Kuhnow, Anna: Gedanken und Erfahrungen über Frauenbildung und Frauenberuf. Leipzig, 1896.ging eines Morgens ins Colleg und hörte, vor der Saalthür Von Leuten, welche über das gemeinsame Studium be- ging eines Morgens ins Colleg und hörte, vor der Saalthür Von Leuten, welche über das gemeinsame Studium be- <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0010" n="9"/> ging eines Morgens ins Colleg und hörte, vor der Saalthür<lb/> angekommen, einen Höllenlärm, den die Studenten da drinnen<lb/> hervorbrachten; als ich eintrat, wurde es plötzlich ganz still,<lb/> und die Unterhaltung ging in den Grenzen der Wohlan-<lb/> ständigkeit weiter. Ich bemerkte nachher, dass ich die erste<lb/> Dame war, die an diesem Morgen kam und konnte mich<lb/> diesmal von der Wahrheit des Ausspruches jenes Edinburger<lb/> Professors überzeugen, der behauptet hatte, dass das gemein-<lb/> same Studium auch einen versittlichenden (humanising) Ein-<lb/> fluss auf die Studenten ausübte.</p><lb/> <p>Von Leuten, welche über das gemeinsame Studium be-<lb/> sonders der Medicin nachgedacht haben, es aber practisch<lb/> aus Erfahrung nicht kennen, hört man oft die schwersten<lb/> sittlichen Bedenken dagegen äussern, ja, man geht oft so<lb/> weit, Frauen, welche auf Hochschulen mit Männern studieren,<lb/> alles sittlichen Gefühls baar zu erklären. Ich kann diese<lb/> Bedenken von Menschen begreifen, welche Männer und<lb/> Frauen nur in Gesellschaften und auf dem Ballsaale zu-<lb/> sammensehen, auf denen das sinnliche Element, die Coquet-<lb/> terie, das Courmachen, der leichte Scherz, Witzeleien ton-<lb/> angebend sind. In solcher Atmosphäre medicinische Themen<lb/> zwischen Männern und Frauen zu erörtern, würde mir aller-<lb/> dings auch sittliche Bedenken erregen; ganz anders aber<lb/> sehen wir praktisch auf den Universitäten den Gang der<lb/> Dinge: Hier herrscht der sittliche Ernst der Wissenschaft<lb/> und das ehrliche Streben, etwas zu erlernen. Von den geistig<lb/> und sittlich hochstehenden Lehrern werden alle Organe des<lb/> Körpers und ihre Krankheiten als gleichbedeutend und wissen-<lb/> schaftlich interessant behandelt, man erröthet nicht, weil man<lb/> keine sinnlichen Hintergedanken bei dem Streben hat, ob-<lb/> jective Thatsachen kennen zu lernen. Mit Ernst und Würde<lb/> arbeiten Männer und Frauen zusammen und kommen sich<lb/> sinnlich bei dem gemeinsamen Studium kaum näher, als<lb/> Reisende, die zufällig in demselben Coupée zusammenfahren.<lb/> – Ich habe, wie gesagt, sittliche Bedenken oft von theore-<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [9/0010]
ging eines Morgens ins Colleg und hörte, vor der Saalthür
angekommen, einen Höllenlärm, den die Studenten da drinnen
hervorbrachten; als ich eintrat, wurde es plötzlich ganz still,
und die Unterhaltung ging in den Grenzen der Wohlan-
ständigkeit weiter. Ich bemerkte nachher, dass ich die erste
Dame war, die an diesem Morgen kam und konnte mich
diesmal von der Wahrheit des Ausspruches jenes Edinburger
Professors überzeugen, der behauptet hatte, dass das gemein-
same Studium auch einen versittlichenden (humanising) Ein-
fluss auf die Studenten ausübte.
Von Leuten, welche über das gemeinsame Studium be-
sonders der Medicin nachgedacht haben, es aber practisch
aus Erfahrung nicht kennen, hört man oft die schwersten
sittlichen Bedenken dagegen äussern, ja, man geht oft so
weit, Frauen, welche auf Hochschulen mit Männern studieren,
alles sittlichen Gefühls baar zu erklären. Ich kann diese
Bedenken von Menschen begreifen, welche Männer und
Frauen nur in Gesellschaften und auf dem Ballsaale zu-
sammensehen, auf denen das sinnliche Element, die Coquet-
terie, das Courmachen, der leichte Scherz, Witzeleien ton-
angebend sind. In solcher Atmosphäre medicinische Themen
zwischen Männern und Frauen zu erörtern, würde mir aller-
dings auch sittliche Bedenken erregen; ganz anders aber
sehen wir praktisch auf den Universitäten den Gang der
Dinge: Hier herrscht der sittliche Ernst der Wissenschaft
und das ehrliche Streben, etwas zu erlernen. Von den geistig
und sittlich hochstehenden Lehrern werden alle Organe des
Körpers und ihre Krankheiten als gleichbedeutend und wissen-
schaftlich interessant behandelt, man erröthet nicht, weil man
keine sinnlichen Hintergedanken bei dem Streben hat, ob-
jective Thatsachen kennen zu lernen. Mit Ernst und Würde
arbeiten Männer und Frauen zusammen und kommen sich
sinnlich bei dem gemeinsamen Studium kaum näher, als
Reisende, die zufällig in demselben Coupée zusammenfahren.
– Ich habe, wie gesagt, sittliche Bedenken oft von theore-
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