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Kürnberger, Ferdinand: Der Amerika-Müde. Frankfurt (Main), 1855.

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schen hin und wieder, welche ihrerseits Gerüchte darüber ausbreiteten.
Seltsam, wie eine große Stadt von den Lebensvorgängen in ihren Extre¬
mitäten so unzuverlässig und so spät eine bestimmte Empfindung im
Centrum ihrer Nervengefäße erlangen kann! Im Hafen wußte man we¬
nig oder nichts von dem, was Schreckliches in den nördlichen Ausläu¬
fen Newyorks vorgefallen. Im Allgemeinen verlautete nur von einer
großen Feuersbrunst. Aber Niemand wußte zu sagen, was verbrannt,
wie weit der Brand um sich gegriffen, ob die Flamme schon bewältigt, --
ja, es schlich selbst der Zweifel umher, ob man überhaupt löschen
wollte, und eine Furcht, die alles Blut von den Wangen trieb, rieselte
durch die Adern der Bevölkerung, daß sie auf dem Krater geheimni߬
voller Verbrechen, gräßlicher Verschwörungen stehe, daß ein unbe¬
kanntes Verderben über ihrem Haupte schwebe, von welchem Niemand
eine bestimmte Vorstellung hatte, welches anzudeuten, allein schon für
Mitschuld galt, welches aber durch stockendes, zähneklapperndes Schwei¬
gen eben am fürchterlichsten vergrößert wurde.

Als Moorfeld vom Hafenplatze wieder zurückfuhr, sollte es sein
letztes Geschäft sein, sich den Prozeß um sein Landloos vom Halse zu
schaffen. Er lenkte nach dem Hotel seiner Gesandtschaft, um unter den
erforderlichen Rechtsformen seine Vollmachten auszustellen und dann
den widerlichen Handel auf ewig zu ignoriren. Ein blutiges Aben¬
teuer begegnete ihm auf diesem Wege. Ein Mensch stürzte dem Broad¬
way herab, gehetzt er von ein[ ]Meute Rowdies, welche Revolvers nach
ihm abfeuerten, abgefeuerte Revolvers nach ihm warfen und ihm mit
dem Geschrei: Schlagt ihn todt, schlagt ihn todt! ein deutscher Mord¬
brenner! wie eine Bande entfesselter Höllengeister zusetzten. Moorfeld
schrie seinem Kutscher augenblicklich die Weisung zu, zwischen Verfol¬
ger und Verfolgten quer in den Weg zu fahren, aber der Zuruf
war offenbar eine Interjection der Verzweiflung, und hätte sie direct
der Vernichtung ausgesetzt. Auch beugte der Kutscher gerade entgegen¬
gesetzt aus, und im Nu war die wilde Jagd aus den Augen. Schauer¬
lich tönte es aus der Ferne zurück: Schlagt ihn todt! ein deutscher
Mordbrenner!

Eine entsetzliche Ahnung stieg in Moorfeld auf. Er dachte an die Scene,
der er vor zwei Tagen in Kleindeutschland beigewohnt. Es blieb kein
Zweifel übrig; hier war ein Riot gegen die Deutschen ausgebrochen.

ſchen hin und wieder, welche ihrerſeits Gerüchte darüber ausbreiteten.
Seltſam, wie eine große Stadt von den Lebensvorgängen in ihren Extre¬
mitäten ſo unzuverläſſig und ſo ſpät eine beſtimmte Empfindung im
Centrum ihrer Nervengefäße erlangen kann! Im Hafen wußte man we¬
nig oder nichts von dem, was Schreckliches in den nördlichen Ausläu¬
fen Newyorks vorgefallen. Im Allgemeinen verlautete nur von einer
großen Feuersbrunſt. Aber Niemand wußte zu ſagen, was verbrannt,
wie weit der Brand um ſich gegriffen, ob die Flamme ſchon bewältigt, —
ja, es ſchlich ſelbſt der Zweifel umher, ob man überhaupt löſchen
wollte, und eine Furcht, die alles Blut von den Wangen trieb, rieſelte
durch die Adern der Bevölkerung, daß ſie auf dem Krater geheimni߬
voller Verbrechen, gräßlicher Verſchwörungen ſtehe, daß ein unbe¬
kanntes Verderben über ihrem Haupte ſchwebe, von welchem Niemand
eine beſtimmte Vorſtellung hatte, welches anzudeuten, allein ſchon für
Mitſchuld galt, welches aber durch ſtockendes, zähneklapperndes Schwei¬
gen eben am fürchterlichſten vergrößert wurde.

Als Moorfeld vom Hafenplatze wieder zurückfuhr, ſollte es ſein
letztes Geſchäft ſein, ſich den Prozeß um ſein Landloos vom Halſe zu
ſchaffen. Er lenkte nach dem Hotel ſeiner Geſandtſchaft, um unter den
erforderlichen Rechtsformen ſeine Vollmachten auszuſtellen und dann
den widerlichen Handel auf ewig zu ignoriren. Ein blutiges Aben¬
teuer begegnete ihm auf dieſem Wege. Ein Menſch ſtürzte dem Broad¬
way herab, gehetzt er von ein[ ]Meute Rowdies, welche Revolvers nach
ihm abfeuerten, abgefeuerte Revolvers nach ihm warfen und ihm mit
dem Geſchrei: Schlagt ihn todt, ſchlagt ihn todt! ein deutſcher Mord¬
brenner! wie eine Bande entfeſſelter Höllengeiſter zuſetzten. Moorfeld
ſchrie ſeinem Kutſcher augenblicklich die Weiſung zu, zwiſchen Verfol¬
ger und Verfolgten quer in den Weg zu fahren, aber der Zuruf
war offenbar eine Interjection der Verzweiflung, und hätte ſie direct
der Vernichtung ausgeſetzt. Auch beugte der Kutſcher gerade entgegen¬
geſetzt aus, und im Nu war die wilde Jagd aus den Augen. Schauer¬
lich tönte es aus der Ferne zurück: Schlagt ihn todt! ein deutſcher
Mordbrenner!

Eine entſetzliche Ahnung ſtieg in Moorfeld auf. Er dachte an die Scene,
der er vor zwei Tagen in Kleindeutſchland beigewohnt. Es blieb kein
Zweifel übrig; hier war ein Riot gegen die Deutſchen ausgebrochen.

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[496/0514] ſchen hin und wieder, welche ihrerſeits Gerüchte darüber ausbreiteten. Seltſam, wie eine große Stadt von den Lebensvorgängen in ihren Extre¬ mitäten ſo unzuverläſſig und ſo ſpät eine beſtimmte Empfindung im Centrum ihrer Nervengefäße erlangen kann! Im Hafen wußte man we¬ nig oder nichts von dem, was Schreckliches in den nördlichen Ausläu¬ fen Newyorks vorgefallen. Im Allgemeinen verlautete nur von einer großen Feuersbrunſt. Aber Niemand wußte zu ſagen, was verbrannt, wie weit der Brand um ſich gegriffen, ob die Flamme ſchon bewältigt, — ja, es ſchlich ſelbſt der Zweifel umher, ob man überhaupt löſchen wollte, und eine Furcht, die alles Blut von den Wangen trieb, rieſelte durch die Adern der Bevölkerung, daß ſie auf dem Krater geheimni߬ voller Verbrechen, gräßlicher Verſchwörungen ſtehe, daß ein unbe¬ kanntes Verderben über ihrem Haupte ſchwebe, von welchem Niemand eine beſtimmte Vorſtellung hatte, welches anzudeuten, allein ſchon für Mitſchuld galt, welches aber durch ſtockendes, zähneklapperndes Schwei¬ gen eben am fürchterlichſten vergrößert wurde. Als Moorfeld vom Hafenplatze wieder zurückfuhr, ſollte es ſein letztes Geſchäft ſein, ſich den Prozeß um ſein Landloos vom Halſe zu ſchaffen. Er lenkte nach dem Hotel ſeiner Geſandtſchaft, um unter den erforderlichen Rechtsformen ſeine Vollmachten auszuſtellen und dann den widerlichen Handel auf ewig zu ignoriren. Ein blutiges Aben¬ teuer begegnete ihm auf dieſem Wege. Ein Menſch ſtürzte dem Broad¬ way herab, gehetzt er von ein Meute Rowdies, welche Revolvers nach ihm abfeuerten, abgefeuerte Revolvers nach ihm warfen und ihm mit dem Geſchrei: Schlagt ihn todt, ſchlagt ihn todt! ein deutſcher Mord¬ brenner! wie eine Bande entfeſſelter Höllengeiſter zuſetzten. Moorfeld ſchrie ſeinem Kutſcher augenblicklich die Weiſung zu, zwiſchen Verfol¬ ger und Verfolgten quer in den Weg zu fahren, aber der Zuruf war offenbar eine Interjection der Verzweiflung, und hätte ſie direct der Vernichtung ausgeſetzt. Auch beugte der Kutſcher gerade entgegen¬ geſetzt aus, und im Nu war die wilde Jagd aus den Augen. Schauer¬ lich tönte es aus der Ferne zurück: Schlagt ihn todt! ein deutſcher Mordbrenner! Eine entſetzliche Ahnung ſtieg in Moorfeld auf. Er dachte an die Scene, der er vor zwei Tagen in Kleindeutſchland beigewohnt. Es blieb kein Zweifel übrig; hier war ein Riot gegen die Deutſchen ausgebrochen.

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Zitationshilfe: Kürnberger, Ferdinand: Der Amerika-Müde. Frankfurt (Main), 1855, S. 496. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kuernberger_amerikamuede_1855/514>, abgerufen am 21.11.2024.