Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Kugler, Franz: Die Incantada. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 15. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 81–146. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

Bild:
<< vorherige Seite

Arbeit gewährte, so hatte er bei alledem doch auch Dimitri nicht vergessen. Zunächst war dieser bei dem Aufschlagen der Gerüste eifrig beschäftigt gewesen; mit voller Lust hatte er an der Arbeit Theil genommen, der stehende Trübsinn war dabei ganz aus seinen Zügen verschwunden, und fast zur Bewunderung war Stuart zuweilen hingerissen, wenn er dies im Eifer der Thätigkeit zu neuem Leben aufblühende, begeisterungsvolle Gesicht betrachtete. Einer der Ersten war Dimitri dann oben auf dem fertigen Gerüst gewesen; wie festgebannt stand er vor dem Bilde der Helena, in vollen Zügen gleichsam den Reiz ihrer Formen einsaugend. Stuart ließ ihn ruhig gewähren, überzeugt, wie er es schon vorher gewesen war, daß der spröde, starre Stein doch allmählich von selbst die Entzauberung des jungen Mannes einleiten müsse. In der That hatte er sich nicht ganz geirrt. Schon nach einigen Tagen änderte sich Dimitri's Benehmen; er stand minder unbeweglich vor der Helena, er ging zu den andern Bildwerken, verglich das eine mit dem andern, untersuchte die Art und Weise, wie die Steine des Denkmales zusammengefügt waren, und schien eine Zeit lang von lebhafter innerer Unruhe, von widerstreitenden Gedanken erfüllt. Stuart gedachte zu warten, bis Dimitri selbst ihm entgegen käme, aus eignem Antriebe ihm die Zweifel, die ihm augenscheinlich bereits aufgestiegen waren, vortrüge, um dann mit um so sichrerem Schlage den ganzen traumhaften Wahn zerstören zu können. Unvermerkt

Arbeit gewährte, so hatte er bei alledem doch auch Dimitri nicht vergessen. Zunächst war dieser bei dem Aufschlagen der Gerüste eifrig beschäftigt gewesen; mit voller Lust hatte er an der Arbeit Theil genommen, der stehende Trübsinn war dabei ganz aus seinen Zügen verschwunden, und fast zur Bewunderung war Stuart zuweilen hingerissen, wenn er dies im Eifer der Thätigkeit zu neuem Leben aufblühende, begeisterungsvolle Gesicht betrachtete. Einer der Ersten war Dimitri dann oben auf dem fertigen Gerüst gewesen; wie festgebannt stand er vor dem Bilde der Helena, in vollen Zügen gleichsam den Reiz ihrer Formen einsaugend. Stuart ließ ihn ruhig gewähren, überzeugt, wie er es schon vorher gewesen war, daß der spröde, starre Stein doch allmählich von selbst die Entzauberung des jungen Mannes einleiten müsse. In der That hatte er sich nicht ganz geirrt. Schon nach einigen Tagen änderte sich Dimitri's Benehmen; er stand minder unbeweglich vor der Helena, er ging zu den andern Bildwerken, verglich das eine mit dem andern, untersuchte die Art und Weise, wie die Steine des Denkmales zusammengefügt waren, und schien eine Zeit lang von lebhafter innerer Unruhe, von widerstreitenden Gedanken erfüllt. Stuart gedachte zu warten, bis Dimitri selbst ihm entgegen käme, aus eignem Antriebe ihm die Zweifel, die ihm augenscheinlich bereits aufgestiegen waren, vortrüge, um dann mit um so sichrerem Schlage den ganzen traumhaften Wahn zerstören zu können. Unvermerkt

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="4">
        <p><pb facs="#f0048"/>
Arbeit gewährte, so hatte er bei alledem doch auch                Dimitri nicht vergessen. Zunächst war dieser bei dem Aufschlagen der Gerüste eifrig                beschäftigt gewesen; mit voller Lust hatte er an der Arbeit Theil genommen, der                stehende Trübsinn war dabei ganz aus seinen Zügen verschwunden, und fast zur                Bewunderung war Stuart zuweilen hingerissen, wenn er dies im Eifer der Thätigkeit zu                neuem Leben aufblühende, begeisterungsvolle Gesicht betrachtete. Einer der Ersten war                Dimitri dann oben auf dem fertigen Gerüst gewesen; wie festgebannt stand er vor dem                Bilde der Helena, in vollen Zügen gleichsam den Reiz ihrer Formen einsaugend. Stuart                ließ ihn ruhig gewähren, überzeugt, wie er es schon vorher gewesen war, daß der                spröde, starre Stein doch allmählich von selbst die Entzauberung des jungen Mannes                einleiten müsse. In der That hatte er sich nicht ganz geirrt. Schon nach einigen                Tagen änderte sich Dimitri's Benehmen; er stand minder unbeweglich vor der Helena, er                ging zu den andern Bildwerken, verglich das eine mit dem andern, untersuchte die Art                und Weise, wie die Steine des Denkmales zusammengefügt waren, und schien eine Zeit                lang von lebhafter innerer Unruhe, von widerstreitenden Gedanken erfüllt. Stuart                gedachte zu warten, bis Dimitri selbst ihm entgegen käme, aus eignem Antriebe ihm die                Zweifel, die ihm augenscheinlich bereits aufgestiegen waren, vortrüge, um dann mit um                so sichrerem Schlage den ganzen traumhaften Wahn zerstören zu können. Unvermerkt<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0048] Arbeit gewährte, so hatte er bei alledem doch auch Dimitri nicht vergessen. Zunächst war dieser bei dem Aufschlagen der Gerüste eifrig beschäftigt gewesen; mit voller Lust hatte er an der Arbeit Theil genommen, der stehende Trübsinn war dabei ganz aus seinen Zügen verschwunden, und fast zur Bewunderung war Stuart zuweilen hingerissen, wenn er dies im Eifer der Thätigkeit zu neuem Leben aufblühende, begeisterungsvolle Gesicht betrachtete. Einer der Ersten war Dimitri dann oben auf dem fertigen Gerüst gewesen; wie festgebannt stand er vor dem Bilde der Helena, in vollen Zügen gleichsam den Reiz ihrer Formen einsaugend. Stuart ließ ihn ruhig gewähren, überzeugt, wie er es schon vorher gewesen war, daß der spröde, starre Stein doch allmählich von selbst die Entzauberung des jungen Mannes einleiten müsse. In der That hatte er sich nicht ganz geirrt. Schon nach einigen Tagen änderte sich Dimitri's Benehmen; er stand minder unbeweglich vor der Helena, er ging zu den andern Bildwerken, verglich das eine mit dem andern, untersuchte die Art und Weise, wie die Steine des Denkmales zusammengefügt waren, und schien eine Zeit lang von lebhafter innerer Unruhe, von widerstreitenden Gedanken erfüllt. Stuart gedachte zu warten, bis Dimitri selbst ihm entgegen käme, aus eignem Antriebe ihm die Zweifel, die ihm augenscheinlich bereits aufgestiegen waren, vortrüge, um dann mit um so sichrerem Schlage den ganzen traumhaften Wahn zerstören zu können. Unvermerkt

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-15T14:01:39Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-15T14:01:39Z)

Weitere Informationen:

Bogensignaturen: nicht gekennzeichnet; Druckfehler: dokumentiert; fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet; i/j in Fraktur: keine Angabe; I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert; Kolumnentitel: nicht gekennzeichnet; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine; rundes r (ꝛ): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: nein;




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/kugler_incantada_1910
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/kugler_incantada_1910/48
Zitationshilfe: Kugler, Franz: Die Incantada. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 15. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 81–146. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kugler_incantada_1910/48>, abgerufen am 21.11.2024.