hat haben wollen, so kann ich nicht wider ihn streiten und muß eben der Natur ihren Lauf lassen.
Damit verabschiedete er sich von dem Invaliden, der ihm noch lange voll Theilnahme nachsah, wie er ausschritt und der Schnee un¬ ter seinen kräftigen Tritten krachte.
Er hatte die letzten Häuser hinter sich und meinte nun recht ein¬ sam in die Welt hinaus zu wandern, als ihn auf einmal ein Wurf, nicht ganz sanft, an die Schulter traf, daß der Schnee ihm am Ge¬ sicht vorüberstäubte. Er kehrte sich zornig um; da war es Christine, die ihn geworfen hatte.
Ei! rief er, ich hätt' gute Lust mit dir zu zanken. Ich hab' ge¬ glaubt, du steckest tief im warmen Nest, und jetzt laufst hinter mir drein, erkältest dich und verbitterst mir das Scheiden noch einmal.
Schiltst schon wieder auf mein Geläuf? sagte sie, sich an seinen Arm hängend. Sei ruhig, ich kann nicht mehr weinen, die Kälte treibt mir die Thränen zurück. Ich werd' doch auch mein' Schatz noch ein wenig begleiten dürfen.
Ein paar Schritt' mein'twegen. Dann aber machst links um und läßt mich "in den Schutz Gottes befohlen sein".
Du Spottvogel! Ja, erst noch will ich dich in unsers Herrgotts Schutz empfehlen und all' Stund' für dich beten, daß dir's gehen mög', wie dem Handwerksburschen, der in der Fremde so wunderbar behütet worden ist.
Wie ist denn das gewesen?
Hast nie was davon gehört? Mir ist's einmal im Karz erzählt worden. Ein Handwerksbursch ist, weit von seiner Heimath weg, Abends spät in eine fremde Stadt kommen und hat nach der Herberg' gefragt. Er ist arg müd' gewesen und in den vielen krummen und buckligen Gassen hat er sich auch noch die Füß' auf dem Pflaster ver¬ stoßen müssen. Gelt? ach Gott, so wird's dir auch gehen auf deiner Wanderschaft.
Mach' nur fort.
Bis er zur Herberg kommen ist, ist's schon ganz Nacht gewesen. Wie er nun durch den finstern Hausgang an der Wand hin tappt, da kommt plötzlich etwas wie ein starker Mann über ihn her und packt ihn fest um den Leib --
hat haben wollen, ſo kann ich nicht wider ihn ſtreiten und muß eben der Natur ihren Lauf laſſen.
Damit verabſchiedete er ſich von dem Invaliden, der ihm noch lange voll Theilnahme nachſah, wie er ausſchritt und der Schnee un¬ ter ſeinen kräftigen Tritten krachte.
Er hatte die letzten Häuſer hinter ſich und meinte nun recht ein¬ ſam in die Welt hinaus zu wandern, als ihn auf einmal ein Wurf, nicht ganz ſanft, an die Schulter traf, daß der Schnee ihm am Ge¬ ſicht vorüberſtäubte. Er kehrte ſich zornig um; da war es Chriſtine, die ihn geworfen hatte.
Ei! rief er, ich hätt' gute Luſt mit dir zu zanken. Ich hab' ge¬ glaubt, du ſteckeſt tief im warmen Neſt, und jetzt laufſt hinter mir drein, erkälteſt dich und verbitterſt mir das Scheiden noch einmal.
Schiltſt ſchon wieder auf mein Geläuf? ſagte ſie, ſich an ſeinen Arm hängend. Sei ruhig, ich kann nicht mehr weinen, die Kälte treibt mir die Thränen zurück. Ich werd' doch auch mein' Schatz noch ein wenig begleiten dürfen.
Ein paar Schritt' mein'twegen. Dann aber machſt links um und läßt mich „in den Schutz Gottes befohlen ſein“.
Du Spottvogel! Ja, erſt noch will ich dich in unſers Herrgotts Schutz empfehlen und all' Stund' für dich beten, daß dir's gehen mög', wie dem Handwerksburſchen, der in der Fremde ſo wunderbar behütet worden iſt.
Wie iſt denn das geweſen?
Haſt nie was davon gehört? Mir iſt's einmal im Karz erzählt worden. Ein Handwerksburſch iſt, weit von ſeiner Heimath weg, Abends ſpät in eine fremde Stadt kommen und hat nach der Herberg' gefragt. Er iſt arg müd' geweſen und in den vielen krummen und buckligen Gaſſen hat er ſich auch noch die Füß' auf dem Pflaſter ver¬ ſtoßen müſſen. Gelt? ach Gott, ſo wird's dir auch gehen auf deiner Wanderſchaft.
Mach' nur fort.
Bis er zur Herberg kommen iſt, iſt's ſchon ganz Nacht geweſen. Wie er nun durch den finſtern Hausgang an der Wand hin tappt, da kommt plötzlich etwas wie ein ſtarker Mann über ihn her und packt ihn feſt um den Leib —
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hat haben wollen, ſo kann ich nicht wider ihn ſtreiten und muß eben
der Natur ihren Lauf laſſen.
Damit verabſchiedete er ſich von dem Invaliden, der ihm noch
lange voll Theilnahme nachſah, wie er ausſchritt und der Schnee un¬
ter ſeinen kräftigen Tritten krachte.
Er hatte die letzten Häuſer hinter ſich und meinte nun recht ein¬
ſam in die Welt hinaus zu wandern, als ihn auf einmal ein Wurf,
nicht ganz ſanft, an die Schulter traf, daß der Schnee ihm am Ge¬
ſicht vorüberſtäubte. Er kehrte ſich zornig um; da war es Chriſtine,
die ihn geworfen hatte.
Ei! rief er, ich hätt' gute Luſt mit dir zu zanken. Ich hab' ge¬
glaubt, du ſteckeſt tief im warmen Neſt, und jetzt laufſt hinter mir
drein, erkälteſt dich und verbitterſt mir das Scheiden noch einmal.
Schiltſt ſchon wieder auf mein Geläuf? ſagte ſie, ſich an ſeinen
Arm hängend. Sei ruhig, ich kann nicht mehr weinen, die Kälte
treibt mir die Thränen zurück. Ich werd' doch auch mein' Schatz
noch ein wenig begleiten dürfen.
Ein paar Schritt' mein'twegen. Dann aber machſt links um und
läßt mich „in den Schutz Gottes befohlen ſein“.
Du Spottvogel! Ja, erſt noch will ich dich in unſers Herrgotts
Schutz empfehlen und all' Stund' für dich beten, daß dir's gehen
mög', wie dem Handwerksburſchen, der in der Fremde ſo wunderbar
behütet worden iſt.
Wie iſt denn das geweſen?
Haſt nie was davon gehört? Mir iſt's einmal im Karz erzählt
worden. Ein Handwerksburſch iſt, weit von ſeiner Heimath weg,
Abends ſpät in eine fremde Stadt kommen und hat nach der Herberg'
gefragt. Er iſt arg müd' geweſen und in den vielen krummen und
buckligen Gaſſen hat er ſich auch noch die Füß' auf dem Pflaſter ver¬
ſtoßen müſſen. Gelt? ach Gott, ſo wird's dir auch gehen auf deiner
Wanderſchaft.
Mach' nur fort.
Bis er zur Herberg kommen iſt, iſt's ſchon ganz Nacht geweſen.
Wie er nun durch den finſtern Hausgang an der Wand hin tappt,
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Kurz, Hermann: Der Sonnenwirth. Frankfurt (Main), 1855, S. 155. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kurz_sonnenwirth_1855/171>, abgerufen am 26.11.2024.
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