Augen angestarrt habe. Es wurde lebendig in der Wirthschaft. Die Schaar¬ wache kam, um vergebliche Untersuchungen nach dem Urheber der gefähr¬ lichen Mine anzustellen; auch hatte der Lärm Gäste aus anderen Wirths¬ häusern hergelockt. Friedrich ließ Wein heraufschaffen, zunächst für den Schrecken, wie er sagte, den der Schütz gehabt; aber es fanden sich auch noch andere Abnehmer. Man sprach und schrie über den Vorfall; die Einen schimpften auf den Thäter, die Andern lachten. Der Invalide spottete, daß man über einen Mordschlag ein so großes Aufheben mache; in seinen Schlachten habe es anders gedonnert, sagte er und machte einen neuen Versuch, seine Kriegsgeschichten zu erzählen; aber die Leute waren zu aufgeregt, um ihm zuzuhören. Gegen Friedrich wurde kein Ver¬ dacht laut; die Wenigen, die den wahren Thäter errathen hatten, wußten zu schweigen.
Mitten im Tumult zupfte ihn die Bäckerin am Arm und gab ihm ein Zeichen. Er folgte ihr in die Küche. Es ist ein absonderlicher Briefträger dagewesen, sagte sie und gab ihm einen Brief: Das Christinele hat gesagt, es hab' den ganzen Abend keinen Menschen finden können, der ihm den Brief fortgetragen hätt', und in die Sonne hab' es nicht mit ihm gehen mögen; da hab' es eben versucht, ob das Briefle nicht hier an seinen Mann zu bringen wär', und richtig, es hat keinen Metzgergang gethan. Ich bin nur froh, daß dem Kind nichts ge¬ schehen ist; denn kaum ist es fortgewesen, so ist der teufelhäftig' Knall losgegangen. Die Jugend wird immer schlimmer. Ich wollt', man thät' den Malefizkerl, der den Mordschlag gelegt hat, an den Ohren kriegen und tüchtig schütteln, das wär' ihm gesund.
Dem Mädle ist nichts widerfahren, sagte Friedrich etwas verlegen: ich hab' draußen nachgesehen, es ist kein Mensch verunglückt. Was steht denn in dem Brief?
Weiß ich das? entgegnete sie mit schlauem Lächeln: kann ich wissen, was ihr für Geschäfte mit einander habt? Nun, ich will nicht neugierig sein. Sie ging in die Stube. Friedrich erbrach mit bebender Hand den Brief und las ihn bei der trüben Küchenampel. Christine bat ihn um Verzeihung und rief ihn zu sich zurück! In seinem Ent¬ zücken dachte er nicht daran, daß seit der Ankunft dieses Briefes schon wieder eine neue Wolke zwischen ihn und sie getreten war, er stand wie von einer Flamme umgeben, drückte den Brief an's Herz und
D. B. IV. Kurz, Sonnenwirth. 8
Augen angeſtarrt habe. Es wurde lebendig in der Wirthſchaft. Die Schaar¬ wache kam, um vergebliche Unterſuchungen nach dem Urheber der gefähr¬ lichen Mine anzuſtellen; auch hatte der Lärm Gäſte aus anderen Wirths¬ häuſern hergelockt. Friedrich ließ Wein heraufſchaffen, zunächſt für den Schrecken, wie er ſagte, den der Schütz gehabt; aber es fanden ſich auch noch andere Abnehmer. Man ſprach und ſchrie über den Vorfall; die Einen ſchimpften auf den Thäter, die Andern lachten. Der Invalide ſpottete, daß man über einen Mordſchlag ein ſo großes Aufheben mache; in ſeinen Schlachten habe es anders gedonnert, ſagte er und machte einen neuen Verſuch, ſeine Kriegsgeſchichten zu erzählen; aber die Leute waren zu aufgeregt, um ihm zuzuhören. Gegen Friedrich wurde kein Ver¬ dacht laut; die Wenigen, die den wahren Thäter errathen hatten, wußten zu ſchweigen.
Mitten im Tumult zupfte ihn die Bäckerin am Arm und gab ihm ein Zeichen. Er folgte ihr in die Küche. Es iſt ein abſonderlicher Briefträger dageweſen, ſagte ſie und gab ihm einen Brief: Das Chriſtinele hat geſagt, es hab' den ganzen Abend keinen Menſchen finden können, der ihm den Brief fortgetragen hätt', und in die Sonne hab' es nicht mit ihm gehen mögen; da hab' es eben verſucht, ob das Briefle nicht hier an ſeinen Mann zu bringen wär', und richtig, es hat keinen Metzgergang gethan. Ich bin nur froh, daß dem Kind nichts ge¬ ſchehen iſt; denn kaum iſt es fortgeweſen, ſo iſt der teufelhäftig' Knall losgegangen. Die Jugend wird immer ſchlimmer. Ich wollt', man thät' den Malefizkerl, der den Mordschlag gelegt hat, an den Ohren kriegen und tüchtig ſchütteln, das wär' ihm geſund.
Dem Mädle iſt nichts widerfahren, ſagte Friedrich etwas verlegen: ich hab' draußen nachgeſehen, es iſt kein Menſch verunglückt. Was ſteht denn in dem Brief?
Weiß ich das? entgegnete ſie mit ſchlauem Lächeln: kann ich wiſſen, was ihr für Geſchäfte mit einander habt? Nun, ich will nicht neugierig ſein. Sie ging in die Stube. Friedrich erbrach mit bebender Hand den Brief und las ihn bei der trüben Küchenampel. Chriſtine bat ihn um Verzeihung und rief ihn zu ſich zurück! In ſeinem Ent¬ zücken dachte er nicht daran, daß ſeit der Ankunft dieſes Briefes ſchon wieder eine neue Wolke zwiſchen ihn und ſie getreten war, er ſtand wie von einer Flamme umgeben, drückte den Brief an's Herz und
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Augen angeſtarrt habe. Es wurde lebendig in der Wirthſchaft. Die Schaar¬
wache kam, um vergebliche Unterſuchungen nach dem Urheber der gefähr¬
lichen Mine anzuſtellen; auch hatte der Lärm Gäſte aus anderen Wirths¬
häuſern hergelockt. Friedrich ließ Wein heraufſchaffen, zunächſt für den
Schrecken, wie er ſagte, den der Schütz gehabt; aber es fanden ſich auch noch
andere Abnehmer. Man ſprach und ſchrie über den Vorfall; die Einen
ſchimpften auf den Thäter, die Andern lachten. Der Invalide ſpottete,
daß man über einen Mordſchlag ein ſo großes Aufheben mache; in
ſeinen Schlachten habe es anders gedonnert, ſagte er und machte einen
neuen Verſuch, ſeine Kriegsgeſchichten zu erzählen; aber die Leute waren
zu aufgeregt, um ihm zuzuhören. Gegen Friedrich wurde kein Ver¬
dacht laut; die Wenigen, die den wahren Thäter errathen hatten,
wußten zu ſchweigen.
Mitten im Tumult zupfte ihn die Bäckerin am Arm und gab ihm
ein Zeichen. Er folgte ihr in die Küche. Es iſt ein abſonderlicher
Briefträger dageweſen, ſagte ſie und gab ihm einen Brief: Das Chriſtinele
hat geſagt, es hab' den ganzen Abend keinen Menſchen finden können,
der ihm den Brief fortgetragen hätt', und in die Sonne hab' es nicht
mit ihm gehen mögen; da hab' es eben verſucht, ob das Briefle nicht
hier an ſeinen Mann zu bringen wär', und richtig, es hat keinen
Metzgergang gethan. Ich bin nur froh, daß dem Kind nichts ge¬
ſchehen iſt; denn kaum iſt es fortgeweſen, ſo iſt der teufelhäftig' Knall
losgegangen. Die Jugend wird immer ſchlimmer. Ich wollt', man
thät' den Malefizkerl, der den Mordschlag gelegt hat, an den Ohren
kriegen und tüchtig ſchütteln, das wär' ihm geſund.
Dem Mädle iſt nichts widerfahren, ſagte Friedrich etwas verlegen:
ich hab' draußen nachgeſehen, es iſt kein Menſch verunglückt. Was
ſteht denn in dem Brief?
Weiß ich das? entgegnete ſie mit ſchlauem Lächeln: kann ich wiſſen, was
ihr für Geſchäfte mit einander habt? Nun, ich will nicht neugierig ſein.
Sie ging in die Stube. Friedrich erbrach mit bebender Hand
den Brief und las ihn bei der trüben Küchenampel. Chriſtine bat
ihn um Verzeihung und rief ihn zu ſich zurück! In ſeinem Ent¬
zücken dachte er nicht daran, daß ſeit der Ankunft dieſes Briefes ſchon
wieder eine neue Wolke zwiſchen ihn und ſie getreten war, er ſtand
wie von einer Flamme umgeben, drückte den Brief an's Herz und
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Kurz, Hermann: Der Sonnenwirth. Frankfurt (Main), 1855, S. 113. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kurz_sonnenwirth_1855/129>, abgerufen am 21.11.2024.
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