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Kuhnow, Anna: Gedanken und Erfahrungen über Frauenbildung und Frauenberuf. Leipzig, 1896.

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reicheres Wirken entfalten können als unter den beschrän-
kenden und degradirenden Bedingungen, unter denen sie
heute noch ihr Leben in Deutschland durchzukämpfen hat.
Nur der feste Glauben an die gute Sache kann ihr jetzt
den Muth des Ausharrens geben.

Ebenso glaube ich, dass in einer Zukunft, welche über
unsere jetzige Engherzigkeit lächeln wird, der Juristin ein
grosser Theil an der Arbeit für das Gemeinwohl zufallen
wird, ein Theil Arbeit, der jetzt brach liegt, weil der Mann
eben oft nicht im Sinne der Frau zu denken und fühlen
vermag, ganz einfach deshalb nicht, weil seine Lebens-
erfahrungen ihn absolut nicht befähigen können, die An-
sichten der Frau in vielen Punkten zu theilen oder zu ver-
stehen. Sie wird tausenden von Wittwen, Waisen, Ueber-
vortheilten und Verirrten helfen, denen jetzt die Gesellschaft
hülflos gegenübersteht, die sich ihr als ein scheinbar unnützer
Ballast anhängen. Auch Lehrerinnen, Künstlerinnen werden
erst dann ihren Aufgaben gerecht werden können, wenn
ihrem Können und Wollen keine Pforte mehr verschlossen
ist, ja, auch in der priesterlichen Welt dürfte der Frau eine
grosse Rolle beschieden sein, wenn man einmal dem Vor-
urtheil valet gesagt hat; denn trösten und helfen in den
geistigen und körperlichen Nöthen des Lebens ist vor allem
Privilegium der Frau.

Ich komme nun endlich noch zu der Frage: "Ist die
Frau befähigt, besonders in den höheren Berufen etwas zu
leisten."

Ich möchte da zuerst den Punkt erörtern, der in den
Augen des Publikums meist ein schwerwiegendes Argument
gegen das Studium der Frauen und die Ausübung eines
gelehrten Berufes, besonders des medicinischen, bildet.

Man wird ruhig zugeben müssen, dass die Backfische
von heute in den Kreisen des deutschen Volkes, aus welchen
sich dereinst die studirenden Frauen rekrutiren werden, im
Durchschnitt den Anforderungen körperlich nicht gewachsen

reicheres Wirken entfalten können als unter den beschrän-
kenden und degradirenden Bedingungen, unter denen sie
heute noch ihr Leben in Deutschland durchzukämpfen hat.
Nur der feste Glauben an die gute Sache kann ihr jetzt
den Muth des Ausharrens geben.

Ebenso glaube ich, dass in einer Zukunft, welche über
unsere jetzige Engherzigkeit lächeln wird, der Juristin ein
grosser Theil an der Arbeit für das Gemeinwohl zufallen
wird, ein Theil Arbeit, der jetzt brach liegt, weil der Mann
eben oft nicht im Sinne der Frau zu denken und fühlen
vermag, ganz einfach deshalb nicht, weil seine Lebens-
erfahrungen ihn absolut nicht befähigen können, die An-
sichten der Frau in vielen Punkten zu theilen oder zu ver-
stehen. Sie wird tausenden von Wittwen, Waisen, Ueber-
vortheilten und Verirrten helfen, denen jetzt die Gesellschaft
hülflos gegenübersteht, die sich ihr als ein scheinbar unnützer
Ballast anhängen. Auch Lehrerinnen, Künstlerinnen werden
erst dann ihren Aufgaben gerecht werden können, wenn
ihrem Können und Wollen keine Pforte mehr verschlossen
ist, ja, auch in der priesterlichen Welt dürfte der Frau eine
grosse Rolle beschieden sein, wenn man einmal dem Vor-
urtheil valet gesagt hat; denn trösten und helfen in den
geistigen und körperlichen Nöthen des Lebens ist vor allem
Privilegium der Frau.

Ich komme nun endlich noch zu der Frage: „Ist die
Frau befähigt, besonders in den höheren Berufen etwas zu
leisten.“

Ich möchte da zuerst den Punkt erörtern, der in den
Augen des Publikums meist ein schwerwiegendes Argument
gegen das Studium der Frauen und die Ausübung eines
gelehrten Berufes, besonders des medicinischen, bildet.

Man wird ruhig zugeben müssen, dass die Backfische
von heute in den Kreisen des deutschen Volkes, aus welchen
sich dereinst die studirenden Frauen rekrutiren werden, im
Durchschnitt den Anforderungen körperlich nicht gewachsen

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[22/0023] reicheres Wirken entfalten können als unter den beschrän- kenden und degradirenden Bedingungen, unter denen sie heute noch ihr Leben in Deutschland durchzukämpfen hat. Nur der feste Glauben an die gute Sache kann ihr jetzt den Muth des Ausharrens geben. Ebenso glaube ich, dass in einer Zukunft, welche über unsere jetzige Engherzigkeit lächeln wird, der Juristin ein grosser Theil an der Arbeit für das Gemeinwohl zufallen wird, ein Theil Arbeit, der jetzt brach liegt, weil der Mann eben oft nicht im Sinne der Frau zu denken und fühlen vermag, ganz einfach deshalb nicht, weil seine Lebens- erfahrungen ihn absolut nicht befähigen können, die An- sichten der Frau in vielen Punkten zu theilen oder zu ver- stehen. Sie wird tausenden von Wittwen, Waisen, Ueber- vortheilten und Verirrten helfen, denen jetzt die Gesellschaft hülflos gegenübersteht, die sich ihr als ein scheinbar unnützer Ballast anhängen. Auch Lehrerinnen, Künstlerinnen werden erst dann ihren Aufgaben gerecht werden können, wenn ihrem Können und Wollen keine Pforte mehr verschlossen ist, ja, auch in der priesterlichen Welt dürfte der Frau eine grosse Rolle beschieden sein, wenn man einmal dem Vor- urtheil valet gesagt hat; denn trösten und helfen in den geistigen und körperlichen Nöthen des Lebens ist vor allem Privilegium der Frau. Ich komme nun endlich noch zu der Frage: „Ist die Frau befähigt, besonders in den höheren Berufen etwas zu leisten.“ Ich möchte da zuerst den Punkt erörtern, der in den Augen des Publikums meist ein schwerwiegendes Argument gegen das Studium der Frauen und die Ausübung eines gelehrten Berufes, besonders des medicinischen, bildet. Man wird ruhig zugeben müssen, dass die Backfische von heute in den Kreisen des deutschen Volkes, aus welchen sich dereinst die studirenden Frauen rekrutiren werden, im Durchschnitt den Anforderungen körperlich nicht gewachsen

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Zitationshilfe: Kuhnow, Anna: Gedanken und Erfahrungen über Frauenbildung und Frauenberuf. Leipzig, 1896, S. 22. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kuhnow_gedanken_1896/23>, abgerufen am 21.11.2024.