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Kuhnow, Anna: Gedanken und Erfahrungen über Frauenbildung und Frauenberuf. Leipzig, 1896.

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gründe gestempelt werden, als vielmehr die Sünden unserer
Erziehungsweise, die aus dem Manne geistig, sittlich und
körperlich ein von der Frau vollkommen verschiedenes Wesen
machen. Diese Zustände werfen ihre Schatten in die geistigen
Producte unserer Zeit, die an Weiberverachtung und Männer-
hass so manch' widerliche Blüthe schon getrieben haben,
wie sie wohl kaum eine frühere Zeit zeitigen konnte. Und
dennoch giebt es noch weite Kreise in unserem deutschen
Vaterlande, meist diejenigen, aus denen litterarische Pro-
ducte nicht hervorgehen, wo Mann und Frau sich verstehen,
und weil sie sich verstehen, ergänzen wie in den guten
alten Zeiten, nur deshalb, weil ihre Erziehung sich auf dem
gleichen Boden und in den gleichen Grenzen der Volks-
schule und oft darin des gemeinsamen Unterrichts bewegte.
Ihre Lebenserfahrungen waren sich ungefähr gleich, und
darum die Gleichheit oder Aehnlichkeit der Lebensanschauung
und darum die Freundschaft in den Beziehungen der Ehe-
leute, die ja einzig dem Bunde der Liebe Dauer und Festig-
keit geben können. Vielleicht liegen in diesen durchaus
gesunden Beziehungen zwischen Mann und Frau in unseren
unteren Gesellschaftsschichten Wurzeln zu der Machtent-
faltung der Socialdemokratie über andere politische Par-
teien, die sich aus den höheren Klassen rekrutiren.

Es sollte das ehrlichste Bestreben aller wahren Staats-
und Menschenfreunde sein, ähnliche Verhältnisse auch in den
gebildeten Schichten der Gesellschaft herbeizuführen, und
die Bildung der Frau da der Bildung des Mannes eben-
bürtig zu machen. Das könnte auf keine Weise besser ge-
schehen, als wenn Mann und Frau im Ganzen gemeinsam
erzogen würden, wenn sie gleiche Bildung und Erfahrungen
in das Leben mitbrächten. Ich meine, sie sollten gemein-
same Schulen besuchen, ebensowohl die niederen
als die höheren und sollten auch, falls sie aca-
demischen Berufsarten sich zuwendeten, auf den
Hochschulen und Universitäten zusammen studiren

gründe gestempelt werden, als vielmehr die Sünden unserer
Erziehungsweise, die aus dem Manne geistig, sittlich und
körperlich ein von der Frau vollkommen verschiedenes Wesen
machen. Diese Zustände werfen ihre Schatten in die geistigen
Producte unserer Zeit, die an Weiberverachtung und Männer-
hass so manch’ widerliche Blüthe schon getrieben haben,
wie sie wohl kaum eine frühere Zeit zeitigen konnte. Und
dennoch giebt es noch weite Kreise in unserem deutschen
Vaterlande, meist diejenigen, aus denen litterarische Pro-
ducte nicht hervorgehen, wo Mann und Frau sich verstehen,
und weil sie sich verstehen, ergänzen wie in den guten
alten Zeiten, nur deshalb, weil ihre Erziehung sich auf dem
gleichen Boden und in den gleichen Grenzen der Volks-
schule und oft darin des gemeinsamen Unterrichts bewegte.
Ihre Lebenserfahrungen waren sich ungefähr gleich, und
darum die Gleichheit oder Aehnlichkeit der Lebensanschauung
und darum die Freundschaft in den Beziehungen der Ehe-
leute, die ja einzig dem Bunde der Liebe Dauer und Festig-
keit geben können. Vielleicht liegen in diesen durchaus
gesunden Beziehungen zwischen Mann und Frau in unseren
unteren Gesellschaftsschichten Wurzeln zu der Machtent-
faltung der Socialdemokratie über andere politische Par-
teien, die sich aus den höheren Klassen rekrutiren.

Es sollte das ehrlichste Bestreben aller wahren Staats-
und Menschenfreunde sein, ähnliche Verhältnisse auch in den
gebildeten Schichten der Gesellschaft herbeizuführen, und
die Bildung der Frau da der Bildung des Mannes eben-
bürtig zu machen. Das könnte auf keine Weise besser ge-
schehen, als wenn Mann und Frau im Ganzen gemeinsam
erzogen würden, wenn sie gleiche Bildung und Erfahrungen
in das Leben mitbrächten. Ich meine, sie sollten gemein-
same Schulen besuchen, ebensowohl die niederen
als die höheren und sollten auch, falls sie aca-
demischen Berufsarten sich zuwendeten, auf den
Hochschulen und Universitäten zusammen studiren

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[7/0008] gründe gestempelt werden, als vielmehr die Sünden unserer Erziehungsweise, die aus dem Manne geistig, sittlich und körperlich ein von der Frau vollkommen verschiedenes Wesen machen. Diese Zustände werfen ihre Schatten in die geistigen Producte unserer Zeit, die an Weiberverachtung und Männer- hass so manch’ widerliche Blüthe schon getrieben haben, wie sie wohl kaum eine frühere Zeit zeitigen konnte. Und dennoch giebt es noch weite Kreise in unserem deutschen Vaterlande, meist diejenigen, aus denen litterarische Pro- ducte nicht hervorgehen, wo Mann und Frau sich verstehen, und weil sie sich verstehen, ergänzen wie in den guten alten Zeiten, nur deshalb, weil ihre Erziehung sich auf dem gleichen Boden und in den gleichen Grenzen der Volks- schule und oft darin des gemeinsamen Unterrichts bewegte. Ihre Lebenserfahrungen waren sich ungefähr gleich, und darum die Gleichheit oder Aehnlichkeit der Lebensanschauung und darum die Freundschaft in den Beziehungen der Ehe- leute, die ja einzig dem Bunde der Liebe Dauer und Festig- keit geben können. Vielleicht liegen in diesen durchaus gesunden Beziehungen zwischen Mann und Frau in unseren unteren Gesellschaftsschichten Wurzeln zu der Machtent- faltung der Socialdemokratie über andere politische Par- teien, die sich aus den höheren Klassen rekrutiren. Es sollte das ehrlichste Bestreben aller wahren Staats- und Menschenfreunde sein, ähnliche Verhältnisse auch in den gebildeten Schichten der Gesellschaft herbeizuführen, und die Bildung der Frau da der Bildung des Mannes eben- bürtig zu machen. Das könnte auf keine Weise besser ge- schehen, als wenn Mann und Frau im Ganzen gemeinsam erzogen würden, wenn sie gleiche Bildung und Erfahrungen in das Leben mitbrächten. Ich meine, sie sollten gemein- same Schulen besuchen, ebensowohl die niederen als die höheren und sollten auch, falls sie aca- demischen Berufsarten sich zuwendeten, auf den Hochschulen und Universitäten zusammen studiren

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Zitationshilfe: Kuhnow, Anna: Gedanken und Erfahrungen über Frauenbildung und Frauenberuf. Leipzig, 1896, S. 7. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kuhnow_gedanken_1896/8>, abgerufen am 21.11.2024.