zu bringen war, voraussehen zu müssen, daß ihr nach seinem Tode das Schicksal bevorstehen würde, von dem jungen Paare aus dem Hause getrieben oder, was noch schlimmer, im Hause mit Füßen ge¬ treten zu werden. Friedrich konnte ihr vielleicht vergeben, Christine aber nie; diese Ueberzeugung mußte sie deßhalb hegen, weil sie sich sagte, daß sie an Christinens Stelle eben so handeln würde. So trieb sie denn täglich den Keil tiefer, um das Band zu sprengen oder gar die Enterbung des Stiefsohnes durchzusetzen. Sie ging oft in's Pfarrhaus und Amthaus, um dort die herrschende Ungunst zu schüren und dann ihrem für Eindrücke von oben empfänglichen Manne wieder zu berich¬ ten, was man daselbst über die ungleiche Partie spreche; auch war sie nicht sparsam, ihm Drohungen und Schmähungen, die sein Sohn ausgestoßen, anmaßende und verletzende Reden, die Christine geführt haben sollte, zuzutragen. Hierbei war ihr der Fischer, der sie fleißig mit der faulen Waare seiner Berichte versorgte, von großem Nutzen, und er selbst zog aus dem Familienzerwürfniß nicht geringen Gewinn.
Da die Sonnenwirthin sowohl ihren Mann als seinen Sohn sehr genau kannte, so wußte sie auch bessere Regungen, die eine end¬ liche Ausgleichung des Zwistes hätten herbeiführen können, zu ihren Zwecken auszubeuten. So war es ihr gar nicht unwillkommen, als ihr Mann eines Tages zu ihr sagte: Es ist mir doch nicht lieb, daß er mich drum ansieht, als ob ich ihm sein Mütterlich's vorenthalten wollt'. Wenn der dumm' Bub' absolut in sein Unglück rennen will, so weiß ich am End' nicht, ob ich ihn halten soll. Es ist mir nur um die Sonne. Ich hab' mich eben in Gedanken ganz drein hineingelebt, daß er einmal eine Posthalterserbin heirathet und die Sonne vollends recht in Flor bringt.
Sie werden sich um ihn reißen, bemerkte sie, er ist ein guter Brocken, verschreit wie er ist.
Ach was! entgegnete er, das wär' bald vergessen, wenn er nur einmal nicht mehr so überzwerch wär'. Aber ich geb' allmählich die Hoffnung auf, daß er wird wie ein anderer Mensch. Er hat eben gar keine Ehr' im Leib. So einem Lumpenmensch zu lieb auf sein Eigenthum verzichten wollen und eine Zukunft in die Schanz' schlagen, um die ein Anderer tausend Stunden weit auf'm Kopf lief' -- ich kann's nicht begreifen. Aber wenn er mit Gewalt vom Herren zum
zu bringen war, vorausſehen zu müſſen, daß ihr nach ſeinem Tode das Schickſal bevorſtehen würde, von dem jungen Paare aus dem Hauſe getrieben oder, was noch ſchlimmer, im Hauſe mit Füßen ge¬ treten zu werden. Friedrich konnte ihr vielleicht vergeben, Chriſtine aber nie; dieſe Ueberzeugung mußte ſie deßhalb hegen, weil ſie ſich ſagte, daß ſie an Chriſtinens Stelle eben ſo handeln würde. So trieb ſie denn täglich den Keil tiefer, um das Band zu ſprengen oder gar die Enterbung des Stiefſohnes durchzuſetzen. Sie ging oft in's Pfarrhaus und Amthaus, um dort die herrſchende Ungunſt zu ſchüren und dann ihrem für Eindrücke von oben empfänglichen Manne wieder zu berich¬ ten, was man daſelbſt über die ungleiche Partie ſpreche; auch war ſie nicht ſparſam, ihm Drohungen und Schmähungen, die ſein Sohn ausgeſtoßen, anmaßende und verletzende Reden, die Chriſtine geführt haben ſollte, zuzutragen. Hierbei war ihr der Fiſcher, der ſie fleißig mit der faulen Waare ſeiner Berichte verſorgte, von großem Nutzen, und er ſelbſt zog aus dem Familienzerwürfniß nicht geringen Gewinn.
Da die Sonnenwirthin ſowohl ihren Mann als ſeinen Sohn ſehr genau kannte, ſo wußte ſie auch beſſere Regungen, die eine end¬ liche Ausgleichung des Zwiſtes hätten herbeiführen können, zu ihren Zwecken auszubeuten. So war es ihr gar nicht unwillkommen, als ihr Mann eines Tages zu ihr ſagte: Es iſt mir doch nicht lieb, daß er mich drum anſieht, als ob ich ihm ſein Mütterlich's vorenthalten wollt'. Wenn der dumm' Bub' abſolut in ſein Unglück rennen will, ſo weiß ich am End' nicht, ob ich ihn halten ſoll. Es iſt mir nur um die Sonne. Ich hab' mich eben in Gedanken ganz drein hineingelebt, daß er einmal eine Poſthalterserbin heirathet und die Sonne vollends recht in Flor bringt.
Sie werden ſich um ihn reißen, bemerkte ſie, er iſt ein guter Brocken, verſchreit wie er iſt.
Ach was! entgegnete er, das wär' bald vergeſſen, wenn er nur einmal nicht mehr ſo überzwerch wär'. Aber ich geb' allmählich die Hoffnung auf, daß er wird wie ein anderer Menſch. Er hat eben gar keine Ehr' im Leib. So einem Lumpenmenſch zu lieb auf ſein Eigenthum verzichten wollen und eine Zukunft in die Schanz' ſchlagen, um die ein Anderer tauſend Stunden weit auf'm Kopf lief' — ich kann's nicht begreifen. Aber wenn er mit Gewalt vom Herren zum
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zu bringen war, vorausſehen zu müſſen, daß ihr nach ſeinem Tode
das Schickſal bevorſtehen würde, von dem jungen Paare aus dem
Hauſe getrieben oder, was noch ſchlimmer, im Hauſe mit Füßen ge¬
treten zu werden. Friedrich konnte ihr vielleicht vergeben, Chriſtine
aber nie; dieſe Ueberzeugung mußte ſie deßhalb hegen, weil ſie ſich
ſagte, daß ſie an Chriſtinens Stelle eben ſo handeln würde. So trieb
ſie denn täglich den Keil tiefer, um das Band zu ſprengen oder gar die
Enterbung des Stiefſohnes durchzuſetzen. Sie ging oft in's Pfarrhaus
und Amthaus, um dort die herrſchende Ungunſt zu ſchüren und dann
ihrem für Eindrücke von oben empfänglichen Manne wieder zu berich¬
ten, was man daſelbſt über die ungleiche Partie ſpreche; auch war
ſie nicht ſparſam, ihm Drohungen und Schmähungen, die ſein Sohn
ausgeſtoßen, anmaßende und verletzende Reden, die Chriſtine geführt
haben ſollte, zuzutragen. Hierbei war ihr der Fiſcher, der ſie fleißig
mit der faulen Waare ſeiner Berichte verſorgte, von großem Nutzen,
und er ſelbſt zog aus dem Familienzerwürfniß nicht geringen Gewinn.
Da die Sonnenwirthin ſowohl ihren Mann als ſeinen Sohn
ſehr genau kannte, ſo wußte ſie auch beſſere Regungen, die eine end¬
liche Ausgleichung des Zwiſtes hätten herbeiführen können, zu ihren
Zwecken auszubeuten. So war es ihr gar nicht unwillkommen, als
ihr Mann eines Tages zu ihr ſagte: Es iſt mir doch nicht lieb, daß
er mich drum anſieht, als ob ich ihm ſein Mütterlich's vorenthalten
wollt'. Wenn der dumm' Bub' abſolut in ſein Unglück rennen
will, ſo weiß ich am End' nicht, ob ich ihn halten ſoll. Es iſt mir
nur um die Sonne. Ich hab' mich eben in Gedanken ganz drein
hineingelebt, daß er einmal eine Poſthalterserbin heirathet und die
Sonne vollends recht in Flor bringt.
Sie werden ſich um ihn reißen, bemerkte ſie, er iſt ein guter
Brocken, verſchreit wie er iſt.
Ach was! entgegnete er, das wär' bald vergeſſen, wenn er nur
einmal nicht mehr ſo überzwerch wär'. Aber ich geb' allmählich die
Hoffnung auf, daß er wird wie ein anderer Menſch. Er hat eben
gar keine Ehr' im Leib. So einem Lumpenmenſch zu lieb auf ſein
Eigenthum verzichten wollen und eine Zukunft in die Schanz' ſchlagen,
um die ein Anderer tauſend Stunden weit auf'm Kopf lief' — ich
kann's nicht begreifen. Aber wenn er mit Gewalt vom Herren zum
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Kurz, Hermann: Der Sonnenwirth. Frankfurt (Main), 1855, S. 203. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kurz_sonnenwirth_1855/219>, abgerufen am 24.11.2024.
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