Kuhnow, Anna: Gedanken und Erfahrungen über Frauenbildung und Frauenberuf. Leipzig, 1896.Seit vielen Jahren hatte man in den Vereinigten Seit vielen Jahren hatte man in den Vereinigten <TEI> <text> <body> <pb facs="#f0006" n="5"/> <div n="1"> <p><hi rendition="#in">S</hi>eit vielen Jahren hatte man in den Vereinigten<lb/> Staaten von Amerika versucht, die wenigen Ureinwohner,<lb/> die Indianer, der Cultur zugänglich zu machen, hatte des-<lb/> halb aus vielen ihrer Reservationen intelligente Knaben in<lb/> den Städten erzogen, sie zu Pfarrern, Aerzten, Lehrern aus-<lb/> gebildet und sie nach vollendeter Erziehung wieder zu ihren<lb/> Stammesgenossen geschickt, damit sie die Segnungen ihrer<lb/> Erziehung unter denselben verbreiten sollten und die Wilden<lb/> der Civilisation zugänglich machen. Fast in allen diesen<lb/> Fällen machte man die Erfahrung, dass diese Männer nicht<lb/> cultivirend wirkten, vielmehr, in verhältnissmässig kurzer Zeit<lb/> wieder ganz in die Barbarei ihrer Umgebung verfielen.<lb/> Fraueneinfluss war es zu danken, dass man <hi rendition="#g">mit</hi> den Knaben<lb/> endlich auch Mädchen erzog, dieselben später im Ehebunde<lb/> zusammenführte und sie dann nach ihren heimathlichen Ge-<lb/> filden zurückschickte. Und von nun ab machte man die<lb/> gute Erfahrung, dass sich die beiden auf der Höhe ihrer<lb/> Cultur erhielten, ja, dass sie in sehr vielen Fällen auch<lb/> civilisirend auf ihre Umgebung einwirkten. Die schwächere<lb/> Hälfte, die Frau, zeigte sich hier also augenscheinlich als<lb/> die Stütze und nothwendige Ergänzung des Mannes auch<lb/> in geistiger und sittlicher Beziehung nicht nur als eine Ge-<lb/> fährtin und Helferin in rein materiellen und physiologischen<lb/> Bedürfnissen. An dieser Erfahrung der Amerikaner könnten<lb/> die heutigen Culturnationen in Bezug auf die Frauenfrage<lb/> viel lernen; wenn sie sich nur einmal die <hi rendition="#g">ehrliche</hi> Mühe<lb/> geben wollten, darüber nachzudenken! – Mann und Frau<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [5/0006]
Seit vielen Jahren hatte man in den Vereinigten
Staaten von Amerika versucht, die wenigen Ureinwohner,
die Indianer, der Cultur zugänglich zu machen, hatte des-
halb aus vielen ihrer Reservationen intelligente Knaben in
den Städten erzogen, sie zu Pfarrern, Aerzten, Lehrern aus-
gebildet und sie nach vollendeter Erziehung wieder zu ihren
Stammesgenossen geschickt, damit sie die Segnungen ihrer
Erziehung unter denselben verbreiten sollten und die Wilden
der Civilisation zugänglich machen. Fast in allen diesen
Fällen machte man die Erfahrung, dass diese Männer nicht
cultivirend wirkten, vielmehr, in verhältnissmässig kurzer Zeit
wieder ganz in die Barbarei ihrer Umgebung verfielen.
Fraueneinfluss war es zu danken, dass man mit den Knaben
endlich auch Mädchen erzog, dieselben später im Ehebunde
zusammenführte und sie dann nach ihren heimathlichen Ge-
filden zurückschickte. Und von nun ab machte man die
gute Erfahrung, dass sich die beiden auf der Höhe ihrer
Cultur erhielten, ja, dass sie in sehr vielen Fällen auch
civilisirend auf ihre Umgebung einwirkten. Die schwächere
Hälfte, die Frau, zeigte sich hier also augenscheinlich als
die Stütze und nothwendige Ergänzung des Mannes auch
in geistiger und sittlicher Beziehung nicht nur als eine Ge-
fährtin und Helferin in rein materiellen und physiologischen
Bedürfnissen. An dieser Erfahrung der Amerikaner könnten
die heutigen Culturnationen in Bezug auf die Frauenfrage
viel lernen; wenn sie sich nur einmal die ehrliche Mühe
geben wollten, darüber nachzudenken! – Mann und Frau
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