Was, der Bartkratzer, der sogenannte Herr Chirurgus, der Heuchler, der Kopfhänger, die magere Kuh Pharaonis? Jetzt wird mir's an¬ ders! jetzt hab' ich eine Stärkung vonnöthen! Kommt, Vetter, ich will's an Euch hinlassen.
Damit erhob er sein Glas. Ich will's ausstehen, erwiderte der Andere mit sauersüßer Miene, kam ihm mit dem seinigen entgegen und sie stießen mit einander an. Nachdem der Knecht durch einen Wink beschieden worden war, den Dreiklang voll zu machen, lehnte sich der ältere Müller in seinen Stuhl zurück und fuhr verwundert fort: Ei so guck Einer! Der Alte schlägt seine Mädchen doch recht unter'm Preis los, denn die paar Fuß breit Grundherrschaft, die der grüne Darmfeger besitzt, werden justement einen Sack Erdbirnen ausgeben, und was er Jahraus Jahrein mit seiner Rasierklinge aus den hiesigen Schweins¬ borsten und Igelsstacheln heraussticht und schabt, das wird ihn auch nicht gerade fett machen. Die Figur gibt's. Aber der Alte trifft zwei Fliegen mit Einem Schlag. So ein Schlucker darf kein groß Heirathgut fordern; da behält der Schwäh'rvater seine Kronenthaler brav in der Truhe, und hat noch den Profit, daß ihm der fromme Schwiegersohn, so oft er den Morgen- und Abendsegen liest, um ein baldsanftseligs Ende betet. Seine erste Tochter wird auch nicht viel mitbekommen 'haben, wie er sie hinausgegeben hat; denn ich seh' just nicht, daß ihr Eh'krüppel sonderlich stark speculirt, weder in Käs noch in Schwefelhölzlen. Econträr, im Gegentheil, seine Firma geht einen sehr bedächtlichen Gang und blüht wie die späten Obstsorten; ich glaub', er hat's auf's langsam reich werden angelegt. Aber er ist doch ein Herr Handelsmann, in Stuttgart heißen sie's gar Commercienrath, und das ist Numero Zwei. Den neuen Schwiegersohn kauft er viel¬ leicht noch wohlfeiler, und das ist noch ein kostbarerer Artikel, das ist gar ein halber Doctor. Die Frau Chirurgussin wird sich natürlicher Weise Flügel an die Haube machen lassen müssen, wenn sie mit der langen froschgrünen Stange ranggemäß über die Straße rudern will. Schad' ist's übrigens um die Magdalene. Sie gäb' grad' so einen Arm voll für einen wackern Junggesellen, wie Ihr z. B., Vetter. Aber so weit gibt sich der Hochmuth nicht herunter, Unsereiner ist ihm nicht gut genug; so eine Rasierklinge ohne Handhab' schneid't ihm immer noch besser. O blinde Welt! Die Hand vom Butten, Vetter, 's sind Weinbeeren drin.
D. B. IV. Kurz, Sonnenwirth. 2
Was, der Bartkratzer, der ſogenannte Herr Chirurgus, der Heuchler, der Kopfhänger, die magere Kuh Pharaonis? Jetzt wird mir's an¬ ders! jetzt hab' ich eine Stärkung vonnöthen! Kommt, Vetter, ich will's an Euch hinlaſſen.
Damit erhob er ſein Glas. Ich will's ausſtehen, erwiderte der Andere mit ſauerſüßer Miene, kam ihm mit dem ſeinigen entgegen und ſie ſtießen mit einander an. Nachdem der Knecht durch einen Wink beſchieden worden war, den Dreiklang voll zu machen, lehnte ſich der ältere Müller in ſeinen Stuhl zurück und fuhr verwundert fort: Ei ſo guck Einer! Der Alte ſchlägt ſeine Mädchen doch recht unter'm Preis los, denn die paar Fuß breit Grundherrſchaft, die der grüne Darmfeger beſitzt, werden juſtement einen Sack Erdbirnen ausgeben, und was er Jahraus Jahrein mit ſeiner Raſierklinge aus den hieſigen Schweins¬ borſten und Igelsſtacheln herausſticht und ſchabt, das wird ihn auch nicht gerade fett machen. Die Figur gibt's. Aber der Alte trifft zwei Fliegen mit Einem Schlag. So ein Schlucker darf kein groß Heirathgut fordern; da behält der Schwäh'rvater ſeine Kronenthaler brav in der Truhe, und hat noch den Profit, daß ihm der fromme Schwiegerſohn, ſo oft er den Morgen- und Abendſegen lieſt, um ein baldſanftſeligs Ende betet. Seine erſte Tochter wird auch nicht viel mitbekommen 'haben, wie er ſie hinausgegeben hat; denn ich ſeh' juſt nicht, daß ihr Eh'krüppel ſonderlich ſtark ſpeculirt, weder in Käs noch in Schwefelhölzlen. Econträr, im Gegentheil, ſeine Firma geht einen ſehr bedächtlichen Gang und blüht wie die ſpäten Obſtſorten; ich glaub', er hat's auf's langſam reich werden angelegt. Aber er iſt doch ein Herr Handelsmann, in Stuttgart heißen ſie's gar Commercienrath, und das iſt Numero Zwei. Den neuen Schwiegerſohn kauft er viel¬ leicht noch wohlfeiler, und das iſt noch ein koſtbarerer Artikel, das iſt gar ein halber Doctor. Die Frau Chirurguſſin wird ſich natürlicher Weiſe Flügel an die Haube machen laſſen müſſen, wenn ſie mit der langen froſchgrünen Stange ranggemäß über die Straße rudern will. Schad' iſt's übrigens um die Magdalene. Sie gäb' grad' ſo einen Arm voll für einen wackern Junggeſellen, wie Ihr z. B., Vetter. Aber ſo weit gibt ſich der Hochmuth nicht herunter, Unſereiner iſt ihm nicht gut genug; ſo eine Raſierklinge ohne Handhab' ſchneid't ihm immer noch beſſer. O blinde Welt! Die Hand vom Butten, Vetter, 's ſind Weinbeeren drin.
D. B. IV. Kurz, Sonnenwirth. 2
<TEI><text><body><divn="1"><pbfacs="#f0033"n="17"/><p>Was, der Bartkratzer, der ſogenannte Herr Chirurgus, der Heuchler,<lb/>
der Kopfhänger, die magere Kuh Pharaonis? Jetzt wird mir's an¬<lb/>
ders! jetzt hab' ich eine Stärkung vonnöthen! Kommt, Vetter, ich<lb/>
will's an Euch hinlaſſen.</p><lb/><p>Damit erhob er ſein Glas. Ich will's ausſtehen, erwiderte der<lb/>
Andere mit ſauerſüßer Miene, kam ihm mit dem ſeinigen entgegen und<lb/>ſie ſtießen mit einander an. Nachdem der Knecht durch einen Wink<lb/>
beſchieden worden war, den Dreiklang voll zu machen, lehnte ſich der ältere<lb/>
Müller in ſeinen Stuhl zurück und fuhr verwundert fort: Ei ſo guck<lb/>
Einer! Der Alte ſchlägt ſeine Mädchen doch recht unter'm Preis los,<lb/>
denn die paar Fuß breit Grundherrſchaft, die der grüne Darmfeger<lb/>
beſitzt, werden juſtement einen Sack Erdbirnen ausgeben, und was er<lb/>
Jahraus Jahrein mit ſeiner Raſierklinge aus den hieſigen Schweins¬<lb/>
borſten und Igelsſtacheln herausſticht und ſchabt, das wird ihn auch<lb/>
nicht gerade fett machen. Die Figur gibt's. Aber der Alte trifft<lb/>
zwei Fliegen mit Einem Schlag. So ein Schlucker darf kein groß<lb/>
Heirathgut fordern; da behält der Schwäh'rvater ſeine Kronenthaler<lb/>
brav in der Truhe, und hat noch den Profit, daß ihm der fromme<lb/>
Schwiegerſohn, ſo oft er den Morgen- und Abendſegen lieſt, um ein<lb/>
baldſanftſeligs Ende betet. Seine erſte Tochter wird auch nicht viel<lb/>
mitbekommen 'haben, wie er ſie hinausgegeben hat; denn ich ſeh' juſt<lb/>
nicht, daß ihr Eh'krüppel ſonderlich ſtark ſpeculirt, weder in Käs noch<lb/>
in Schwefelhölzlen. Econträr, im Gegentheil, ſeine Firma geht<lb/>
einen ſehr bedächtlichen Gang und blüht wie die ſpäten Obſtſorten; ich<lb/>
glaub', er hat's auf's langſam reich werden angelegt. Aber er iſt doch<lb/>
ein Herr Handelsmann, in Stuttgart heißen ſie's gar Commercienrath,<lb/>
und das iſt Numero Zwei. Den neuen Schwiegerſohn kauft er viel¬<lb/>
leicht noch wohlfeiler, und das iſt noch ein koſtbarerer Artikel, das iſt<lb/>
gar ein halber Doctor. Die Frau Chirurguſſin wird ſich natürlicher<lb/>
Weiſe Flügel an die Haube machen laſſen müſſen, wenn ſie mit der<lb/>
langen froſchgrünen Stange ranggemäß über die Straße rudern will. Schad'<lb/>
iſt's übrigens um die Magdalene. Sie gäb' grad' ſo einen Arm voll für<lb/>
einen wackern Junggeſellen, wie Ihr z. B., Vetter. Aber ſo weit gibt ſich<lb/>
der Hochmuth nicht herunter, Unſereiner iſt ihm nicht gut genug; ſo eine<lb/>
Raſierklinge ohne Handhab' ſchneid't ihm immer noch beſſer. O blinde<lb/>
Welt! Die Hand vom Butten, Vetter, 's ſind Weinbeeren drin.</p><lb/><fwplace="bottom"type="sig">D. B. <hirendition="#aq">IV</hi>. Kurz, Sonnenwirth. 2<lb/></fw></div></body></text></TEI>
[17/0033]
Was, der Bartkratzer, der ſogenannte Herr Chirurgus, der Heuchler,
der Kopfhänger, die magere Kuh Pharaonis? Jetzt wird mir's an¬
ders! jetzt hab' ich eine Stärkung vonnöthen! Kommt, Vetter, ich
will's an Euch hinlaſſen.
Damit erhob er ſein Glas. Ich will's ausſtehen, erwiderte der
Andere mit ſauerſüßer Miene, kam ihm mit dem ſeinigen entgegen und
ſie ſtießen mit einander an. Nachdem der Knecht durch einen Wink
beſchieden worden war, den Dreiklang voll zu machen, lehnte ſich der ältere
Müller in ſeinen Stuhl zurück und fuhr verwundert fort: Ei ſo guck
Einer! Der Alte ſchlägt ſeine Mädchen doch recht unter'm Preis los,
denn die paar Fuß breit Grundherrſchaft, die der grüne Darmfeger
beſitzt, werden juſtement einen Sack Erdbirnen ausgeben, und was er
Jahraus Jahrein mit ſeiner Raſierklinge aus den hieſigen Schweins¬
borſten und Igelsſtacheln herausſticht und ſchabt, das wird ihn auch
nicht gerade fett machen. Die Figur gibt's. Aber der Alte trifft
zwei Fliegen mit Einem Schlag. So ein Schlucker darf kein groß
Heirathgut fordern; da behält der Schwäh'rvater ſeine Kronenthaler
brav in der Truhe, und hat noch den Profit, daß ihm der fromme
Schwiegerſohn, ſo oft er den Morgen- und Abendſegen lieſt, um ein
baldſanftſeligs Ende betet. Seine erſte Tochter wird auch nicht viel
mitbekommen 'haben, wie er ſie hinausgegeben hat; denn ich ſeh' juſt
nicht, daß ihr Eh'krüppel ſonderlich ſtark ſpeculirt, weder in Käs noch
in Schwefelhölzlen. Econträr, im Gegentheil, ſeine Firma geht
einen ſehr bedächtlichen Gang und blüht wie die ſpäten Obſtſorten; ich
glaub', er hat's auf's langſam reich werden angelegt. Aber er iſt doch
ein Herr Handelsmann, in Stuttgart heißen ſie's gar Commercienrath,
und das iſt Numero Zwei. Den neuen Schwiegerſohn kauft er viel¬
leicht noch wohlfeiler, und das iſt noch ein koſtbarerer Artikel, das iſt
gar ein halber Doctor. Die Frau Chirurguſſin wird ſich natürlicher
Weiſe Flügel an die Haube machen laſſen müſſen, wenn ſie mit der
langen froſchgrünen Stange ranggemäß über die Straße rudern will. Schad'
iſt's übrigens um die Magdalene. Sie gäb' grad' ſo einen Arm voll für
einen wackern Junggeſellen, wie Ihr z. B., Vetter. Aber ſo weit gibt ſich
der Hochmuth nicht herunter, Unſereiner iſt ihm nicht gut genug; ſo eine
Raſierklinge ohne Handhab' ſchneid't ihm immer noch beſſer. O blinde
Welt! Die Hand vom Butten, Vetter, 's ſind Weinbeeren drin.
D. B. IV. Kurz, Sonnenwirth. 2
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Kurz, Hermann: Der Sonnenwirth. Frankfurt (Main), 1855, S. 17. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kurz_sonnenwirth_1855/33>, abgerufen am 23.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.