenden Fuhrwerke zum Philadelphia-Bahnhof verhallten mit
ihrem letzten Getöſe, als Moorfeld den Wagen holen ließ, der ihn
ſeinem verhängnißvollen Ziele entgegenbringen ſollte. Es war ein
weiter Weg zurückzulegen. Moorfeld hatte ſeine Aufmerkſamkeit nichts
weniger, als auf die Außenwelt gerichtet; aber er fuhr nicht lange, ſo
fiel ihm Manches auf, das in der Phyſiognomie eines ſtädtiſchen Straßen¬
lebens zu dieſer Stunde eben nicht alltäglich iſt. Er ſah im dämme¬
rungsvollen Laternenlicht Arbeiterzüge von ihrem Tagewerk heimkehrend,
mit einer gewiſſen Haſt und Unruhe durch die Straßen eilen, welche
von der Kälte, die in den Bewegungen der Amerikaner ſich ſonſt kund
gibt, wunderlich abſtach. Aus hohlem Straßendunkel hörte er hie und
da einen jener gellenden Rufe anſtimmen, welche nach ſeinem Dafür¬
halten dem indianiſchen Kriegsgeheul entlehnt: in gewiſſen Abſtänden
gab es dann Antwort darauf, wie eine Signalkette. An einſamen
Orten wimmelte es plötzlich von Menſchen, welche nach allen Rich¬
tungen auseinanderſtrömten; anderswo lief Alles auf Einen Punkt
zuſammen, und ſchloß ſich im Nu zu geheimnißvollen Kreiſen und
Gruppen.

Eine dieſer Gruppen ſtand endlich an einer Seitenſtraße, welche
Moorfeld zu ſchneiden hatte, ſo dicht, daß eine Stimme den Kutſcher
ohne Weiters anrief: Um in die Centre-Street! Der Kutſcher machte
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[468/0486] Moorfeld noch einmal hin, da kam der Lohnbediente zurück mit dem Namen der Straße und des Clubbhauſes, in welchem Mr. Benthal von acht Uhr Abends an zu finden. Moorfeld brachte den Reſt des Tages auf ſeinem Zimmer zu. Er ordnete ſeine Gedanken und gebot ſeinen Leidenſchaften. Er ſtellte ſich im Geiſte erfindungsreicher, als im erſten Augenblick, die mancherlei Möglichkeiten und Geſtalten vor, in welchen dieſer Fall ſich ihm zeigen könne, und bereitete ſich auf all ſeine denkbaren Seiten vor. Er wunderte ſich ſelbſt, wie raſch er ihn als Thatſache ergreifen konnte. Denn mitten in ſeinem Gedankenſtrom kamen dann wieder Momente, wo all ſein Denken plötzlich ſtill ſtand, wo die ganze ſchreckensſtarre Neuheit in ihm aufſchrie: Das war mit Benthal möglich?! — Der Tag ſank, die Straßenlichter brannten, der wälzende Lärm des Volksgewühls löste ſich in ſeine einfacheren Elemente auf, die ab- und zu rollenden Fuhrwerke zum Philadelphia-Bahnhof verhallten mit ihrem letzten Getöſe, als Moorfeld den Wagen holen ließ, der ihn ſeinem verhängnißvollen Ziele entgegenbringen ſollte. Es war ein weiter Weg zurückzulegen. Moorfeld hatte ſeine Aufmerkſamkeit nichts weniger, als auf die Außenwelt gerichtet; aber er fuhr nicht lange, ſo fiel ihm Manches auf, das in der Phyſiognomie eines ſtädtiſchen Straßen¬ lebens zu dieſer Stunde eben nicht alltäglich iſt. Er ſah im dämme¬ rungsvollen Laternenlicht Arbeiterzüge von ihrem Tagewerk heimkehrend, mit einer gewiſſen Haſt und Unruhe durch die Straßen eilen, welche von der Kälte, die in den Bewegungen der Amerikaner ſich ſonſt kund gibt, wunderlich abſtach. Aus hohlem Straßendunkel hörte er hie und da einen jener gellenden Rufe anſtimmen, welche nach ſeinem Dafür¬ halten dem indianiſchen Kriegsgeheul entlehnt: in gewiſſen Abſtänden gab es dann Antwort darauf, wie eine Signalkette. An einſamen Orten wimmelte es plötzlich von Menſchen, welche nach allen Rich¬ tungen auseinanderſtrömten; anderswo lief Alles auf Einen Punkt zuſammen, und ſchloß ſich im Nu zu geheimnißvollen Kreiſen und Gruppen. Eine dieſer Gruppen ſtand endlich an einer Seitenſtraße, welche Moorfeld zu ſchneiden hatte, ſo dicht, daß eine Stimme den Kutſcher ohne Weiters anrief: Um in die Centre-Street! Der Kutſcher machte Vorſtellungen, aber es war ein Schwarm von Rowdie's, welcher dieſe

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Zitationshilfe: Kürnberger, Ferdinand: Der Amerika-Müde. Frankfurt (Main), 1855, S. 468. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kuernberger_amerikamuede_1855/486>, abgerufen am 22.11.2024.