"Ich hab das Vertrauen zu Ihm", fuhr der Vorleser fort, "und glaub in meinem Herzen, daß Er des Herrn Amtmanns sein Hertze am besten erweichen kann. Mein Vater schickt einen Knecht fort auf Fastnacht; er erbarmet sich meiner gewiß und nimmt mich wieder an, wann ich befreit bin von dem Herrn Amtmann. Ich hab nicht längere Weil gehabt; wann ich mich sehen darf lassen, so will ich mündlich mit Ihm reden. Er ist von mir viel tausendmal gegrüßt und schließe Ihn in die Vorsorg Gottes. Sein getreuer Schwager bis in den Tod."
Es muß ein wenig confus in seinem Kopf hergehen, fügte der Chirurg hinzu, denn er lebt mit dem Datum noch im vorigen Jahr.
Er kann eben in gar nichts ordentlich sein, bemerkte die Sonnen¬ wirthin.
Jetzt, was ist zu thun? fragte der Chirurg.
Der Krämer, der nicht wieder die Mißgriffe von neulich begehen wollte, half sich mit Achselzucken, Händereiben und Lächeln nach allen Seiten hin.
Die Sonnenwirthin sagte: Entweder ist er der Landstreicherei ob¬ gelegen, hat sein Geld verthan und ist gar nicht bei dem Vetter ge¬ wesen, oder hat er drunten gleich zum Einstand schlechte Streich' ge¬ macht und ist wieder fortgejagt worden. Wenn sein Gewissen gut wär', that' er nicht so erbärmlich und so unterthänig schreiben. Das ist sonst sein' Sach' nicht.
So viel ist richtig, sagte der Sonnenwirth nach einigem Nachden¬ ken, daß der Gerichtsschreiber in Boll drüben einen Sohn in die Fremde geschickt hat, und das erst ganz kürzlich, denn ich hab's erst vor ein paar Tagen gehört, nur hab ich nicht sagen hören wohin. Weil er aber allerdings zu unsrer Gefreundtschaft gehört und mein Bruder in Sachsenhausen also auch ein Vetter von ihm ist, so ist's wohl möglich, daß er ihn dorthin gethan hat; denn seine Buben sind dickköpfig und haben wenig Beruf für die Schreiberei.
Es kommt natürlich Alles darauf an, ob die Angabe wahr ist, bemerkte der Chirurg.
Wenn's wahr ist, sagte der Sonnenwirth, so müssen die Beiden schier mit einander bei meinem Bruder drunten angekommen sein.
Man muß eben hinunter schreiben, meinte Magdalene.
11 *
„Ich hab das Vertrauen zu Ihm“, fuhr der Vorleſer fort, „und glaub in meinem Herzen, daß Er des Herrn Amtmanns ſein Hertze am beſten erweichen kann. Mein Vater ſchickt einen Knecht fort auf Faſtnacht; er erbarmet ſich meiner gewiß und nimmt mich wieder an, wann ich befreit bin von dem Herrn Amtmann. Ich hab nicht längere Weil gehabt; wann ich mich ſehen darf laſſen, ſo will ich mündlich mit Ihm reden. Er iſt von mir viel tauſendmal gegrüßt und ſchließe Ihn in die Vorſorg Gottes. Sein getreuer Schwager bis in den Tod.“
Es muß ein wenig confus in ſeinem Kopf hergehen, fügte der Chirurg hinzu, denn er lebt mit dem Datum noch im vorigen Jahr.
Er kann eben in gar nichts ordentlich ſein, bemerkte die Sonnen¬ wirthin.
Jetzt, was iſt zu thun? fragte der Chirurg.
Der Krämer, der nicht wieder die Mißgriffe von neulich begehen wollte, half ſich mit Achſelzucken, Händereiben und Lächeln nach allen Seiten hin.
Die Sonnenwirthin ſagte: Entweder iſt er der Landſtreicherei ob¬ gelegen, hat ſein Geld verthan und iſt gar nicht bei dem Vetter ge¬ weſen, oder hat er drunten gleich zum Einſtand ſchlechte Streich' ge¬ macht und iſt wieder fortgejagt worden. Wenn ſein Gewiſſen gut wär', that' er nicht ſo erbärmlich und ſo unterthänig ſchreiben. Das iſt ſonſt ſein' Sach' nicht.
So viel iſt richtig, ſagte der Sonnenwirth nach einigem Nachden¬ ken, daß der Gerichtsſchreiber in Boll drüben einen Sohn in die Fremde geſchickt hat, und das erſt ganz kürzlich, denn ich hab's erſt vor ein paar Tagen gehört, nur hab ich nicht ſagen hören wohin. Weil er aber allerdings zu unſrer Gefreundtſchaft gehört und mein Bruder in Sachſenhauſen alſo auch ein Vetter von ihm iſt, ſo iſt's wohl möglich, daß er ihn dorthin gethan hat; denn ſeine Buben ſind dickköpfig und haben wenig Beruf für die Schreiberei.
Es kommt natürlich Alles darauf an, ob die Angabe wahr iſt, bemerkte der Chirurg.
Wenn's wahr iſt, ſagte der Sonnenwirth, ſo müſſen die Beiden ſchier mit einander bei meinem Bruder drunten angekommen ſein.
Man muß eben hinunter ſchreiben, meinte Magdalene.
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„Ich hab das Vertrauen zu Ihm“, fuhr der Vorleſer fort, „und
glaub in meinem Herzen, daß Er des Herrn Amtmanns ſein Hertze
am beſten erweichen kann. Mein Vater ſchickt einen Knecht fort auf
Faſtnacht; er erbarmet ſich meiner gewiß und nimmt mich wieder an,
wann ich befreit bin von dem Herrn Amtmann. Ich hab nicht längere
Weil gehabt; wann ich mich ſehen darf laſſen, ſo will ich mündlich
mit Ihm reden. Er iſt von mir viel tauſendmal gegrüßt und ſchließe
Ihn in die Vorſorg Gottes. Sein getreuer Schwager bis in den
Tod.“
Es muß ein wenig confus in ſeinem Kopf hergehen, fügte der
Chirurg hinzu, denn er lebt mit dem Datum noch im vorigen Jahr.
Er kann eben in gar nichts ordentlich ſein, bemerkte die Sonnen¬
wirthin.
Jetzt, was iſt zu thun? fragte der Chirurg.
Der Krämer, der nicht wieder die Mißgriffe von neulich begehen
wollte, half ſich mit Achſelzucken, Händereiben und Lächeln nach allen
Seiten hin.
Die Sonnenwirthin ſagte: Entweder iſt er der Landſtreicherei ob¬
gelegen, hat ſein Geld verthan und iſt gar nicht bei dem Vetter ge¬
weſen, oder hat er drunten gleich zum Einſtand ſchlechte Streich' ge¬
macht und iſt wieder fortgejagt worden. Wenn ſein Gewiſſen gut
wär', that' er nicht ſo erbärmlich und ſo unterthänig ſchreiben. Das
iſt ſonſt ſein' Sach' nicht.
So viel iſt richtig, ſagte der Sonnenwirth nach einigem Nachden¬
ken, daß der Gerichtsſchreiber in Boll drüben einen Sohn in die
Fremde geſchickt hat, und das erſt ganz kürzlich, denn ich hab's erſt
vor ein paar Tagen gehört, nur hab ich nicht ſagen hören wohin.
Weil er aber allerdings zu unſrer Gefreundtſchaft gehört und mein
Bruder in Sachſenhauſen alſo auch ein Vetter von ihm iſt, ſo iſt's
wohl möglich, daß er ihn dorthin gethan hat; denn ſeine Buben ſind
dickköpfig und haben wenig Beruf für die Schreiberei.
Es kommt natürlich Alles darauf an, ob die Angabe wahr iſt,
bemerkte der Chirurg.
Wenn's wahr iſt, ſagte der Sonnenwirth, ſo müſſen die Beiden
ſchier mit einander bei meinem Bruder drunten angekommen ſein.
Man muß eben hinunter ſchreiben, meinte Magdalene.
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Kurz, Hermann: Der Sonnenwirth. Frankfurt (Main), 1855, S. 163. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kurz_sonnenwirth_1855/179>, abgerufen am 26.11.2024.
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