Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Kürnberger, Ferdinand: Der Drache. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 11. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. [263]–310. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

Bild:
<< vorherige Seite

von welchem die Erbschaft ihm zufiele. Der Amtsbote sei ihm mit der Vorladung eben auf dem Markt in Liebstadt begegnet, als er seine zwei Kälbchen zugetrieben. Da sei er gleich nach Pirna vors Amt gegangen -- und nun erzählte der Bauer den weiteren Hergang, wie es schien, mit beflissener Verworrenheit. Der Doctor beobachtete ihn von der Seite und glaubte unzweideutig zu sehen, daß ihm das Herz nicht aufging über das plötzliche Glück. Dasselbe mochten auch die übrigen Gäste empfinden, denn stumpf und einsilbig hörten sie zu. Ihre Kälte wirkte wieder auf den Sprecher zurück, so daß seine Freudenbotschaft immer lebloser klang, und fast im Sand verrann. Die Scene wurde endlich so drückend und verstimmt, daß der Doctor seinem Burschen aufzuräumen winkte, indeß er selbst sich erhob und sein Abendbrod bezahlte. Er sprach kein Wort mehr von einem Nachtlager. Er wollte die Sterne beobachten, sagte er. Unter diesem Vorwande warfen sie Beide den Hut auf den Kopf und schritten grüßend zur Stube hinaus.

Die Nacht war mild und sternenhell. Hochaufathmend trat der Reisende unter den prächtigen Sommerhimmel. Schweigend stieg er den Wald hinan, der mit laubreichem Stammholz rings das Dörfchen umzirkte. Schweigend warf er in den stillen lauschigen Dämmerplätzchen seine Blicke umher, und bald war ein wohnliches Eckchen gefunden, das seitwärts, abgeschlossen und doch eingewebt in das große Pfeiler- und Bogensystem des Hochwalds dalag, wie eine Seitenkapelle in einem gothischen Dome. Hier schlug der junge Gelehrte mit seinem jüngeren Diener das Nachtlager auf.

Gespräche werden weiter ausgeführt, Stimmungen klingen länger nach am Abend als am Morgen. Der Doctor hatte nichts dagegen, daß sein Bursche die

von welchem die Erbschaft ihm zufiele. Der Amtsbote sei ihm mit der Vorladung eben auf dem Markt in Liebstadt begegnet, als er seine zwei Kälbchen zugetrieben. Da sei er gleich nach Pirna vors Amt gegangen — und nun erzählte der Bauer den weiteren Hergang, wie es schien, mit beflissener Verworrenheit. Der Doctor beobachtete ihn von der Seite und glaubte unzweideutig zu sehen, daß ihm das Herz nicht aufging über das plötzliche Glück. Dasselbe mochten auch die übrigen Gäste empfinden, denn stumpf und einsilbig hörten sie zu. Ihre Kälte wirkte wieder auf den Sprecher zurück, so daß seine Freudenbotschaft immer lebloser klang, und fast im Sand verrann. Die Scene wurde endlich so drückend und verstimmt, daß der Doctor seinem Burschen aufzuräumen winkte, indeß er selbst sich erhob und sein Abendbrod bezahlte. Er sprach kein Wort mehr von einem Nachtlager. Er wollte die Sterne beobachten, sagte er. Unter diesem Vorwande warfen sie Beide den Hut auf den Kopf und schritten grüßend zur Stube hinaus.

Die Nacht war mild und sternenhell. Hochaufathmend trat der Reisende unter den prächtigen Sommerhimmel. Schweigend stieg er den Wald hinan, der mit laubreichem Stammholz rings das Dörfchen umzirkte. Schweigend warf er in den stillen lauschigen Dämmerplätzchen seine Blicke umher, und bald war ein wohnliches Eckchen gefunden, das seitwärts, abgeschlossen und doch eingewebt in das große Pfeiler- und Bogensystem des Hochwalds dalag, wie eine Seitenkapelle in einem gothischen Dome. Hier schlug der junge Gelehrte mit seinem jüngeren Diener das Nachtlager auf.

Gespräche werden weiter ausgeführt, Stimmungen klingen länger nach am Abend als am Morgen. Der Doctor hatte nichts dagegen, daß sein Bursche die

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div type="chapter" n="1">
        <p><pb facs="#f0019"/>
von welchem die Erbschaft ihm zufiele. Der Amtsbote sei ihm      mit der Vorladung eben auf dem Markt in Liebstadt begegnet, als er seine zwei Kälbchen      zugetrieben. Da sei er gleich nach Pirna vors Amt gegangen &#x2014; und nun erzählte der Bauer den      weiteren Hergang, wie es schien, mit beflissener Verworrenheit. Der Doctor beobachtete ihn von      der Seite und glaubte unzweideutig zu sehen, daß ihm das Herz nicht aufging über das plötzliche      Glück. Dasselbe mochten auch die übrigen Gäste empfinden, denn stumpf und einsilbig hörten sie      zu. Ihre Kälte wirkte wieder auf den Sprecher zurück, so daß seine Freudenbotschaft immer      lebloser klang, und fast im Sand verrann. Die Scene wurde endlich so drückend und verstimmt,      daß der Doctor seinem Burschen aufzuräumen winkte, indeß er selbst sich erhob und sein      Abendbrod bezahlte. Er sprach kein Wort mehr von einem Nachtlager. Er wollte die Sterne      beobachten, sagte er. Unter diesem Vorwande warfen sie Beide den Hut auf den Kopf und schritten      grüßend zur Stube hinaus.</p><lb/>
        <p>Die Nacht war mild und sternenhell. Hochaufathmend trat der Reisende unter den prächtigen      Sommerhimmel. Schweigend stieg er den Wald hinan, der mit laubreichem Stammholz rings das      Dörfchen umzirkte. Schweigend warf er in den stillen lauschigen Dämmerplätzchen seine Blicke      umher, und bald war ein wohnliches Eckchen gefunden, das seitwärts, abgeschlossen und doch      eingewebt in das große Pfeiler- und Bogensystem des Hochwalds dalag, wie eine Seitenkapelle in      einem gothischen Dome. Hier schlug der junge Gelehrte mit seinem jüngeren Diener das Nachtlager      auf.</p><lb/>
        <p>Gespräche werden weiter ausgeführt, Stimmungen klingen länger nach am Abend als am Morgen.      Der Doctor hatte nichts dagegen, daß sein Bursche die<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0019] von welchem die Erbschaft ihm zufiele. Der Amtsbote sei ihm mit der Vorladung eben auf dem Markt in Liebstadt begegnet, als er seine zwei Kälbchen zugetrieben. Da sei er gleich nach Pirna vors Amt gegangen — und nun erzählte der Bauer den weiteren Hergang, wie es schien, mit beflissener Verworrenheit. Der Doctor beobachtete ihn von der Seite und glaubte unzweideutig zu sehen, daß ihm das Herz nicht aufging über das plötzliche Glück. Dasselbe mochten auch die übrigen Gäste empfinden, denn stumpf und einsilbig hörten sie zu. Ihre Kälte wirkte wieder auf den Sprecher zurück, so daß seine Freudenbotschaft immer lebloser klang, und fast im Sand verrann. Die Scene wurde endlich so drückend und verstimmt, daß der Doctor seinem Burschen aufzuräumen winkte, indeß er selbst sich erhob und sein Abendbrod bezahlte. Er sprach kein Wort mehr von einem Nachtlager. Er wollte die Sterne beobachten, sagte er. Unter diesem Vorwande warfen sie Beide den Hut auf den Kopf und schritten grüßend zur Stube hinaus. Die Nacht war mild und sternenhell. Hochaufathmend trat der Reisende unter den prächtigen Sommerhimmel. Schweigend stieg er den Wald hinan, der mit laubreichem Stammholz rings das Dörfchen umzirkte. Schweigend warf er in den stillen lauschigen Dämmerplätzchen seine Blicke umher, und bald war ein wohnliches Eckchen gefunden, das seitwärts, abgeschlossen und doch eingewebt in das große Pfeiler- und Bogensystem des Hochwalds dalag, wie eine Seitenkapelle in einem gothischen Dome. Hier schlug der junge Gelehrte mit seinem jüngeren Diener das Nachtlager auf. Gespräche werden weiter ausgeführt, Stimmungen klingen länger nach am Abend als am Morgen. Der Doctor hatte nichts dagegen, daß sein Bursche die

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-15T13:57:16Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-15T13:57:16Z)

Weitere Informationen:

Bogensignaturen: nicht gekennzeichnet; Druckfehler: dokumentiert; fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet; i/j in Fraktur: keine Angabe; I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert; Kolumnentitel: nicht gekennzeichnet; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine; rundes r (ꝛ): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: nein;




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/kuernberger_drache_1910
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/kuernberger_drache_1910/19
Zitationshilfe: Kürnberger, Ferdinand: Der Drache. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 11. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. [263]–310. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kuernberger_drache_1910/19>, abgerufen am 03.12.2024.