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Kürnberger, Ferdinand: Der Amerika-Müde. Frankfurt (Main), 1855.

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Sitten und Manieren den grünsten Zwanziger copirte; es ging herum
wie ein wahres Gespenst der Jugend, sein ausgeschlagenes Hemdkrä¬
gelchen buhlte sogar nicht undeutlich mit den phantastischen Licenzen
des Knabenalters, und in der That glich er einem Ferienschüler, der
sich auf einem Ausfluge etwa um dreißig Jährchen verschlafen, wie
jener ehrliche Rip van Winkle, während die Nornen der Zeit ihm
ihre unheimliche Taufe ertheilt, die bewußten Krähen in seinen Augen¬
winkeln gescharrt, und nichts ihm geblieben, als die selbstvergnügte
Geckenhaftigkeit, das Bündel zuckerner Unverstand, das freilich keinem
geraubt werden kann, der es säuberlich festhält. Moorfeld konnte sich
eines bittern Lächelns nicht erwehren, wenn Reverend Brown und Mr.
Staunton neben einander standen -- "das jugendliche Amerika"
quand meme!

Zuletzt bewohnte Herrn Staunton's Haus auch noch -- ein Schat¬
ten. Dieser Schatten war ein Mann, oder ein Greis, überhaupt ein
lebendiges Etwas, von dem nichts weiter zu sehen war, als daß es
eben lebte. Der alte Mann saß mitten im Sommer in einem dicken,
kragenreichen Carbonari-Mantel, den er genau bis an die breite Hut¬
krämpe heraufgezogen hatte, so daß es viel eher möglich war, mit dem
Detail der Mondfläche, als mit den Umrissen seiner Gesichtszüge be¬
kannt zu sein. Moorfeld hatte sein Dasein nicht anders entdeckt, als
eines späten Abends am Hauptthore, da sie beide sich aufschließen wollten.
Der Alte bedankte sich im gebrochenen Englisch ausnehmend fein und
gewählt, als ihm Moorfeld den Vortritt ließ und huschte dann durch
das dunkle Vorhaus nach einer entlegenen Hintertreppe. Bei einem zwei¬
ten Zusammentreffen redete ihn Moorfeld mit einer Anspielung auf
sein dichtes Mantelgeheimniß an: Nicht wahr, Sir, die Sommernächte
sind kalt hier Landes? -- Anche gli giorni *), seufzte der Schatten,
in sein Hinterhaus verschwindend. Moorfeld fragte Domestiken nie
um häusliche Verhältnisse aus, damals konnte er aber den Neger,
der ihn morgens weckte, kaum erwarten, um nach dem Alten zu fragen.
Ein Ueberrest von einem italienischen Opernbankerott, hatte Jack gleich¬
giltig geantwortet. Aber Moorfeld vergaß jenes Wort nicht mehr.
Es war ein so ächter Naturlaut! Und wenn er noch manchmal das

*) Auch die Tage!

Sitten und Manieren den grünſten Zwanziger copirte; es ging herum
wie ein wahres Geſpenſt der Jugend, ſein ausgeſchlagenes Hemdkrä¬
gelchen buhlte ſogar nicht undeutlich mit den phantaſtiſchen Licenzen
des Knabenalters, und in der That glich er einem Ferienſchüler, der
ſich auf einem Ausfluge etwa um dreißig Jährchen verſchlafen, wie
jener ehrliche Rip van Winkle, während die Nornen der Zeit ihm
ihre unheimliche Taufe ertheilt, die bewußten Krähen in ſeinen Augen¬
winkeln geſcharrt, und nichts ihm geblieben, als die ſelbſtvergnügte
Geckenhaftigkeit, das Bündel zuckerner Unverſtand, das freilich keinem
geraubt werden kann, der es ſäuberlich feſthält. Moorfeld konnte ſich
eines bittern Lächelns nicht erwehren, wenn Reverend Brown und Mr.
Staunton neben einander ſtanden — „das jugendliche Amerika“
quand même!

Zuletzt bewohnte Herrn Staunton's Haus auch noch — ein Schat¬
ten. Dieſer Schatten war ein Mann, oder ein Greis, überhaupt ein
lebendiges Etwas, von dem nichts weiter zu ſehen war, als daß es
eben lebte. Der alte Mann ſaß mitten im Sommer in einem dicken,
kragenreichen Carbonari-Mantel, den er genau bis an die breite Hut¬
krämpe heraufgezogen hatte, ſo daß es viel eher möglich war, mit dem
Detail der Mondfläche, als mit den Umriſſen ſeiner Geſichtszüge be¬
kannt zu ſein. Moorfeld hatte ſein Daſein nicht anders entdeckt, als
eines ſpäten Abends am Hauptthore, da ſie beide ſich aufſchließen wollten.
Der Alte bedankte ſich im gebrochenen Engliſch ausnehmend fein und
gewählt, als ihm Moorfeld den Vortritt ließ und huſchte dann durch
das dunkle Vorhaus nach einer entlegenen Hintertreppe. Bei einem zwei¬
ten Zuſammentreffen redete ihn Moorfeld mit einer Anſpielung auf
ſein dichtes Mantelgeheimniß an: Nicht wahr, Sir, die Sommernächte
ſind kalt hier Landes? — Anche gli giorni *), ſeufzte der Schatten,
in ſein Hinterhaus verſchwindend. Moorfeld fragte Domeſtiken nie
um häusliche Verhältniſſe aus, damals konnte er aber den Neger,
der ihn morgens weckte, kaum erwarten, um nach dem Alten zu fragen.
Ein Ueberreſt von einem italieniſchen Opernbankerott, hatte Jack gleich¬
giltig geantwortet. Aber Moorfeld vergaß jenes Wort nicht mehr.
Es war ein ſo ächter Naturlaut! Und wenn er noch manchmal das

*) Auch die Tage!
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[75/0093] Sitten und Manieren den grünſten Zwanziger copirte; es ging herum wie ein wahres Geſpenſt der Jugend, ſein ausgeſchlagenes Hemdkrä¬ gelchen buhlte ſogar nicht undeutlich mit den phantaſtiſchen Licenzen des Knabenalters, und in der That glich er einem Ferienſchüler, der ſich auf einem Ausfluge etwa um dreißig Jährchen verſchlafen, wie jener ehrliche Rip van Winkle, während die Nornen der Zeit ihm ihre unheimliche Taufe ertheilt, die bewußten Krähen in ſeinen Augen¬ winkeln geſcharrt, und nichts ihm geblieben, als die ſelbſtvergnügte Geckenhaftigkeit, das Bündel zuckerner Unverſtand, das freilich keinem geraubt werden kann, der es ſäuberlich feſthält. Moorfeld konnte ſich eines bittern Lächelns nicht erwehren, wenn Reverend Brown und Mr. Staunton neben einander ſtanden — „das jugendliche Amerika“ quand même! Zuletzt bewohnte Herrn Staunton's Haus auch noch — ein Schat¬ ten. Dieſer Schatten war ein Mann, oder ein Greis, überhaupt ein lebendiges Etwas, von dem nichts weiter zu ſehen war, als daß es eben lebte. Der alte Mann ſaß mitten im Sommer in einem dicken, kragenreichen Carbonari-Mantel, den er genau bis an die breite Hut¬ krämpe heraufgezogen hatte, ſo daß es viel eher möglich war, mit dem Detail der Mondfläche, als mit den Umriſſen ſeiner Geſichtszüge be¬ kannt zu ſein. Moorfeld hatte ſein Daſein nicht anders entdeckt, als eines ſpäten Abends am Hauptthore, da ſie beide ſich aufſchließen wollten. Der Alte bedankte ſich im gebrochenen Engliſch ausnehmend fein und gewählt, als ihm Moorfeld den Vortritt ließ und huſchte dann durch das dunkle Vorhaus nach einer entlegenen Hintertreppe. Bei einem zwei¬ ten Zuſammentreffen redete ihn Moorfeld mit einer Anſpielung auf ſein dichtes Mantelgeheimniß an: Nicht wahr, Sir, die Sommernächte ſind kalt hier Landes? — Anche gli giorni *), ſeufzte der Schatten, in ſein Hinterhaus verſchwindend. Moorfeld fragte Domeſtiken nie um häusliche Verhältniſſe aus, damals konnte er aber den Neger, der ihn morgens weckte, kaum erwarten, um nach dem Alten zu fragen. Ein Ueberreſt von einem italieniſchen Opernbankerott, hatte Jack gleich¬ giltig geantwortet. Aber Moorfeld vergaß jenes Wort nicht mehr. Es war ein ſo ächter Naturlaut! Und wenn er noch manchmal das *) Auch die Tage!

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Zitationshilfe: Kürnberger, Ferdinand: Der Amerika-Müde. Frankfurt (Main), 1855, S. 75. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kuernberger_amerikamuede_1855/93>, abgerufen am 24.11.2024.